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Fußball als Massenphänomen

Ein geschichtlicher Abriss der ballesteren Ursprünge

Teil 1 der 6-teiligen Serie von Noah Krügl

Fußball ist und war seit jeher ein Phänomen, das die Massen begeistern konnte. Ähnlich den Gladiatorenkämpfe im alten Rom sind die kollektiv und kontrolliert erfahrbare Wahrnehmung von Freud und Leid egal ob auf oder neben dem Platz, die Hochschaubahn der emotionalen Gefühlswelt und die damit im wörtlichen und übertragenen Sinn verbundenen „Auseinandersetzungen“ sicher spätestens seit dem 26. Dezember 1860 Bestandteil einer der meist praktizierten Sportarten weltweit. An jenem Dezembertag fand am legendären Hallam Pitch an der Sheffielder Sandygate Lane das erste offizielle Fußballderby zwischen FC Sheffield und dem Lokalrivalen Hallam FC statt, welches den Siegeszug des „modernen“ Fußballs endgültig einläutete.

tsuchuGanz zu Beginn standen dem Fußball verwandte Ballsportspiele wie beispielsweise das tsu chu in China oder tlachtli (auch ulama) in Mesoamerika. So wurde tsu chu (Bild links) bereits zu Zeiten der Han-Dynastie, also im 3. Jahrhundert v. Chr, praktiziert, wie sich aus militärischen Handbüchern jener Zeit herauslesen lässt. Hierbei wurde tsu chu einerseits von den Kriegern als sportliche Ertüchtigung während ihrer Eroberungsfeldzüge praktiziert wie auch andererseits Künstler und Artisten, welche im Schlepptau von fahrenden Händlern durchs Land zogen, am tsu chu gefallen fanden, und bereits früh das Volk mit ihren Fertigkeiten am Ball zu begeistern verstanden. Tlachtli hingegen wurde in Mesoamerika bereits ca. 1400 v. Chr. gespielt und war ein ritueller Brauch der bei Volksfesten praktiziert wurde, um unter anderem die Verbindung zu den und den Wohlwollen der Gottheiten zu erreichen. Dies zeigt sich auch dadurch, dass in manchen antiken Hochkulturen Mesoamerikas Spieler nach dem Match am Opfertisch enthauptet wurden, wobei die Wissenschaft noch heute streitet, ob dem Verlierer oder dem Sieger diese Ehre zuteil wurde. Da die rituelle Opferung zu jener Zeit eher Ehre als Strafe darstellte, kann die Enthauptung wohl eher mit dem verglichen werden, was heute der „Goldene Schuh“ der UEFA darstellt.

Auch das antike Rom und das antike Griechenland kannten bereits Ballsportspiele, die ebenfalls als Wurzeln des Fußballs bezeichnet werden können. Wie bereits beim tsu chu und beim tlachtli galten auch das griechische episkyros und das römische harpastum vorrangig als militärische Übungen und hatten noch wenig „Volkscharakter“, wiewohl die Spiele bereits damals von den Bürgern frenetisch verfolgt wurden.

Die Wurzeln des Fußballs sind also weitreichend und global. Die frühzeitige Faszination über die „Beherrschung“ einer Kugel, welche in ihrem „Verhalten“ möglicherweise an unsere inneren Jagdinstinkte appelliert ist also interkontinental. Über die jeweiligen Einflüsse, dieser unterschiedlichen Ballsportspiele auf den heutigen Fußball scheiden sich die Geister. Es ist aber davon auszugehen, dass sowohl tsu chu durch die fahrenden Händler und Artisten über die Seidenstraße, wie auch tlachtli im Zuge der Kolonialisierung Mesoamerikas Einfluss auf die Verbreitung des Fußballsports in Europa hatten.

Mehr Einfluss auf den modernen Fußball hatte aber ein im 11. Jahrhundert von den Normannen als soule nach England exportiertes Spiel. Hierbei hatten zwei benachbarte Dorfgemeinschaften das Ziel, einen Ball bis zum Stadttor, zum Marktplatz oder bis zur Kirche der jeweils anderen Siedlung zu befördern. Da bei diesen Spektakeln, welche oft einen ganzen Tag dauerten und einen Ausbruch der einfachen Leute vom kargen Leben des Alltags darstellten, keinerlei verbindliche Regeln existierten, versprach der Begriff „Körpereinsatz“ zu dieser Zeit noch eine andere Intensität als heute. Verletzungen und Brüche waren keine Seltenheit und selbst Tote waren gelegentlich zu beklagen. Da diese Freizeitbeschäftigung nahezu ausschließlich von einfachen Handwerkern und Bauern praktiziert wurde und die herrschende Aristokratie zusehends zwischen „guter“ und „schlechter“ Gewalt unterschied, wurde der Volkssport von Bürgertum und Aristokratie als brutal, schmutzig und niedere Triebe befriedigend geächtet und zeitweise sogar verboten.

Nach und nach zog dieser Sport dennoch in den Schulen und in weiterer Folge an den Universitäten ein. Den Beginn machten hier die public schools, welche, anders als es der Name vermuten lässt, zwar öffentliche Schulen waren, die Lehrkräfte allerdings von den Eltern der Schüler bezahlt wurden und diese somit in der sozialen und ökonomischen Hierarchie ihren Schülern untergeordnet waren. Diese Schüler „entdeckten“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts den rebellischen Charakter des blutigen Volkssports, eigneten sich diesen mehr und mehr an und begannen, die Ausübung an ihren Schulen als winterliche Alternative zu Cricket einzufordern. Nach und nach zog der einst brutale Volkssport so an den Eliteschulen Englands ein. Mit der industriellen Revolution, dem Aufstieg des Kapitalismus und dem daraus resultierenden Konkurrenz- und Wettbewerbsdenken kam es also, dass der ehemalige Volkssport 1848 von Studenten der Universität Cambrige ein Regelwerk verpasst bekam, welches das Fundament der heutigen Fußballregeln darstellt. Grund hierfür war das Verlangen, sich mit anderen Universitäten und Schulen zu messen. Da die Schulhöfe allerdings unterschiedlich waren, entwickelten sich auch differente Regelwerke. Schulen mit kleinerem Campus nutzten beispielsweise die Hände während dies bei Eliteschulen mit großem Freiluftareal verpönt wurde. So kam es zum ersten verschriftlichtem Regelwerk des Fußballs und somit zur Geburtsstunde des modernen Fußballs.

Da die Arbeiterklasse nun aber im Zuge der Industrialisierung in den Fabriken ihre Arbeitskraft verkaufen musste, wurde in der Zeit vom späten 18. Jahrhundert bis ca. 1870 Fußball annähernd ausschließlich von der Bourgeoisie praktiziert. Dies änderte sich schlagartig als die u.a. von Marx und Engels beeinflusste Arbeiterbewegung durch ihre Organisierung in den 1860/70er-Jahren erste Arbeitszeitverkürzungen im industrialisierten England erkämpfen konnte. Fußball wurde nun zu einer der beliebtesten Betätigungen in der neu errungenen Freizeit der Arbeiterklasse da auch hier die Solidarität zur Erringung der Ziele nötig war und ist. Vor allem innerhalb der Fabriken, im zu dieser Zeit stark ausgeprägten Bergbau und den dort und da angrenzenden Pubs fanden sich Fußballbegeisterte zusammen und gründeten erste Hobbyvereine und „Werksmannschaften“ was den Sport schnell zu dem wortwörtlichen „Proletensport“ werden ließ, den er auch heute noch rezipiert.

Bereits damals wurden die besseren Spieler zu „Stars“, wobei ihre Bekanntheit und Beliebtheit vor allem darauf beruhte, ihre persönliche Verbindung zum jeweiligen Ort hervorzustreichen und jene Loyalität dem Verein gegenüber gelebt wurde, welche heute oft vermisst wird. Zwar gab es für viele Spieler eine kleine Aufwandsentschädigung, der Amateurismus wurde allerdings hochgehalten. Dies führt sogar dazu, dass die britische Football Association (FA), ihres Zeichens erster nationaler Fußballverband mit Gründung 1863, im Jahre 1882 den Professionalismus verbat, da sich v.a. in Schottland das verdeckte und wettbewerbsverzerrende Profitum immer mehr ausbreitete. Es folgte eine heftige Debatte zwischen den Klubs des Nordens, welche den Professionalismus vorantrieben, und jenen des Südens, welche sich vehement dagegen aussprachen. Der Norden setzte sich (aufgrund der sportlichen Erfolge) letztlich durch und so wurde bereits 1885 das bezahlte Profitum in der FA zugelassen. Damit war die weitere Entwicklung des Fußballs besiegelt.

Noah Krügl ist politischer Aktivist, jahrelanger Fußballfan und Gründungsmitglied einer linken Ultragruppierung in Österreich.

Fotos: tsu chu – die Anfänge des Fußballs in China (gemeinfrei); Titelbild: A Corner Kick, Sunderland v. Aston Villa von Thomas M. M. Hemy, 1895 (gemeinfrei)

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