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Warum leidest Du nicht, Du Freak?

[3K – Massenmedien am Montag: Folge 52]

cafepulsSilke Naun-Bates ist zweifache Mutter, glücklich verheiratet, sportlich, Trainerin und Bildnerin. Sie lächelt durchwegs, wenn sie in der Öffentlichkeit steht. So saß sie am Donnerstag auf der Couch von Café Puls, um ihr erstes Buch vorzustellen. So weit, so unspektakulär – wäre da nicht Frau Naun-Bates‘ Einschränkung: Bei einem Unfall in Kindertagen verlor sie beide Beine. Just auf dieses Merkmal reduzierte sie Moderator Andi Seidl. Bei den seichten Fragen glaubt man, Kinderfernsehen zu glotzen. Stets drängt das Bedürfnis, im Studio anzurufen und loszuschreien: „Heast, sie is‘ ned hirnamputiert, sie hat nur kane Beine!“ Hätte sie Trisomie 21, wäre sie wohl noch infantiler behandelt, geduzt worden.

Der Anruf bleibt aus, er fragt ungewohnt artikuliert und laut: „Was nimmt. Der Leser. Mit?“ Naun-Bates, die keine sichtbaren Anzeichen für Schwerhörigkeit aufweist, antwortet, das dürfe jeder selbst entscheiden. So präzisiert der Interviewer: „Aber was möchten Sie dem Leser. Mitgeben. Von ihrer Seite?“ Denkt man, dümmer geht es nimmer, belehrt er uns eines Besseren: „Wie stelle ich mir das Privatleben von Ihnen vor?“ Naun-Bates pariert mit einem weiteren Schmäh. Über das Buch wird kaum geredet. So viel ahnt man: sie kennt diese Fragen zu Genüge. Die Autorin ist gerade aus dieser Erfahrung heraus nicht nachtragend: diplomatisch bedankt sie sich bei PULS4 für den Plausch. Seidl wirkt, als schäme er sich für das, was ihm offensichtlich durch den Kopf geistert: Warum leidest Du nicht, Du Freak?

Geriert sich eine wie auch immer benachteiligte Person nicht derart, wie es der vermeintlich normale Mensch erwartet, als Opfer etwa, so ist er zumindest irritiert. Paragraphen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? Ja wo sind wir denn? Sexuelle Belästigung auf der Kölner Domplatte? Abschiebung! Barrierefreie Geschäfte im ganzen Land? Haben wir keine größeren Probleme? So ähnlich kommentierte es Erwin Pröll einst, was ihm vom bekannten Vlogger Martin Habacher köstlichen Spott einbrachte. Ein Wirtschaftsvertreter blies vor ein paar Wochen auf Ö1 ins Pröll’sche Horn: zehn Jahre Übergangsfrist seien eben nicht genug gewesen, um Österreich barrierefrei zu machen. Soll doch der Staat mit gutem Beispiel voran gehen, schließlich seien auch viele Amtsstuben ohne Rolli-Rampen übrig.

Zum Glück gibt es Leute wie Habacher, die sich aus der Opferrolle freimachen, selber das Wort ergreifen und dabei herrlich witzig sind. Dazu gehört auch der deutsche Kabarettist Martin Fromme. Natürlich ist ihr Leben manchmal ernst, traurig, fordernd, schwierig – wie bei vermeintlich Normalen auch. Dafür gibt es ebenfalls Formate, in Deutschland etwa das MDR-Magazin selbstbestimmt! oder MENSCHEN das Magazin im ZDF. Im ORF sieht man hier und dort Gebärdensprache, Sendungen von und für Menschen mit Behinderung findet man aber kaum. So bietet die Webcommunity-Schiene bei Ö1 Campus dem Freak Radio Platz, und Okto fährt momentan die sehenswerte Sendung ohne Barrieren.

Bild: Naun-Bates bei Seidl in Café Puls (Screenshot puls4.com).

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