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Türkis-Blau hat sich für junge Arbeitslose nicht interessiert

Kurz/Strache I: Arbeitsmarktpolitik für Jugendliche war widersprüchlich und ineffizient

Von Alban Knecht, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaften und Bildungsforschung der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt & Dennis Tamesberger, Referent für Arbeitsmarktpolitik in der Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der Arbeiterkammer OÖ

Türkis-Blau hat sich für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht interessiert. Dabei wollte die Regierung „den Mangel an Fachkräften“ beheben. Ausreichend Fachkräfte kann es aber nur geben, wenn sie auch ausgebildet werden. Statt eine Qualifizierungsoffensive zu starten und jugendliche Arbeitnehmer*innen auf den digitalen Strukturwandel vorzubereiten, hat die alte Regierung den Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Leben schwergemacht. Umdenken ist angesagt.

12-Stunden-Tag trifft auch Lehrlinge über 18

Durch die Änderung des Arbeitszeitgesetzes können seit September 2018 12-Stunden-Arbeitstage sowie 60-Stunden-Arbeitswochen – ohne Mitwirkung des Betriebsrates – zum Normalfall werden. Das Gesetz gilt explizit auch für Lehrlinge über 18 Jahre; das sind nach Schätzungen bis zu 40.000 junge Menschen, die von der Ausweitung der höchstzulässigen täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden bzw. der wöchentlichen Arbeitszeit auf 60 Stunden betroffen sein können. Aufgrund der geringen Lehrlingsentschädigung kommen Überstunden dieser Gruppe den Arbeitgeber*innen günstig und sind somit sehr wahrscheinlich. Auch die Verschlechterung im Arbeitsruhegesetz, welches die Ruhezeit bei geteilten Diensten in Gast-, Schank- und Beherbergungsbetrieben von elf auf acht Stunden reduziert, kann Lehrlinge über 18 Jahre treffen. Das neue Arbeitszeitgesetz verschlechtert somit die Arbeitsbedingungen auch für Lehrlinge und entfernt die betriebliche Lehrausbildung von ihrem primären Ziel des Erlernens eines Berufes. Beides widerspricht der Idee, mehr Fachkräfte auszubilden, und ist der Suche von einzelnen Betrieben nach potenziellen Lehrlingen nicht förderlich.

Weniger Geld in der überbetrieblichen Ausbildung und der Produktionsschule

Die im internationalen Vergleich relativ niedrige Jugendarbeitslosenquote in Österreich ist u. a. auf die 2007 eingeführte Ausbildungsgarantie zurückzuführen, die später zur „AusBildung bis 18“ erweitert wurde. Jugendliche sollen sich nach der Pflichtschule weiterbilden, um langfristig möglichst gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt und eine gute Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben zu haben („educate first“ statt „work first“). Wer keine Lehrstelle findet, kann eine Lehre in einer überbetrieblichen Ausbildung machen. Da rund zwei Drittel der arbeitslosen jungen Menschen zwischen 19 und 24 Jahren sind, wurde auch für diese Zielgruppe eine Ausbildungsgarantie etabliert. Gerade jungen Erwachsenen, die aufgrund schwieriger familiärer Startbedingungen und der hohen Selektivität des österreichischen Bildungssystems Schwierigkeiten hatten, eine weiterführende (Aus-)Bildung zu absolvieren, können in diesem Alter durch eine neue Chance mögliche Fehlentscheidungen im bisherigen Bildungsweg kompensieren und dadurch als zukünftige Fachkräfte gewonnen werden. Unabhängig von volkswirtschaftlichen Argumenten scheint diese zweite oder dritte Chance auch aus Gerechtigkeitsüberlegungen angebracht. Doch auch hier wurden 2018 die Gelder, die diese jungen Erwachsenen für den Lebensunterhalt bekommen, gekürzt: Bisher erhielten Lehrlinge in der überbetrieblichen Ausbildung, die älter als 18 Jahre sind, 753 Euro monatlich. Mit der Neuregelung erhalten sie während der beiden ersten Lehrjahre nur mehr 326 Euro. Auch die Beihilfen für über 18-Jährige in sogenannten „ausbildungsvorbereitenden“ Maßnahmen (wie z. B. Produktionsschulen) sind seit Juni 2019 auf 11,08 Euro pro Tag gesenkt worden. Vorher betrug die Beihilfe (je nach Stundenausmaß) zwischen 17,99 Euro und 25,60 Euro pro Tag. Damit wird es für junge Erwachsene, die vielfach einen eigenen Haushalt oder eine Familie finanzieren müssen, unattraktiv bzw. nicht mehr leistbar, eine Berufsausbildung nachzuholen. Ihre Arbeitsmarktlage verschlechtert sich dadurch nachhaltig, und die Anzahl an zukünftigen Fachkräften sinkt. Es wurden aber nicht nur die Einkommen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen beschnitten, sondern auch die Gelder für die Maßnahmen.

Kürzung des AMS-Förderbudgets

Im Rahmen einer Kürzung des gesamten AMS-Förderbudget von 1,545 Mrd. Euro (2017) auf 1,251 Mrd. Euro (2019) wurde auch das Budget für die überbetriebliche Lehrausbildung (ÜBA) gekürzt: Die reservierten AMS-Budgetmittel für die ÜBA und für die integrative Berufsausbildung sanken in diesem Zeitraum von 176 Mio. Euro auf 157,6 Mio. Euro. Das reservierte AMS-Förderbudget für die Ausbildungspflicht bis 18 wurde in den beiden Jahren zwar um 11,5 Mio. Euro angehoben, die Ausbildungsgarantie für junge Erwachsene zwischen 19 und 24 Jahren aber um 37 Mio. Euro gekürzt. Dies hat mehrere negative Konsequenzen. Erstens werden viele Jugendliche kein adäquates Angebot einer Lehrausbildung erhalten. Sie werden entweder arbeitslos sein, Hilfstätigkeiten annehmen oder Lehrausbildungen machen, die nicht ihren Eignungen, Neigungen und den gewünschten Arbeitsbedingungen entsprechen, da sie keine Alternativen haben (siehe dazu auch Abb. 1). Zweitens wird das vorhandene Fachkräftepotenzial nicht richtig ausgeschöpft. Drittens müssen wegen der abrupten Kürzungen die Einrichtungen, die die Jugendlichen unterstützen, um ihre Existenz kämpfen, und damit sind Arbeitsplätze gefährdet. Dabei werden bewährte Strukturen mit viel praxistauglichem Wissen zerstört, die in einer möglichen Rezession kurzfristig nur schwer wiederbelebt werden können.

Auch für die Integration von Migranten und Asylberechtigten wurden massiv AMS-Mittel gekürzt, u. a. für die Maßnahmen im Rahmen des Integrationsjahrgesetzes. Seit 2019 fehlt es daher an Mitteln für Deutschkurse, Kompetenzchecks und Berufsberatung – lauter Maßnahmen, die erst vor Kurzem eingeführt wurden, um die Integration und einen gelingenden Arbeitsmarkteinstieg zu ermöglichen. Ausgebremst werden aber nicht nur die Asylberechtigten, sondern auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die erst einen Asylantrag gestellt haben.

Abschieben statt Fachkräfte ausbilden

Seit dem Jahr 2012 gab es in Österreich für junge Asylwerber*innen unter 25 Jahren die Möglichkeit, unter strengen Voraussetzungen eine betriebliche Lehre in einem sogenannten Mangelberuf zu absolvieren. Insbesondere mussten Arbeitgeber*innen und das AMS bestätigen, dass die Stelle nicht anderweitig besetzt werden konnte. Jugendliche Asylwerber*innen wurden also gerade dort eingesetzt, wo niemand anderer zu finden war. Im September 2018 wurde diese einzige Möglichkeit für Asylwerber*innen, eine Ausbildung zu machen, abgeschafft, was zu breiten Protesten von Zivilgesellschaft, Opposition und Unternehmer*innen führte. Junge Asylwerber*innen unterliegen mit dem Vollenden des Pflichtschulalters, also ca. mit 15 Jahren, weder der Schulpflicht noch der Ausbildungsverpflichtung. Wenn sich die Verfahren hinziehen, gibt es für sie kaum Bildungsangebote, und sie sind teilweise zu jahrelanger Passivität verdammt. Dieser Ausschluss vom Arbeitsmarkt und den Bildungsangeboten hat weitreichende negative Auswirkungen: Eine Untersuchung zeigt, dass die in Deutschland für Asylsuchende geschaffene Möglichkeit, schneller zu arbeiten, auch langfristig starke positive Effekte für die Arbeitsmarktintegration hatte. Dagegen sind Arbeitsverbote für Asylwerber*innen mit hohen Kosten für den Staat verbunden.

Mehr Lehrstellensuchende

Diese Gesamtzahl an arbeitslosen Jugendlichen ist zwar rückläufig, dennoch scheinen sich Probleme am Arbeitsmarkt aufzutun. Die Anzahl der Lehrstellensuchenden steigt in Österreich wieder seit Oktober 2018. Dies ist eine Trendumkehr, da sie in den letzten Jahren gesunken ist. Hintergrund scheint (bis jetzt) weniger ein konjunkturell bedingter Rückgang des Lehrstellenangebots wie während der Finanz- und Wirtschaftskrise zu sein, sondern vor allem, dass es nicht die passenden Angebote für benachteiligte Jugendliche gibt. Betriebe eröffnen nach wie vor Jugendlichen mit sozial-emotionalen Auffälligkeiten, mit Lernschwierigkeiten oder mit schlechten Schulzeugnissen keine Chance auf eine Ausbildung. Ungleiche Chancen im Bildungssystem setzen sich so am Arbeitsmarkt fort und verfestigen sich. Gleichzeitig führen die Kürzungen in der überbetrieblichen Lehrausbildung zu einem geringeren Angebot und zu weniger Alternativen für Lehrstellensuchende.

Lehrstellensuchende

Umdenken ist angesagt

Insgesamt wurde in den letzten beiden Jahren die Situation von jungen Menschen erheblich erschwert. Die Politik muss sich verstärkt auch um diejenigen kümmern, die nicht auf Anhieb in das Ausbildungs- oder Erwerbssystem finden. Investitionen in diesem Bereich bringen langfristig gleichermaßen den Jugendlichen wie der Gesellschaft einen Gewinn. Angesichts eines drohenden Konjunkturabschwungs sollte die nächste Regierung präventive Maßnahmen setzen, um Jugendarbeitslosigkeit zu verhindern, und so dafür sorgen, dass Neueinsteiger*innen einen Ausbildungsplatz und einen Job bekommen. Österreich kann hier auf die erfolgreichen Erfahrungen im Rahmen der Ausbildungsgarantie bzw. ‑pflicht zurückgreifen. Gleichzeitig verändert der digitale Strukturwandel die Arbeitsinhalte und Arbeitsanforderungen in der modernen Arbeitswelt. Eine Qualifizierungsoffensive ist daher notwendig, um junge Menschen bestmöglich auf diese Veränderungen vorzubereiten. Zentral erscheint ein ausreichendes AMS-Förderbudget für zusätzliche Ausbildungs- und Qualifizierungsplätze sowie für individuelle, niederschwellige Beratung und Begleitung von Jugendlichen. Eine stärkere Förderung von Integrationsmaßnahmen für Asylwerber*innen und Asylberechtigte ist eine sinnvolle Maßnahme zur Sicherung des Fachkräftepotenzials, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und nicht zuletzt für die positive Entwicklung der Betroffenen.

Wichtig ist dabei, dass die neue Regierung allen Jugendlichen signalisiert, dass ihre Beteiligung für die Gestaltung der Zukunft wichtig ist und sie einen sicheren Platz in der Mitte der Gesellschaft verdienen. Kürzungen des arbeitsmarktpolitischen Budgets, die dazu führen, dass Unterstützungsangebote gestrichen werden, benachteiligen besonders diejenigen, die schon bisher wenig Chancen hatten. Werden die frei werdenden Mittel für Steuersenkungen verwendet – die ÖVP/FPÖ-Regierung hatte eine Senkung der Körperschaftsteuer von 25 Prozent auf 20 Prozent erwogen –, dann gewinnen wieder andere, und die Jugendlichen werden doppelt benachteiligt. Eine künstlich produzierte Knappheit des AMS-Budgets führt zu unnötigen Verteilungskämpfen, zur Zerstörung von bewährten Strukturen und Ausgrenzungen. Effizient ist Arbeitsmarktpolitik dann, wenn sie alle mitnimmt und niemanden zurücklässt.

 

Dieser Beitrag wurde am 12.08.2019 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: AMS (Foto: Pia Schmikl)

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