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Und alle so: „ROTFUNK! SKANDAL!“

[3K – Massenmedien am Montag: Folge 59]

faymannNehmen wir eines gleich vorweg: Sich an Anne Wills Gespräch mit Angela Merkel zu orientieren, war eine dumme Idee, lieber ORF. Nicht, dass es illegitim wäre, SpitzenpolitikerInnen wie den Regierungschef einzeln und allein zu interviewen. Aber genau wie ANNE WILL ist IM ZENTRUM das falsche Podium dafür. Es gibt die Pressestunde, es gibt diverse ZiB-Formate, es gibt so viele Info-Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die dem Bundeskanzler allein den richtigen Rahmen geboten hätten. Eine Talkshow, welche in der Regel für mehrere Personen, also als Forum ausgelegt ist, mutet jedoch merkwürdig an, wenn nurmehr Werner Faymann (SPÖ) Ingrid Thurnher im großen Rund gegenüber sitzt. Da hilft auch kein Zoom, liebe Regie. Trotzdem ist diese Fehlentscheidung immer noch eine Fehlentscheidung der Redaktion. Und Ingrid Thurnher hat ihre Arbeit getan. Sie hat den Bundeskanzler charmant entlarvt, indem sie seinen unerträglichen Opportunismus gegenüber Berlin einerseits und der heimischen schwarz-blauen Rechten andererseits offenlegte. Er pochte auf Recht und Ordnung und ließ sich sogar dazu hinreißen, die „Obergrenze“ in den Mund zu nehmen – nach einer ironischen Anmerkung Thurnhers, der aufgefallen war, dass er diesen Begriff mied.

Natürlich wirkt es arrogant, wenn Faymann zuvor ein Interview mit KLARTEXT ablehnte, offenbar weil der Vizekanzler zugegen war. Natürlich hat das vor allem Mitterlehners Position ungewollt gestärkt. Natürlich hat gerade Faymann ein ungesundes Verhältnis zu Österreichs Boulevard. Natürlich gibt es inzestuöse rosarote Parteistrukturen im ORF.

Man muss aber auch im Jahr der EM den Ball flach halten. Gerade nach Mitterlehners Gespräch mit Martin Thür, nach gemeinhin bekannten Interventionen schwarzer Landesfürsten bei lokalen ORF-Radios wirkt die Sorge der ÖVP um die „Objektivität des ORF“ eher komisch. Man denke an den antiken Ausspruch, wonach sich unsere Großparteien einst die „schwarze Welle“ und den „roten Schirm“ aufteilten. Dass Herbert Kickl (FPÖ) einen „medienpolitischen Skandal“ und einen „Kniefall“ wittert, muss man erst bewerten, wenn Strache Kanzler ist. Aber sogar die zahlreichen PosterInnen auf Facebook-Seiten des ORF sind origineller: Sie setzen „Feigmann“ mit „Kim-Jong“ gleich und erwischen die „Lügenpresse“ beim Lügen. Wie kommt es eigentlich, dass das Fernsehen Teil der Lügenpresse ist? Warum heißt es noch Presseausweis, wo doch die Presse seit nunmehr hundert Jahren nimmer allein ist? Pressefrühstücke, -gespräche, -konferenzen und -spaziergänge, ja, jeder Pressetermin schlechthin wird ja nicht nur von der Printjournaille, sondern auch TV-Kameras und Radiomikrofonen begleitet. Das ist ein wunderbar philosophisches wie unpassendes Thema.

Die Rotfunk-Nummer, Nordkorea und andere blaue wie Team Stronach-Zitate griff die ÖVP dann in einer Aussendung vom Samstag auf. Da kann die MA48 noch so kreativ in den aktuellen Wahlkampf eingreifen, die Schmutzkübel-Kampagne für 2018 läuft längstens.

Montage: Screenshots (ORF-TVThek).

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2 Gedanken zu „Und alle so: „ROTFUNK! SKANDAL!“

  • Fritz Hausjell

    Lieber Zoran,
    ein wenig, aber eh nur ein wenig enttäuscht Du mich in Deiner sonst so erfrischenden Analysenroutine. Aber: wir haben alle unsere stärkeren und schwächeren Tage. Und: Heute bin ich auch schon zu matt und müde, um meine Differenz zu Deiner Analyse auszuführen.

    Antwort
    • Zoran Sergievski

      Lieber Fritz,
      die Kritik nehme ich gerne an. Hoffe, Du konntest Deine Kräfte wieder sammeln.
      Beste Grüße

      Antwort

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