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Streiken für Klimagerechtigkeit

Seit nun schon sieben Wochen versammeln sich Schüler*innen und Studierende jeden Freitag auf dem Heldenplatz in Wien, um für Klimagerechtigkeit ihre Stimme zu erheben und zu streiken.

Von Alexander Stoff

Inspiriert von Greta Thunberg

Aufgerufen zum Streik wird von Fridays for Future, einer Organisation, die sich inspiriert von der 16-jährigen Schwedin Greta Thunberg zusammengefunden hat. Anstatt die Schule zu besuchen, geht Greta immer freitags vor das Parlament in Stockholm und streikt mit einem Protestschild für Maßnahmen gegen den menschengemachten Klimawandel. Einer breiteren Öffentlichkeit ist sie durch ihre eindrücklichen Worte beim UN-Klimagipfel COP24 im polnischen Katowice bekannt geworden, wo sie auf die mangelhafte Umsetzung der Klimaziele hingewiesen hat.

Greta Thunberg hat damit eine Bewegung angestoßen, denn seither blühen in verschiedenen Ländern große Proteste und Streiks von Schüler*innen auf. So auch in Wien.

Katharina Rogenhofer von Fridays for Future Wien hielt sich in jenen Tagen in Katowice auf und war beeindruckt vom Protest Greta Thunbergs. Rogenhofer dachte: „Das ist so ein starkes Bild – dieses Mädchen, das dort am Gang sitzt und sagt: es ist das Wichtigste, dass wir das in den Griff kriegen, weil sonst haben wir keine schöne Zukunft für unsere Kinder, aber auch für alle, die jetzt leben. Und da haben wir beschlossen, dass wir das auch in Wien machen wollen – in Solidarität mit ihr.“

Stimmen vom Klimastreik

Barbara ist Studentin und hat schon öfter am Klimastreik in Wien teilgenommen. Sie ist von Gretas Reden beeinflusst und hat bemerkt, dass die Beteiligung an der Aktion am Heldenplatz mit der Zeit gewachsen ist. Barbara gefällt die Begeisterung, mit der alle bei der Sache sind. Auch die Vielfalt an Aktivitäten – vom Schreiben von Liedern und Plakaten bis zum Klimatanz – beeindruckt sie. Zu einem der wichtigsten Anliegen gehört für Barbara, dass die Regierung anerkennt, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt. Und neben klimapolitischen Maßnahmen wie Steuern auch die Verhinderung von klimaschädlichen Großprojekten wie die Dritte Piste und der Lobautunnel.

Die Studentin Sarah nimmt am Klimastreik teil, um die Regierung dazu zu bewegen, sich mehr dem Klimawandel zu widmen. Sie tritt gegen Ressourcenausbeutung ein und möchte ein Zeichen setzen, dass Verantwortung übernommen und das Verhalten geändert wird, damit unserem Planeten kein Schaden mehr zugefügt wird. Aktivistisch tätig zu sein ist für Sarah neu, sie arbeitet an ihrem eigenen Verhalten, indem sie mehr mit dem Fahrrad unterwegs ist und auf Plastik und Fleisch verzichtet. Da der Spaß bei der Aktion nicht zu kurz kommt, wird sie gerne wieder kommen.

Maximilian ist einer der Mitorganisatoren des Klimastreiks in Wien und von Anfang an mit dabei. Auch für ihn ist der Aktionismus von Greta Thunberg eine Inspiration und er sucht nach Wegen, den Schulstreik auch in Wien zu verankern. Maximilian weist auf die Diskrepanz hin, dass einerseits die Wissenschaft aufzeigt, welche Folgen der Klimawandel mit sich bringt, andererseits wird dies auf der Ebene der Politik nicht wahrgenommen. Daher protestiert der Student auch dafür, dass die Politik das Problem ernst nimmt und Maßnahmen setzt, um eine Katastrophe zu verhindern. Er ist optimistisch, dass Veränderung eintreten wird, denn es gibt viele Initiativen für Klimagerechtigkeit wie Students for climate action an der Wirtschaftsuniversität, das Klimavolksbegehren und Extinction Rebellion, eine Bewegung für zivilen Ungehorsam aus England. Damit die Bewegung noch weiter wächst, wünscht sich Maximilian mehr Beteiligung von Schüler*innen, die Thunbergs Botschaft aufgreifen und für Klimagerechtigkeit die Schule bestreiken. Auch mehr Medienpräsenz würde dem Thema gut tun, findet er. Für wichtig erachtet es Maximilian, dass die Bewegung nicht nur gegen etwas protestiert, sondern auch vermittelt, wofür sie eintritt.

Auf dem Weg zur Klimagerechtigkeit

Die schwarz-blaue Regierung unternimmt keine ausreichend ambitionierten Schritte, um die Klimakrise aufzuhalten, sagt Katharina Rogenhofer von Fridays for Future. Stattdessen werden Umweltgesetze aufgeweicht. Im Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wird aufgezeigt, dass es schon einen großen Unterschied ausmache, ob die globale Erwärmung auf 1,5 oder 2 Grad gehalten werde – letzteres wurde 2015 bei der Klimakonferenz von Paris als Ziel beschlossen. Menschen flüchten von Inseln, die bald nicht mehr existieren werden. Korallenriffe sterben ab. Enorme Hitzewellen, wie der Hitzesommer im vergangenen Jahr, führen zu Ernteausfällen und dem Zwang, neue Anbaumethoden für Lebensmittel zu finden, weil die herkömmlichen nicht mehr funktionieren. Ansätze wie jene der Regierung, die Menschen zum Umstieg auf E-Mobilität zu bewegen, sind nicht genug.

Zu den Anliegen von Fridays for Future zählt eine ökosoziale Steuerreform. Es sollen also umso mehr Steuern bezahlt werden, je mehr CO2-Emissionen ausgestoßen werden. Eine höhere Steuer wäre für Industrien mit hohem Ausstoß von CO2 ein Anreiz, diesen zu reduzieren. Erhöhte Steuereinnahmen könnten dann in den Ausbau und die Leistbarmachung von öffentlichen Verkehrsmitteln fließen, so Rogenhofer. Eine Verabschiedung vom motorisierten Individualverkehr ist bedeutsam, da in Österreich der größte Anteil am CO2-Ausstoß beim Verkehr liegt. Als Vorbild sieht Rogenhofer Luxemburg, wo soeben erst der öffentliche Verkehr für die Bevölkerung gratis zugänglich gemacht wurde. Dazu kommt der Ausbau von Radwegen in der Stadt. Ein weiteres Anliegen von Fridays for Future ist der Kohleausstieg und der Umstieg auf erneuerbare Energien. Auf einer lokalen Ebene gibt es bereits Versuche, ökosoziale Projekte umzusetzen, die in eine richtige Richtung gehen, meint Rogenhofer, wie zB ökologischer Landbau und Reparaturwerkstätten als Maßnahme gegen die Wegwerfgesellschaft.

Für Rogenhofer zeigen die aktuellen Proteste der Gelbwestenbewegung in Frankreich, dass eine ökosoziale Steuerreform auch mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar sein müsse. Am meisten unter dem Klimawandel leiden ärmere Staaten oder Inselstaaten, aus denen größere Fluchtbewegungen zu erwarten sind. Es müsse auch mit Mythen aufgeräumt werden, wie etwa die Behauptung, dass sogenannte „Überbevölkerung“ den Klimawandel verstärke. „Fünf oder sechs Kinder in Bangladesch haben sicher nicht so einen CO2-mäßigen Fußabdruck wie ich. Am meisten CO2 wird von den reichen Industrieländern ausgestoßen. Es ist nicht an den Menschen, die jetzt dazukommen. Es ist auch nicht an den Menschen, die viele Kinder kriegen. Es ist an uns, die ersten Schritte zu setzen“, fordert Rogenhofer. Die reichen Industrieländer müssten erneuerbare Energien leistbar und effizienter machen und das Verkehrssystem nachhaltig ausbauen, damit andere Regionen auf der Welt nachziehen können. Der frühere Weg über umweltschädliche Technologien wie die Kohlekraft müsse vermieden werden.

Wie bei System change not climate change steht auch bei Fridays for Future die grundsätzliche Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsweise im Zentrum. Denn so wie bisher kann es nicht weiter gehen. Rogenhofer kritisiert, dass in unserer Zeit alles danach beurteilt wird, ob es der Wirtschaft und dem Wachstum diene. Dabei sollte es genau anders sein: die Wirtschaft sollte so gestaltet werden, dass ein ökologisch nachhaltiger und sozial gerechter Weg möglich wird.

Breiter Dialog und Vernetzung

Fridays for Future hat den Anspruch, möglichst breit zu wirken und versucht, sich auch mit NGOs zu vernetzen. Es geht besonders um die Zukunft der jungen Generationen, die Auswirkungen des Klimawandels sind aber schon heute für viele spürbar. Auch wäre es viel verlangt, den ganzen Druck auf den Schultern von Minderjährigen abzuladen, so Rogenhofer. Daher liegt es in unser aller Verantwortung, an der Bewegung für Klimagerechtigkeit mitzuwirken.

Im Moment arbeitet Fridays for Future am internationalen Austausch und an einer Vernetzung mit Bewegungen in anderen Ländern. Bei den wöchentlichen Versammlungen beim Parlament möchten die Aktivist*innen mit den Leuten auf der Straße ins Gespräch kommen. Deshalb wird den Passant*innen am Heldenplatz Tee angeboten und es wird diskutiert. Die Resonanz empfindet Rogenhofer als durchwegs positiv, was sie sich damit erklärt, dass Fridays for Future nicht nur Kritik übt, sondern auch einen konstruktiven Beitrag leisten will und eine Gruppe von netten Menschen ist, die möglichst inklusiv sein möchte. Ein Austausch findet mit den Menschen vom Klimavolksbegehren und mit Studierendenvertretungen statt. Auf lange Sicht möchten die jungen Aktivist*innen eine Plattform etablieren, um auch mit Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft in einen Dialog zu treten. Bewegung ortet Rogenhofer auch in der Wirtschaft. So haben 318 Unternehmen einen Brief an die Regierung unterschrieben, in dem sie für mehr klimagerechte Regulierungen eintreten.

Schulstreik

Eine wichtige Praxis in der jungen Ökologiebewegung stellt der Streik dar – vor allem der Schulstreik, weil die Bewegung in vielen Ländern von Schüler*innen getragen wird. Für Rogenhofer ist der Streik ein bedeutendes Mittel zur Mitbestimmung in einer Demokratie. In Wien sind bisher vor allem Studierende am Aufbau der Bewegung beteiligt, daher ist das Mittel des Streiks hier noch nicht ganz angekommen. Wohl werden auch Studierende den Vorlesungsbetrieb an den Universitäten bestreiken, aber aufgrund der noch geringen Beteiligung von Schüler*innen hat es sich noch nicht zu einem umfassenden Schulstreik ausgewachsen. Rogenhofer findet es auf jeden Fall ein wichtiges Zeichen, wenn für eine lebenswerte Zukunft mehr Druck auf das System ausgeübt wird, indem bei der Arbeit, an der Schule und Universität gestreikt wird.

Mit Blick auf Länder wie Deutschland und Schweiz, wo sich die Proteste von Schüler*innen für Klimagerechtigkeit mittlerweile zu einem Massenphänomen entwickelt haben, sieht Katharina Rogenhofer die Perspektive für regelmäßige Schulstreiks in Österreich schwierig. Denn Schüler*innen können bei fünf unentschuldigten Fehlstunden ohne Begründung von der Schule verwiesen werden, was viele davon abschrecken wird, zu streiken. Es würde also Solidarität seitens der Klassenvorstände und Direktor*innen erfordern, damit sich mehr Schüler*innen dazu entschließen zu streiken. Jedenfalls stellt Rogenhofer fest, dass die Bewegung auch in Österreich wächst, was dadurch sichtbar wird, dass schon ganze Schulklassen an den Protesttagen teilnehmen, wo gemeinsam Parolen wie „Wessen Zukunft? Unsere Zukunft!“ gerufen werden. Der internationale Streiktag am 15.3. wird eine Gelegenheit bieten, in größerem Ausmaß für Klimagerechtigkeit auf die Straße zu strömen.

Fotos: fridaysforfuture.at

 

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