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Partizipative und inklusive Politik, ab jetzt auch von unten?

Ein Gastkommentar von Stefan Schartlmüller

In Vorarlberg tut sich derzeit etwas demokratie/politik-technisch interessantes. Erstmals in Österreich wurde ein landesweiter BürgerInnen-Rat „von unten“ initiiert. Zur Frage: „Wie sieht ein zukunftsfähiger Umgang mit Grund und Boden in Vorarlberg aus?“ wollten sechs InitiatorInnen, dass die Landesregierung einen BürgerInnen-Rat abhält. Die dafür notwendigen 1.000 Unterschriften wurden am 6. Juni abgegeben. Nun ist die Landesregierung am Zug und beauftragt das „Büro für Zukunftsfragen“ mit der Organisation und der Abhaltung des BürgerInnen-Rats. Nach den letzten Infos wird dieser am 22. September stattfinden. Möglich ist das durch ein seit einigen Jahren in der Vorarlberger Landesverfassung verankertes, in Österreich nach wie vor einzigartiges Verfassungsrecht.

Was kann so ein BürgerInnen-Rat?

Die landesweiten BürgerInnen-Räte gelten in Vorarlberg als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie und wurden bisher immer von der Landesregierung einberufen. Fünfzehn bis dreißig Menschen werden zufällig aus dem Melderegister eingeladen und erarbeiten eineinhalb Tage lang Handlungsoptionen für gesellschaftliche Herausforderungen. Fragen zu Asylpolitik oder Bildung etwa, sind dabei schon thematisiert worden. Die Ergebnisse sind für die Regierung nicht bindend, was dieser auch immer wieder Kritik einbringt. Die Thesen und Vorschläge aus dem BürgerInnen-Rat werden dann auch noch in einem für alle offenen BürgerInnen-Café diskutiert und gegebenenfalls erweitert.

Was macht einen BürgerInnen-Rat interessant?

Unabhängig von den Themen die bei einem BürgerInnen-Rat behandelt werden, steht ergänzend quasi jedes mal eine gleiche Forderung in den Ergebnissen. Die TeilnehmerInnen wünschen sich mehr und breitere Beteiligung in politischen Prozessen. Warum? Das Format des BürgerInnen-Rats ist ein besonderes. Erstens kommen durch die Zufallsauswahl unterschiedlichste Menschen aus allen Bereichen und Schichten der Gesellschaft zusammen. Der BürgerInnen-Rat ist sicher das aktuell repräsentativste Format das Österreich kennt. Vor allem schließt die Zufallsauswahl nicht-StaatsbürgerInnen nicht aus. Es ist nur ein Wohnsitz in Vorarlberg notwendig um eingeladen zu werden. So kommen im Dialog die unterschiedlichsten Sichtweisen für Probleme oder Anliegen auf den Tisch, die man vom gewohnten Stammtisch her eher noch nicht kennt. So können Einsichten entstehen, die enormes Potential haben sowohl für Konfliktlösung als auch für das Entstehen von innovativen Ideen. Für das Entstehen von Ideen braucht es nicht immer ExpertInnen. Später für die Umsetzung sehr wohl natürlich, aber der unkonventionelle Zugang von „ExpertInnen des Alltags“ kann überraschend fruchtbar sein. Unterstützt wird das Format von versierten ModeratorInnen und der Methode „Dynamic Facilitation“, durch die der Dialog gut und übersichtlich strukturiert wird. Und vor allem wird auch auf eine respektvolle Gesprächskultur geachtet. Gut zuhören und sich ausreden lassen wird im BürgerInnen-Rat zur Selbstverständlichkeit. Das sehen wir zu selten in politischen Debatten am Stammtisch, im TV, im Parlament oder sonst wo.

Grund und Boden ..

Die Initiative zum BürgerInnen-Rat wurde natürlich auch wegen einer wichtigen Frage gestartet. Österreich und Vorarlberg sind ganz vorn dabei beim pro Kopf zu viel Grünland zu versiegeln. Wie in Zukunft mit Grund und Boden umgegangen wird betrifft alle Menschen, unabhängig davon ob sie viel, wenig oder keinen Grund besitzen. Darum sollte es auch geeignete Formate, und keine Pseudo-Partizipation!) für solche Fragen geben. Markus Wallner, der Vorarlberger Landeshauptmann, hat, befragt für ein Radiointerview, gemeint man solle sich vom BürgerInnen-Rat nicht zu viel erwarten. Die BürgerInnen werden in diesen eineinhalb Tagen nicht die Lösungen für alle Probleme finden. Das mag sein, aber der BürgerInnen-Rat wird wie andre Initiativen auch einen großen Beitrag leisten, dass mehr Bewegung in dieses wichtige Thema kommt. Und, es spräche nichts dagegen, bzw. es läge in der Hand des Landeshauptmanns, ein für die Größe der Thematik noch umfassenderes Format zur Verfügung zu stellen. Eine Planungszelle, wie es sie in Vorarlberg schon einmal gegeben hat, zum Beispiel. Auf alle Fälle ist es Zeit politische Prozesse zu öffnen. Im Interesse der Allgemeinheit.

Stefan Schartlmüller ist Teil der 6-köpfigen Initiativgruppe, die in zwei Wochen mehr als 1.200 Unterschriften gesammelt hat, um bei der Vorarlberger Landesregierung den ersten von der Bevölkerung vorgeschlagenen Bürger-Rat zu initiieren. Weitere Infos und Kontakt: www.bodenfreiheit.at

Hintergrundinfo:

Seit 2006 wurden in Vorarlberg 35 Bürgerräte in Gemeinden, Regionen und auf Landesebene durchgeführt. Im Frühjahr 2013 folgte ein weiterer Schritt in Richtung mehr Verbindlichkeit der Bürgerräte: Die partizipative Demokratie wurde in die Landesverfassung aufgenommen und eine Richtlinie zur Abwicklung der Bürgerräte von der Landesregierung beschlossen. Zwischenbilanz: Bürgerräte: Wo stehen wir? Was können wir lernen? Wie machen wir weiter?

Titelbild: Übergabe der Unterschriften an den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (Foto: Lisa Praeg)

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Ein Gedanke zu „Partizipative und inklusive Politik, ab jetzt auch von unten?

  • Klaus Diekers

    Leider viel mehr Schein als Sein. Das hat der bisherige Umgang der Regierung mit den Ergebnissen anderer Bürgerräte gezeigt. Bürgerräte sind völlig unverbindlich und die objektive Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist zudem in keiner Weise garantiert. Im Endeffekt ein Spiel der Regierung mit dem Bürger, den man scheinbar um Rat fragt – dessen „Rat“ man aber in der Unverbindlichkeit beläßt. Ein leider übles Machtspiel – auch wenn die „Befürworter“ es anders sehen – das hat übrigens durchaus handfeste taktische, strategische und eventuell finanzielle Gründe!

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