AktuellAsienDeutschlandEuropaInternationalÖsterreich

노동회의소 (koreanisch: Arbeiterkammer)

Auf gesamtstaatlicher Ebene gibt es Arbeiterkammern weltweit nur in Österreich und Luxemburg. Geht es nach den Plänen der südkoreanischen Regierung, wird sich dies allerdings bald ändern.

Von Michael Wögerer

Mit Ausnahme von zwei deutschen Bundesländern, Bremen und Saarland, sowie der Arbeitnehmerkammer in Luxemburg (siehe Kasten rechts), gibt es über den Globus nur in Österreich eine gesetzliche Interessenvertretung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Internationale Delegationen zeigten in den letzten Jahren zwar immer wieder Interesse am österreichischen Modell, erzählt Valentin Wedl, Leiter der Abteilung „EU und Internationales“ in der AK Wien, doch bisher gab es noch keine konkreten Initiativen auch in anderen Ländern Arbeiterkammern auf gesamtstaatlicher Ebene einzuführen. Bis auf Südkorea.

Seit den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 stellt dort die sozialliberale Deobureo-minju-Partei (Demokratische Partei des Miteinanders) mit Moon Jae-in, ein ehemaliger Bürgerrechtsanwalt, den Präsidenten. Außenpolitisch setzt die Minjoo-Partei auf Diplomatie mit Nordkorea mit dem Ziel einer Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten. Innenpolitisch stehen die Schaffung von sicheren Arbeitsplätzen, gleiche Bildungschancen für alle, Wohnen und Gesundheit als Grundrecht, nachhaltige Energieerzeugung und die Gleichstellung von Frauen und Männern in der koreanischen Gesellschaft auf der Agenda. Darüber hinaus ist die Einführung eines sozialen Sicherungssystems geplant.

Südkorea vollzog seit der Teilung der koreanischen Halbinsel 1953 einen autoritären Weg vom Agrar- zum Industriestaat. Erst 1987 konnte sich ein demokratisches System mit starkem präsidialen Einschlag etablieren, dennoch gilt die Demokratie in Südkorea bis zum heutigen Tag als nicht komplett gefestigt. Darüber hinaus ist das Land durch den ungelösten Konflikt mit Nordkorea herausgefordert.

Wirtschaftlich wird Südkorea als Vorbild für die ostasiatische Region dargestellt, das Land liegt mit einem BIP von 27.500 Dollar pro Kopf weltweit an 29. Stelle. Dominiert wird die Ökonomie von machtvollen Familienclans, die bereits beim (diktatorischen) Wirtschaftsaufschwung Südkoreas eine zentrale Rolle spielten, darunter Elektronikkonzerne wie Samsung und LG und KfZ-Produzenten wie KIA und Hyundai. Diese verfolgen durch die Bank eine konsequente No-Union-Policy. Das bedeutet, dass sie gewerkschaftliche Aktivitäten in ihren Betrieben schon im Keim zu ersticken versuchen.

Dies war im autoritären Südkorea über Jahrzehnte nie anders. Wenige Großkonzerne machten das große Geld, die ArbeitnehmerInnen wurden mitunter brutal daran gehindert, sich ihren gerechten Anteil zu erstreiten. Insoweit geht die seit den 80er laufende demokratische Wandlung des Staates auch Hand in Hand mit wohlfahrtsstaatlichen Erwartungen und sozialen Kämpfen.

In Südkorea gibt es einen extrem hohen Anteil an prekär Beschäftigten. Schätzungen gehen davon aus, dass 80 Prozent der Erwerbstätigen über keinen unbefristeten Vollzeitarbeitsvertrag verfügen. Betroffen sind insbesondere junge ArbeitnehmerInnen und Frauen.

Eines der Ziele der noch jungen Regierung ist deshalb die Regularisierung der Privatwirtschaft und die Stärkung von Gewerkschaftsrechten. In diesem Zusammenhang steht auch die Einführung von Arbeiterkammern nach österreichischem Vorbild.

Insang Han, vom wissenschaftlichen Dienst des südkoreanischen Parlaments, hielt sich von Juli bis September dieses Jahres in der AK Wien auf, um das österreichische Modell zu studieren. Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit lag dabei auf der Rolle der AK in der Gesetzgebung und ihren Einfluss auf den Arbeitsmarkt.

„Wir stehen noch am Anfang des Prozesses“, so Han. „Damit wir in Südkorea ein AK- und Betriebsratssystem einführen können, muss noch genauer studiert werden, wie das hier in Österreich funktioniert.“ Eine Einführung bis 2022 hält er deshalb für ehrgeizig: „Es wird vielleicht länger dauern. Das ist nicht so einfach. Korea ist anders.“

Hindernisse auf dem Weg zur Einführung einer südkoreanischen Arbeiterkammer sieht auch Valentin Wedl. So spricht sich einer der Gewerkschaftsdachverbände, die KCTU (siehe Kasten links), dagegen aus. „Dies muss man aus der Rivalität der beiden Dachverbände verstehen, aber auch aus einer grundsätzlichen Positionierung, was das Wechselverhältnis von Gewerkschaften und Arbeiterkammern betrifft. Während in Österreich die politische Führung der AK in Händen der Gewerkschaften ist, hätte man in Korea diese Garantie nicht. Insofern fürchtet die KCTU nicht zu Unrecht, dass eine Arbeiterkammer völlig gegen ihre Interessen agieren könnte“, erläutert Wedl.

Bei einer gemeinsamen Reise mit dem internationalen Sekretär des ÖGB, Marcus Strohmeier, nach Seoul im Juli 2017 haben die beiden deshalb im Rahmen der Darstellung zum österreichischen Modell auch jene Voraussetzungen hervor gestrichen, die ihrer Meinung nach erfüllt sein müssen, damit AKs funktionieren können. Dazu zählt insbesondere ein starker Einfluss der Gewerkschaften. Die Arbeiterkammer ist funktional deren Instrument und kein Konkurrent. Die Organisations- und Repräsentationsfähigkeiten der Gewerkschaften müssen erhalten, im Idealfall sogar gestärkt werden. Dies gelingt durch eine intelligente Arbeitsteilung zwischen AK und Gewerkschaften und nur dann, wenn die Arbeiterkammer von Unternehmen und Regierung vollkommen unabhängig agieren kann. Eine gesetzliche Mitgliedschaft aller ArbeitnehmerInnen Südkoreas und deren demokratische Mitbestimmung sind unbedingt erforderlich. Letzterer Punkt spielt insoweit in Südkorea eine besondere Rolle, da auch nach mittlerweile 30 Jahren Demokratie weiterhin autoritäre Elemente fortwirken. „Im schlimmsten Fall wäre die südkoreanische AK ein trojanisches Pferd, mit dem (zukünftige) Machthaber Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen kontrollieren könnten. Dies gilt es mit allen Mitteln zu verhindern“, betont Wedl in einem nach der Reise verfassten Bericht (infobrief eu & international – Dezember 2017).

Grundsätzlich zeigt sich Wedl aber erfreut, dass das österreichische System der Arbeiterkammern in Südkorea Nachahmer findet: „Die Chinesen bauen Hallstatt nach, und die Koreaner die Arbeiterkammer.“ Erfolgreich könne das Projekt allerdings nur dann sein, wenn beide Gewerkschaftsdachverbände an einem Strang ziehen. Versinnbildlicht wäre die südkoreanische AK dann im Idealfall als gemeinsames Dach der Gewerkschaftsbewegung.

Mehr zum Thema:

Titelbild: Flagge von Südkorea (commons.wikimedia.org, public domain)

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.