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Scientology_building_east_hollywood_los_angelesEinführung in das Buch „Dianetik: der Leitfaden für den Menschlichen Verstand.“, dem ersten Buch von L. Ron Hubbard (Scientology)Von Max Sternbauer

Einleitung und ein ethisches Dilemma

Hubbards Manifest, die erste seiner Bibeln, verspricht ein Abenteuer. Das nur wenige Zentimeter hinter unserer Stirn auf uns warten soll. Wenn wir, alle Menschen, die Dianetik anwenden würden, wäre unser wahres Potenzial bereit uns zu dienen. Das zumindest verspricht Hubbard. Herausgekommen ist eine Organisation, gegen die schwere Vorwürfe ins Feld geführt werden. Mitglieder werden manipuliert, die Strukturen hätten totalitären Charakter. Scientology sei eine Sekte.
Ein Problem stellte sich bei dem Schreiben dieses Artikels. Zuerst sollte es nur eine kleine Einleitung sein. Quasi als Einladung zum Selbststudium gedacht. Das stellte sich aber als schwierig heraus. Denn Scientology beschäftigen Ansichten, die durchaus als gefährlich angesehen werden können. Es stellte sich, schlicht gesagt, als komisch heraus, eine Einleitung zum Thema Dianetik zu schreiben – ohne kritischen Kommentar. Deswegen bewegt sich dieser Artikel, ironischerweise wie viele Ansichten Hubbards, auf einen schmalen Grad. Links Kritik, rechts eine einfache Inhaltsangabe. Vielleicht ist die Illusion der Ausgewogenheit ja geglückt.

Hubbard war ein Verkäufer von Metaphysik. Im Gegensatz zu anderen Religionen, verhökert Scientology seine Lehren. Was etwas Anderes ist, als z.B. der Ablasshandel in der Katholischen Kirche gewesen war. Nichts ist Umsonst. Kurse müssen bezahlt werden, genauso wie Bücher oder Auditing-Beratungen. Ohne gewaltigen finanziellen Aufwand, ist es nicht möglich tiefer in die Theorien von Scientology hinein zu lernen – oder in der Hierarchie voranzukommen. Viele ehemalige Mitglieder berichteten von Schulden, die sie bei Scientology machten und  in die Fänge dieser Organisation geraten waren. Im Grunde kann man sagen, dass Hubbards Karriere als Autor von Lebensartgebern, ihren Anfang genommen hatte. Ob die Gründung einer eigenen Religion ein Marketing-Gag gewesen war, kann wohl nicht bewiesen werden. Was aber bewiesen werden kann ist, dass Scientology seine Mitglieder psychisch und finanziell ausbeutet.

Was bei der Betrachtung von Scientology in den Medien kritisiert werden muss, ist deren Herangehensweise an die Thematik. Eine Sekte scheint einfach zu kritisieren. Ein Verein von Wahnsinnigen, die einer wahnsinnigen Theorie folgen. Die meisten Artikel beschäftigen sich mit den Schicksalen von Mitgliedern oder beleuchten die Biografie Hubbards. Die Theorie wird jedoch kaum beachtet. Aber genau die muss einer genaueren Analyse unterzogen werden, um Hubbards totalitäres Weltbild zu verstehen. Diese wird in der Organisation versteckt und kaum etwas dringt an die Öffentlichkeit. Deswegen müssen genau diese Theorien aus dem Dunkeln geholt werden.

Das Buch und noch ein Buch

Es gibt eine sehr gute Literatur über Scientology. Gerd Wilms‘ Dissertation, die versucht Scientology außerhalb jedes Klischees kritisch und wissenschaftlich zu analysieren. Es ist zwar sehr akademisch in seinem Ton, aber wenn man die schwierigen Passagen durchhält, bekommt man ein gut strukturiertes Bild von Scientology. Dieses Buch ist eines der wenigen seiner Art. Denn Tom Cruise‘ Religion wird meistens als Sekte abgeschrieben. Und was das Etikett „Sekte“ oder „verrückt“ trägt, wird meistens nicht weiter beachtet. Was ein Fehler ist. Wilms Buch umfasst ganz Scientology.

Scientology_standDieser Artikel beschränkt sich speziell auf die Inhalte der „Dianetik“. Dieses von Hubbard 1950 veröffentlichte Buch ist älter als Scientology selbst und stellt die Grundlage der Organisation dar. Hier beschreibt der Scientology-Gründer seine Vorstellungen über den menschlichen Verstand und Therapien, die von ihm entwickelt wurden Dieser Text soll einen ersten Einblick in ein Gedankengebäude geben, in eines, was wohl den meisten Menschen völlig fremd ist. Einen kurzen Blick hinein. Einige haben sicher schon einmal einen E-Meter-Test an einem Stand gemacht und sich wohl gedacht, was denken diese Leute? Und genau dieses Buch ist der Schlüssel.

Zwiespälte

Die ersten Rätsel sind folgende: Ist Scientology eine Religion? Und wo ist die Trennlinie zur Dianetik? Laut dem öffentlichen Bild ist Scientology eine sektenähnliche Betrugsmaschine, die leichtgläubigen Menschen ganze Arsenale von Lebenshilfebüchern andrehen und nebenbei in Gehirn gewaschene Zombies verwandeln will.
In Hubbards Buch findet sich, gedruckt als schmale Spalte, eine Warnung wonach die Thesen der Dianetik quasi nur religiösen Charakter besäßen. Psychisch kranke Menschen sollten professionelle Hilfe annehmen. Dann, ein paar Seiten weiter, wird die Dianetik aber auch als Sammlung und als
Essenz diverser Geisteswissenschaften beschrieben, die in der Lage sein soll, sämtliche psychosomatischen und psychische Krankheiten zu heilen.
Scientology trennt, ungewohnt, nicht zwischen Religion und Wissenschaft.

An dem schon erwähnten Beispiel kann ersehen werden, wie verschwommen und verzahnt die Beziehungen zwischen Scientology und der Dianetik sind. Scientology bezeichnet sich als Kirche. Die Dianetik an sich versteht sich als eine wissenschaftliche Anleitung mit psychologischen Hinweisen zur absoluten Befreiung des Potenzials jedes Individuums. Die aber von dem Mainstream der Lehrmeinung nicht anerkannt wird. Das Menschenbild der Dianetik hat eine positivistisch-egoistische Zielsetzung. Nur Leistung und Erfolg sind Zeichen eines richtig funktionierenden Geistes. Seine Befreiung wird angeboten und man braucht nur den Lehren Scientologys zu folgen, die sich in der Dianetik darstellen.
Verwirrend kann der schmale Grat sein, wenn der wissenschaftliche Anspruch Hubbards, auf den von ihm erdachten Schöpfungsmythos mit dem Außerirdischen namens Xenu trifft. Die Dianetik kann aber getrennt davon betrachtet werden.

Hinab in den Kaninchenbau

In dem Menschenbild von Hubbard stellt der Verstand eine perfekte Maschine dar. Von den natürlichen Anlagen her wäre das Potenzial zur Lösung von Problemen und Konflikten grenzenlos. Ängste, soziale Phobien und die davon ausgelösten körperlichen Symptome behindern den Menschen. Der Grund liegt in Traumata. Den sogenannten Engrammen.

Der Verstand funktioniert auf zwei Hauptebenen:

  • dem analytischen Verstand und
  • den reaktiven  Verstand.

Der analytische Verstand ist das „Ich“. Das ständig aktive Denkzentrum, das sämtliche Lebenseindrücke speichert. In der „ungestörten“ Funktion kennt er keine Depression, kein Vergessen im klassischen Sinne. Seine intellektuelle Leistung wäre viel höher, als bei Individuen,
die keine Dianetik anwenden. Der Zustand, in dem sich die meisten Menschen befinden, wird als aberriert bezeichnet. Quasi weg von den vernünftigen Zuständen.
Das ist das Stichwort für den reaktiven Verstand. Er ist ein evolutionäres Überbleibsel. Ein Überlebensschaltkreis, der unser Verhalten maßgeblich steuert. Ein Notventil für den analytischen Verstand.

Nehmen wir an, ein T-Rex jagt uns. Durch diese Stresssituation schalten sich Schaltkreise ein. Wir fallen auf einen Stein und bereiten uns Schmerzen. Das bleibt hängen. Der reaktive Verstand interpretiert das als Gefahr und konditioniert unser Gedächtnis so, dass wir ab nun Alarmsignale hören, sobald wir Riesenechsen oder Steine sehen. Wenn dann so etwas passiert, schaltet sich der Verstand aus und der reaktive Kollege übernimmt das Steuer.
Jetzt hat aber dieses Notventil evolutionär überlebt. Diese Alarmsignale brauchen wir eigentlich nicht mehr, denn er zeichnet nur die Schmerzen einer Situation auf. Und daraus entstehen Engramme. Das ist der Kernpunkt von Hubbards ganzen Theorien. Denn diese „Schmerzerinnerungen“ liegen nun wie Minen in unserem Gedächtnis und warten darauf  „restimuliert“, wieder aktiviert zu werden.

Ein einfaches Beispiel, wie das funktioniert, ist eine Situation kurz nach dem ein Mensch operiert wurde. Er liegt betäubt in seinem Bett. Der analytische Verstand ist ausgeschaltet. Aber der reaktive Verstand zeichnet noch alles auf. Was ganz fundamental ist, ist nun Folgendes: Hubbard glaubt, dass die Engramme sprachlich konstruiert sind. Man kann sie auch als Befehle sehen, die unterbewusst agieren. Zurück zum Bett. Der Mann liegt da und einer seiner Verwandten sagt nun solche Sachen wie: „Wie kann man nur so einen Blödsinn machen.“
Fanfarenstoß! Jetzt sind wir bei den ganz großen Rufzeichen angekommen. Das ist nämlich Hubbards Moriaty. Sein Gegner. Der Satan, der in jedem Verstand lauert.
Diese Worte werden von dem reaktiven Verstand aufgezeichnet. Möglicherweise wird der Mann nie wieder in so eine Situation geraten. Aber in ihm ist auch Befehl verpflanzt worden, der seine Handlungen bestimmen wird. Er wird solche Dinge nicht mehr tun, weil sie ja „Blödsinn“ sind.
Psychosomatische Erkrankungen, Depressionen und andere geistige Erkrankungen sowie  körperliche Symptome wie Migräne haben ihre Wurzeln in diesem Effekt. Aber nicht nur das. Auch Verbrechen, sexuelle Perversionen, zu denen Hubbard Homosexualität und Abtreibungsversuche zählt, sind Konsequenzen von Engrammen.

Hubbard und die Politik

Jeder Mensch außerhalb von Scientology ist verrückt. Das wird ihnen ein Scientologe nicht direkt in das Gesicht gestehen, aber wenn Hubbards Theorien logisch bis zum Schluss durchgedacht werden, dann ist das das Resultat. Er schreibt dies auch. Menschliche Gesellschaften funktionieren wie große Organismen. Oder Individuen. Und genau wie solche, können auch Sie aberriert sein. Das kann im Klartext heißen, dass nur Scientology die richtige Behandlung für eine kranke Gesellschaft hat. In einem Kapitel wird als Beispiel ein Mann genannt, der als Mörder vor Gericht steht. Dieses Gericht muss entscheiden, ob der Mann geisteskrank ist oder nicht. Für Hubbard stellt sich diese Frage nicht, denn: „Der am Dienstag geistig gesündeste Aberrierte mag am Mittwoch ein Mörder sein, wenn genau das passende Engramm reaktiviert.“ Nur dianetisch behandelte Menschen (Clears) können als vollkommen gesund gelten. Was im nächsten Schritt heißt, dass Scientology eigentlich den Rest der Menschheit für unmündig
erklärt. Und das ist der gefährliche Part an Scientology. Schon wahr, eine Partei sieht anders aus und die realpolitischen Ambitionen kann man so gegen Null beziffern. Aber diese Ideen, wie der Mensch zu funktionieren hat, sind nicht in Büchern verschlossen, sondern werden von Scientologen angewendet.
Bisher war vor allem der Umgang einzelner Mitglieder Scientologys, unter dem Etikett Sektenterror, der Hauptkritikpunkt. Aber man muss weitergehen, wen man diese Organisation verstehen will. Denn Hubbard war kein Idiot. Und man sollte ihn daher ernst nehmen.


Fotos: Das internationale Hauptquartier der Scientology-Kirche in Los Angeles (Matthew Field Photography/CC BY-SA 3.0); Stand von Scientology (Kew Festival20/public domain)

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