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Herr Kardinal, sind Sie noch bei Trost?

Christoph Schönborn, Kardinal von Wien, hat heute in Sarajevo bei einer Sitzung der Bischofskonferenz das Kreuz wörtlich als Friedenszeichen bezeichnet. Angesichts der religiös-nationalistischen Spannungen im Land fragt sich vermutlich nicht nur dieser Autor, ob der Herr Kardinal bei Trost ist.

Serben haben das Kreuz im Titelbild auf einem Hügel im Drinatal aufgestellt. Es steht bei einem Grenzübergang nicht weit von Višegrad.

Von der serbischen Seite der Grenze aus sieht man es nicht. Es gerät erst ins Blickfeld, wenn der bosnische Grenzbeamte einen abgefertigt hat und der Bus aus der Grenzstation herausfährt.

Hier beginnt die Republika Srpska, der serbische Teilstaat Bosniens. Die 49 Prozent Territoriums, die den Serben nach dem Bürgerkrieg zugestanden worden war.

In diesem Bürgerkrieg haben serbische Milizen in dem Tal, durch das wir fahren, tausende Bosnjaken umgebracht.

Allein in Višegrad, der nächsten größeren Stadt waren es 3.000. Seitdem ist Višegrad fast rein serbisch.

Was denken Herr Kardinal? Werden die Serben das Kreuz auf den Hügel gestellt haben, um den verbliebenen Bosnjaken Frieden zu wünschen?

Oder liegt es nicht nahe, dass sie sagen wollen: HIer beginnt unser Territorium. Wir wollen es nie wieder hergeben?

Und was ist mit diesem Kreuz, Herr Kardinal?

Es steht in Mostar auf dem Berg Hum. Dieses Kreuz ist ein katholisches.

Wollen die Kroaten, die Mostar jahrelang belagert haben, den Muslimen der Stadt mit dem Kreuz Hallo sagen?

Oder wollen sie nicht eher sagen: Der Westteil der Stadt, über den dieses 33 Meter hohe Kreuz ragt, der ist unser und nach Möglichkeit rein unser? Wir wollen euch Bosnjaken hier nicht haben, in unserem Klein-Herceg-Bosna?

„Dankbar für dieses Zeugnis“

Und was sagen Sie, Herr Kardinal?

Ich zitiere Sie hier wörtlich aus Ihrer Presseaussendung:

„Jesus hat nicht Gewalt gepredigt und Leben genommen, sondern sein Leben hingegeben am Kreuz, das damit ein Zeichen des Friedens ist.“ Diesen Gedanken stellte Kardinal Christoph Schönborn in das Zentrum seiner Predigt bei der Festmesse am Sonntagabend zum Beginn der Vollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz in Sarajewo. Die Menschen dieser Stadt hätten im letzten Krieg während der Belagerung „das Kreuz erlebt, und wir sind dankbar für dieses Zeugnis“, so der Vorsitzende des österreichischen Episkopats bei der Feier in der Kathedrale. Weil in Bosnien-Herzegowina der Frieden aber noch nicht vollendet sei, „beten wir dafür, dass Frieden und Gerechtigkeit kommen und die Kirche in diesem Land eine Auferstehung erlebt.“

Sie, Herr Kardinal, sind dankbar, dass die Menschen in Sarajevo „das Kreuz erlebt“ haben?

Wie dankbar werden wohl die 10.000 Einwohner dieser Stadt sein, die bei der Belagerung durch die allerchristlichste Armee der Republika Srpska in der Stadt ums Leben gekommen sind?

Von den 8.000 in Srebrenica, die unterm orthodoxen Kreuz ermordet wurden, red ich mal gar nicht. Kleiner religiös motivierter Völkermord. Kann man glatt vergessen.

Den zweiten religiös motivierten Völkermord sollten wir nicht vergessen

Aber glücklicherweise sagen Sie ja auch das:

„Anders als bei totalitären Ideologien wie Kommunismus und Nationalsozialismus mit Millionen Toten habe sich Jesus selbst hingegeben. „Reinigung im christlichen Sinn ist Lebenshingabe und Kreuzesopfer“, so der Kardinal. Die Torheit der Kreuzesbotschaft sei die Mitte des christlichen Glaubens und der Weg zur Überwindung von Gewalt.“

Hauptsache Kommunistenbashing bringen wir auch noch unter.

Es waren, Herr Kardinal, nicht die Kommunisten, die in Bosnien und angrenzenden Regionen 750.000 Menschen im Zweiten Weltkrieg umgebracht haben.

Es waren die kroatischen Ustaša. Viel Katholischer als die Ustaša kann man kaum sein.

Angefeuert wurden sie von ebenjener katholischen Kirche, deren Auferstehung Sie herbeibeten wollen.

Nicht wenige Kleriker ebendieser Kirche haben eifrigst selbst mitgemordet.

Im 20. Jahrhundert gab es in dem Land, in dessen Hauptstadt Sie beten, zwei grausamste religiös motivierte Konflikte. Ihnen ist in Summe fast eine Million Menschen zum Opfer gefallen.

Die Haupttäter waren in beiden Fällen Christen.

Religion hat Bosnien mehr, als es braucht

Wenn ich Ihre Aussagen höre, Herr Kardinal, muss ich Ihnen eine offene und ehrliche Frage stellen: Sind Sie blind, taub und dumm oder einfach nicht ganz bei Trost?

Ich habe, außer von Extremnationalisten, lange niemanden mehr gehört, der die Verbrechen des 20. Jahrhunderts so leichtfertig vom Tisch wischt wie Sie das mit ein paar Worten tun.

Noch ein Wörtchen zur katholischen Kirche in Bosnien.

Das Land ist arm. Die Behörden sind korrupt, die Politiker auch. Damit es nicht so auffällt, schieben sie einander ständig den Schwarzen Peter zu und verbrämen das mit religiös-nationalistischen Phrasen.

Jeder, der kann, geht.

Die Kroaten können am einfachsten. Sie kriegen schnell einen kroatischen Pass und flugs sind sie in der EU. Die anderen haben’s schwerer.

Wenn Sie eine Auferstehung Ihrer Kirche in Bosnien wollen, sollten Sie nicht unbedingt für mehr Religion beten. Davon hat das Land mehr, als es braucht.

Sie sollten was für bessere Lebensbedingungen für die Menschen tun.

Aber das ist halt nicht so einfach wie ein paar gesalbte Worte, deren Bedeutung Sie offenbar ohnehin nicht überblicken.

 

Dieser Artikel ist zuerst auf https://balkanstories.net/ erschienen.

Autor: Christoph Baumgarten
Fotos: Christoph Baumgarten

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Ein Gedanke zu „Herr Kardinal, sind Sie noch bei Trost?

  • Das sind heftige Aussagen des Herrn Kardinal. Ob das wohl Kalkül ist oder ihm die geschichtlichen Hintergründe einfach nicht bewusst sind? Aber diese inhärente Schizophrenie ist ja essentieller Teil der Katholerer. Zuerst nageln wir unseren Gott ans Kreuz, dann beten wir selbiges Kreuz als Friedenssymbol an. Haderer zeichnet immer diese „Was wäre wenn man Jesus nicht gekreuzigt hätte, sondern…“ Cartoons. Daran musste ich gerade denken.

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