AktuellEuropaMedienÖsterreichStandpunkte

Wo die NZZ irrt – bürgerliche Naivität gegen Rechtsextremismus

Linz gegen Rechts (21)Ein Gastbeitrag von Natascha Strobl

Vorweg: Ich nehme bürgerlichen Medien wie der NZZ ehrlich ab, dass sie angezündete Flüchtlingsheime schockierend finden und dass sie Rechtsextremismus verdammen. Das ist in keinster Weise zynisch oder ätzend gemeint. Wenn Schlägernazis Leute verdreschen oder der NSU sogar Leute umbringt, dann kocht auch bei ihnen die kalte Wut hoch. Dieser antifaschistische Grundkonsens steht meines Erachtens auch in Österreich außer Frage: Dort wo das Leben von Leuten direkt von Rechtsextremen bedroht wird, gibt es einen breiten Konsens dagegen. (Wenngleich es weniger Aufschrei gibt, wenn es Linke trifft, wie der Angriff der Identitären auf Antifaschist_innen in Graz zeigt.)

Nun gut. Alles in Ordnung, könnte man meinen. Das Problem ist aber folgendes: Es gibt eine große Naivität darüber, wie diese Gewalt entsteht und welche Vorstufen sie hat. Beispielgebend ist hier ein Kommentar aus der NZZ.at, der leider nur kostenpflichtig verfügbar ist. Hier werden drei Argumente genannt, die ich zitieren werde, warum „die Mitte“ nicht gegen Phänomene wie die Identitären auf die Straße geht. Ungewollt zeigt dieser Kommentar aber auf, wie es Bürgerlichen nicht gelingt, intellektuell mit der „Neuen Rechten“ fertig zu werden und sich deswegen in eine naive Trotzhaltung flüchten (ja, vielleicht sogar müssen).

Der Reihe nach – Die Argumente:

  1. Die Identitären sind irrelevant und deswegen muss man nicht gegen sie demonstrieren

Irrelevant in Bezug auf was? Wenn wir als Bezugsgröße den Anbeginn der Zeit und alles, was seit dem geschehen ist, heranziehen – ja, aber sowas von irrelevant. Wenn wir als Bezugsgröße die aktuelle Verfasstheit des Rechtsextremismus hernehmen – in keinster Weise. Im Gegenteil, die SZ hat es letztens so formuliert: „In den Identitären kann man die Zukunft des Rechtsextremismus sehen.“ Nur, dass diese Zukunft in Österreich längst da ist, da die Gruppe in Österreich um einiges weiter ist, als jene in Deutschland. Österreich ist hier in Sachen Rechtsextremismus also Avantgarde, dies ist kein irrelevanter Fakt.

Das zweite Argument im Argument lautet, dass wenn man nicht gegen sie vorgeht, sie keinen medialen Widerhall finden. Dies ist an Naivität nicht zu überbieten und zwar aus zwei Gründen: Erstens haben sie die Aufmerksamkeit auch ohne Demonstrationen, das zeigen Einladungen ins ORF Bürgerforum oder wohlwollende Porträts z.B. in der Wiener Zeitung. Die Frage ist nicht, OB (denn das passiert) sondern WIE über sie berichtet wird und hier gibt es erfreulicherweise vermehrt sehr gute Artikel und Fernsehbeiträge (als Beispiel seien das ORF-Format Heimat Fremde Heimat und Der Standard erwähnt). Zweitens schaffen sie sich ihre Aufmerksamkeit selbst. Ich empfehle allen Journalist_innen einen Blick auf die Facebook-Seite der Identitären. Jetzt können wir über vieles spekulieren, zum Beispiel um wieviele „echte“ likes es sich hier handelt und wieviel dazu noch einfach Gruppenaccounts sind, die sich gegenseitig hochjazzen. Fakt ist aber, selbst wenn man all dies in Betracht zieht und großzügig abzieht, ist das eine der erfolgreichsten FB-Seiten einer politischen Gruppe in Österreich. Und wer 2016 noch mit „aber das ist ja nur das Internet“ argumentiert, soll doch bitte in seinem Umfeld erfragen, wieviele Stunden täglich so in Sozialen Netzwerken verbracht werden.

Wir halten als Zwischenfazit fest: Die Identitären sind eine der relevantesten Gruppen gerade im Bereich Rechtsextremismus und sie bekommen mediale Aufmerksamkeit durch offline-Aktionen bzw. schaffen selbst Gegenöffentlichkeit online.

  1. Österreich hat keine Tradition des Widerstands auf der Straße

Dem wird niemand ernstlich widersprechen. Das heißt aber nicht, dass dies nicht änderbar ist bzw. dies nicht von Erfolg gekrönt ist. Der umgekehrte Glaube, dass ohne Straßenwiderstand woanders Widerstand geleistet wird, ist nämlich eine Fehlannahme. Als Beispiel sei der Ball der Burschenschafter in der Wiener Hofburg erwähnt. Über 50 Jahre gehörte er zum Konsens der Republik, niemand hat sich daran gestoßen, dass deutschnationale, rechtsextreme bis neonazistische Burschenschaften (mit informellem Ariernachweis) am Sitz des Bundespräsidenten feierten. Das Argument „wuuurscht, größere Probleme“ zieht hier nicht, denn hier geht es weder um ein Einzelereignis, noch um einen armseligen Haufen irgendwo in einer Scheune in der Provinz. Hier geht es um einen gesellschaftlichen Konsens. Dieser hat sich nicht daran gestoßen, dass Leute, die freudig von sich behaupteten, in der NSDAP „schon zu den Rechten“ gehört zu haben, dort gefeiert haben. Was hat diesen gesellschaftlichen Konsens aufgebrochen? Richtig, die Mobilisierung auf der Straße. Nur deswegen haben viele Menschen überhaupt Kenntnis darüber erlangt und konnten ihren Unmut ausdrücken. Und nur deswegen mussten sich Politiker_innen positionieren. Dies ist ein gutes Beispiel, wie der Widerstand auf der Straße sehr wohl zu einer Diskursverschiebung führen kann.

Apropos Diskurs, das zweite Argument ist, dass anstatt auf der Straße zu demonstrieren „die freie Debatte“ gesucht werden soll. Das klingt, ehrlich, fein. Aber hier kommen wir wieder zur Naivität: Die Annahme, es gäbe einen neutralen Raum, in dem jede_r ungestört die Argumente vorbringen darf und dann rational abgewogen wird, was schlüssig klingt und was nicht nicht, ist nicht einmal am Sonntagstisch daheim haltbar, wie also als Gesamtgesellschaft? Das exakte Gegenteil ist der Fall: Öffentliche Aufmerksamkeit ist ein derart rares Gut, dass jede Zeile und jede Sekunde erkämpft werden muss. Und die Welt ist nicht gerecht, sondern interessensgeleitet. Deswegen hören wir über den Putsch gegen Dilma Roussef so wenig, wissen aber genau über die Wehwechen von Mark Janko im Teamlager Bescheid. Die zweite Hürde: Wie soll ein rationaler Diskurs mit Menschenfeinden aussehen? „Ich finde, Flüchtlinge sollen leben dürfen.“ – „Ich nicht!“ – „Ah schön, jetzt habt ihr eure Positionen dargelegt, lasst uns da mal einen Kompromiss finden.“ Das mag überspitzt klingen, aber darauf kommt es in der Essenz an. Ein geschlossenes (also völlig durchideologisiertes) rechtsextremes Weltbild geht von einer „natürlichen“ Ungleichheit und Ungleichwertigkeit von Menschen(gruppen) aus und das höchste (unhinterfragbare) Ideal ist eine völkische Nation. Hier gibt es kein Diskutieren, denn dieses Weltbild läuft in letzter Konsequenz auf Genozid hinaus. Dies gilt es unter allen Umständen zu verhindern. Dies mit Appeasement und Kompromiss zu versuchen, hat sich historisch immer als fataler Fehlschluss erwiesen.

Wir halten als Zwischenfazit weiters fest: Widerstand auf der Straße wirkt, auch wenn es keine große Tradition in Österreich gibt und es gibt keinen demokratischen Diskurs mit Rechtsextremismus.

  1. Antifaschist_innen sind alles Gewalttäter_innen, deswegen finden die alle doof

Das ist zum Einen eine Verleumdung und zum Zweiten ein selbstgerechter Grund, um ja bloß nie selbst aktiv etwas machen zu müssen. Alle würden wir lieber in einer guten Welt leben, wo wir samstags Eis essend im Laabergbad hocken und nichts trübt unsere Stimmung. Ehrlich, das wäre urfein und alle Antifaschist_innen, die ich so kenne, hätten sich das auch verdammt noch einmal verdient. Stattdessen stehen sie Woche um Woche wieder bereit – entweder in Altenfelden, um zu zeigen, dass man sich nicht durch Brandanschläge einschüchtern lässt oder gegen die Identitären dieses Wochenende oder nächstes Wochenende, um gemeinsam mit LGBTQ-Aktivist_innen gerade jetzt zu zeigen, dass homophobe Religionsfanatiker_innen nicht unwidersprochen marschieren dürfen. Das Argument „bähh, bähh ignorierts es halt“ ist gerade hier perfide: Wie soll ich jemanden ignorieren, der mich umbringen will? Wie soll ich jemanden ignorieren, der möchte, dass meine Freund_innen sterben und ihnen das Recht auf Existenz abspricht? Weil sie homosexuell und/oder geflüchtet sind? Oder weil sie eine nicht-christliche Religion haben? Oder weil sie die falsche Hautfarbe haben? Oder weil sie politisch aktiv sind? Das Privileg der Ignoranz kann sich nur jemand mit richtiger Hautfarbe, richtiger sexueller Orientierung und richtigem Geschlecht aussuchen.

Zum Anderen ist es auch eine simple Verkehrung von Opfer und Täter_innen. Denn Rechtsextreme sind es, die inhärent Gewalt erzeugen. Und zwar sehr lange vor den brennenden Flüchtlingsunterkünften. Hier kommen wir zum Kern: den “Neuen Rechten”. Für Bürgerliche ist dieses Spektrum besonders unangenehm, da es sich als Mischspektrum genau zwischen staatstragendem Bürgertum und offenem Rechtsextremismus bewegt. Der „Extremismus“ ist nicht so weit am Rand der Gesellschaft bei ein paar „Losern“ wie man das gerne hätte, sondern mitten drin. Genau das macht ihn auch so gefährlich. Es ist eine rechtsextreme Elite, die von oben gegen unten hetzt. Das fängt an bei Überlegungen, Arbeitslosen das Wahlrecht abzuerkennen und geht bis zu einer Kulturalisierung sozialer Konflikte. Gerade bei Antifeminismus und antimuslimischen Rassismus sind alle Dämme gebrochen und die Positionen der NPD und der der staatstragenden bürgerlichen Regierungsparteien kaum mehr unterscheidbar. Pogrome und Genozide wurden und werden erst sprachlich und intellektuell vorbereitet. In den 20ern und 30ern des letzten Jahrhunderts war das die „Konservative Revolution“ (mit schönen Büchern wie „die Herrschaft der Minderwertigen“), heute ist es die Neue Rechte. Dies ist keine Bagatelle und kein Anlass für selbstgerechtes Schulterzucken.

Antifaschist_innen diskutieren permanent seit Jahrzehnten über Strategien und sind zu einander oft härter als Journalist_innen, die meinen sich mit einem schnellen Diss-Artikel ein paar Schulterklopfer abholen zu können, oft vorstellen können. Ja, man muss nicht einmal mit anderen reden. Aber dies als Ausrede zu nehmen, nichts zu tun ist nur selbstgerechtes Distinktionsgehabe. Es gibt keine Mitte bei Menschenfeindlichkeit oder nicht. Es gibt keine Mitte zwischen Faschismus und Antifaschismus.

 

Natascha Strobl (*1985) ist Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismusforschung und aktive Antifaschistin. Sie hat das Bündnis „Offensive gegen Rechts“ mitgegründet und forscht zur Neuen Rechten. Zusammen mit Kathrin Glösel und Julian Bruns hat sie die Bücher „Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa“ (Unrast 2014) und „Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute.“ (ATTAC-Basistext. VSA 2015) herausgegeben. Strobl hat Biwaz – Bildungswerkstatt Antifaschismus und Zivilcourage gegründet und betreibt außerdem den antifaschistischen Blog schmetterlingssammlung.net, wo obiger Beitrag am 14. Juni erschien (Hervorhebungen UZ).

Fotos: Demo gegen Burschenbund Linz 2015 (Unsere Zeitung), Titelbild: Demonstration gegen den „Akademikerball“ 2015 (Unsere Zeitung)

Artikel teilen/drucken:

Ein Gedanke zu „Wo die NZZ irrt – bürgerliche Naivität gegen Rechtsextremismus

  • sigi maron

    hervorragender artikel, trotzdem bei KEINST stellt es mir die haare auf
    „Das ist in keinster Weise zynisch oder ätzend gemeint.“
    das wort KEINST gibt es eben nicht, auch wenn es noch so oft verwendet wird.

    Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.