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Scharfe Kritik: EU-Mercosur-Abkommen stellt wirtschaftliche Expansion über Umwelt und Menschenrechte

Das Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Ländern Südamerikas sieht sich mit Kritik von Wissenschaftler*innen und NGOs konfrontiert. Das Abkommen gehe in der derzeitigen Form zu Lasten von Umwelt und Menschenrechten. Sie appellieren an Wirtschaftsminister Kocher, im EU-Rat gegen das Abkommen zu stimmen.

Von Moritz Ettlinger

Im Vorfeld des morgigen EU-Rats der Handelsminister*innen haben Wissenschaftler*innen und NGOs das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Ländern Südamerikas scharf kritisiert. In der aktuellen Form würde das Abkommen bestehende Umwelt- und Sozialstandards unterlaufen und im Widerspruch zu den Zielen der EU zu einem nachhaltigen Wirtschaftsumbau stehen, argumentieren Wissenschaftler*innen in einer Aussendung von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“. Wirtschaftliche Expansion auf dem Weltmarkt werde über ökologische Risiken und menschenrechtliche Bedenken gestellt, so der Tenor.

Verlagerung der umweltschädlichen Produktion

„In seiner derzeitigen Form mangelt es dem Mercosur-Abkommen samt der geplanten Zusatzvereinbarung – soweit diese bekannt ist – an Transparenz und echter Beteiligung der lokalen Bevölkerung. Auch die Regelungen zur Überprüfung der Einhaltung von ökologischen Standards und der Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen sind ungenügend“, sagt Helmut Haber, Professor am Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur in Wien.

Vor allem die Entwaldung in der Agrarwirtschaft in Lateinamerika würde durch das Abkommen weiter verstärkt werden, so Haber weiter. Die umweltschädliche Produktion würde so nur in die Länder des globalen Südens verlagert werden, sagt Marianne Penker, Professorin am Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der Universität für Bodenkultur in Wien. Ein Umschwenken auf eine nachhaltige Lebensmittelversorgung in Europa werde so torpediert, kritisieren die Wissenschaftler*innen.

Auswirkungen für die lokale Bevölkerung

Laut einer Studie der Universität São Paulo sind 30 Prozent der 2017 in Brasilien erlaubten Pestizidwirkstoffe in der Europäischen Union nicht zugelassen, europäischen Konzerne können diese trotzdem weiterhin nach Südamerika exportieren – zulasten der dortigen Bevölkerung, die durch die intensive Landwirtschaft unter Gesundheitsschäden und Wasserverseuchung leidet.

Das EU-Mercosur-Abkommen würde in seiner derzeitigen Form eindeutig zu Lasten der Natur und indigener Gemeinschaften in Südamerika gehen, beanstanden die Wissenschaftler*innen. Schon heute trägt die Art der Landwirtschaft im Mercosur-Raum stark zum Artenverlust in der Region bei, wie eine Untersuchung unter Beteiligung von Franz Essl, Ökologe am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien, zeigt.

„Der Haupttreiber dieser Entwicklung ist die Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten auf dafür gerodeten Waldflächen für den Export, etwa Soja, in dem die EU nur einen geringen Selbstversorgungsgrad hat. Das EU-Mercosur Abkommen würde diese Situation noch weiter verschlechtern“, prognostiziert Essl. Durch Entwaldung, größere Anbauflächen in der Landwirtschaft und dem Ausbau des Bergbaus würden indigene Bevölkerungsgruppen weiter verdrängt werden.

Bereits jetzt seien Rohstoff- und Warenimporte der EU für die jährliche Abholzung von 120.000 Hektar Wald in Lateinamerika verantwortlich, kritisiert auch Theresa Kofler, Handelsexpertin der Menschenrechtsorganisation Attac. “Das entspricht einem Fußballfeld alle drei Minuten. Das Abkommen wurde diese Zerstörung nicht eindämmen sondern weiter verschärfen“, sagt Kofler.

Neue Regeln gefordert

Die derzeit im Raum stehende Zusatzvereinbarung des Abkommens, die Klima- und Umweltschutz sowie die Einhaltung von Menschenrechten garantieren soll, sei unzureichend, sagen die Wissenschaftler*innen. Sie fordern verbindliche Verpflichtungen von Unternehmen und Streitschlichtungsverfahren, die wirtschaftliche Akteure im Falle von Verstößen sanktionieren. 

Greenpeace bezeichnet die Zusatzvereinbarung in einer Aussendung als „Greenwashing-Beipackzettel”. „Sie soll einzig und allein dazu dienen, dem umweltschädlichen Handelsvertrag einen grünen Anstrich zu verleihen. Beispielsweise werden Verstöße gegen die ohnehin viel zu schwachen Umweltauflagen auch weiterhin dezidiert nicht mit Sanktionen belegt”, so die Umweltschutzorganisation.

„Die politischen Regeln für den internationalen Handel müssen neu aufgesetzt werden und dabei auf hohen Standards für Umwelt und Soziales beruhen“, sagt Ulrich Brand, Leiter des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Wien. Derzeit sei das Problem, dass das EU-Mercosur-Abkommen über Zollabbau und andere Instrumente mehr Handelsströme und Marktzugang ermöglichen soll, profitieren würden davon aber hauptsächlich transnationale Konzerne. „EU-Mercosur setzt auf das Recht der Stärkeren – ohnehin schon benachteiligte Gruppen werden darunter leiden“ so Brand.

Das Argument, das Abkommen wäre notwendig, um den Einfluss Chinas auf Lateinamerika zu begrenzen, hält der Politikwissenschaftler für wenig schlagkräftig. Schließlich betreibe China so oder so Handel mit den Ländern des Mercosur-Raums. „Im Gegenteil: Die EU hätte die Chance, mit einem fairen und ökologischen Abkommen voranzugehen und so andere Handelspartner wie China oder die USA unter Druck zu setzen“, erklärt Brand.

Appell an Kocher, gegen das Abkommen zu stimmen

Schon 2019 erteilte der österreichische Nationalrat dem Abkommen eine Absage, im EU-Unterausschuss stimmten alle Parteien mit Ausnahme von NEOS dagegen. Die Bundesregierung ist formal an diesen Beschluss gebunden. Brand erwartet sich von der Regierung, sich daran zu halten. Sie solle „von der Ablehnung des Abkommens, zu der sie sich vor unserem demokratisch gewählten Parlament verpflichtet hat, nicht abweichen.“

Auch Greenpeace fordert – genauso wie Attac – Wirtschaftsminister Martin Kocher dazu auf, sich beim EU-Rat der Handelsminister*innen am 25. Mai in Brüssel klar gegen das Abkommen auszusprechen. “EU-Mercosur bedeutet vor allem eines: Konzern-Profite auf Kosten der Natur, der ländlichen Bevölkerung in Südamerika und der Bäuerinnen und Bauern in Österreich”, sagt Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace in Österreich.

„Die große Mehrheit der Menschen in Österreich lehnt den EU-Mercosur-Pakt ab. Auch der österreichische Nationalrat hat sich klar gegen das Abkommen positioniert. Wirtschaftsminister Kocher darf das alles nicht ignorieren und muss sich in Brüssel im Namen Österreichs unmissverständlich und klar gegen EU-Mercosur aussprechen”, fordert Theissing-Matei.

Vor wenigen Wochen haben sich zudem 170 Organisationen aus Europa und Südamerika – aus Österreich beispielsweise Attac, Global 2000, Südwind und die Gewerkschaften PRO-GE und vida – für einen Verhandlungsstopp des Abkommens ausgesprochen. Dem Abkommen positiv gegenüber stehen insbesondere die Industriellenvereinigung (IV) und die Wirtschaftskammer (WKO), die sich dadurch etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und Exportsteigerungen erhoffen.

Das Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay wird bereits seit 1999 verhandelt, im Sommer 2023 soll es planmäßig abgeschlossen werden. Das Ziel des Abkommen ist es in erster Linie, die Zölle zu senken, um Industrieprodukte aus Europa wie Autos oder Maschinen sowie landwirtschaftliche Produkte und Güter aus dem Bergbau aus Lateinamerika günstiger zu machen. Öffentliche Ausschreibungen in Mercosur-Ländern sollen zudem für europäische Länder leichter zugänglich gemacht werden.


Titelbild: Charles Echer auf Pixabay 

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