Kultur

Vom Suchen & Finden: 50 Shades of Red

Kolumne von Andreea Zelinka (Rotes Antiquariat Wien)

Eine Sache, auf die ich schon recht früh im Antiquariat gestoßen bin, ist, dass Menschen, die sich mit sozialistischer und anarchistischer Literatur beschäftigen, nicht automatisch cool sind. Ein Kunde hält bisher den ersten Platz, wenn es darum geht den Vogel abzuschießen. Graphiker, ungekämmte lange Haare zu einem lockeren Zopf gebunden, vom Typ her mehr Hippie als Altlinker, zudem Sammler und interessiert an einer Ausgabe „Eroberung des Brotes. Wohlstand für alle“ von Pjotr Alexejewitsch Kropotkin. Das broschierte Büchlein erschien 1921 im Berliner Verlag Der Syndikalist und beinhaltet ein Vorwort von Rudolf Rocker. Herausgeber war Fritz Kater, deutscher Gewerkschafter und Anarchosyndikalist, der den Verlag bis 1929 leitete. Dieser trug denselben Namen wie die Zeitschrift, Der Syndikalist, die auf die verbotenen Die Einigkeit und Der Pionier folgte und von 1918 bis 1932 erschien. Nachdem sie ab 1931 mehrmals verboten wurde, erschien die Zeitschrift als Arbeiterecho weiter.

„Die Eroberung des Brotes“ ist eine zentrale Schrift Kropotkins, in der er grundlegend den anarchistischen Kommunismus zu definieren versucht und bereits hier die Gegenseitige Hilfe zum Fundament seiner Theorien macht. Der Einband ist in einem hellbraunen Ton gehalten, dessen Cover ein Bouquet aus Weizenähren zeigt, aus dem Hände ringen und sich gen Sonne strecken, die in der Mitte, umringt vom kostbaren Gold, strahlt. Der Kunde erzählte mir, dass er an einer Bibliographie dieser Ausgabe arbeite und war besonders an der Farbgebung des Machwerks interessiert, denn das Buch sei in unterschiedlichen Braun- und Rottönen erschienen und ihm sei daran gelegen die Schattierungen seiner Farbgebung zu dokumentieren. Als nächstes begann er von seiner Sammeltätigkeit zu erzählen und wie das Sammeln doch, ach, eine ur männliche Tätigkeit sei. Frauen, so ließ er mich wissen, sammelten nicht, außer Schuhe natürlich, aber jedenfalls nichts weiter Wertvolles oder gar Geistreiches. Er unterließ es nicht bei mir und meinem Bekannten, ein Cis-Mann, der gerade zu Besuch war, nachzufragen – obwohl er wusste, dass ich es bin, die hier arbeitet. Er fragte ihn also, ob er denn sammele. Der Bekannte stammelte irgendwas von wegen eher nicht, ja, manchmal. Dann wandte er sich an mich, „und Sie?“, fragte er mich erwartungsvoll und platzte fast vor Freude gleich einen ultimativen Beweis erbracht zu haben.

Ich bin mir nicht sicher, was in ihm vorgegangen sein muss, dass er mit einer solchen Überzeugung und Inbrunst davon ausging, dass ich sagen würde: Nein, ich sammele nicht, denn ich bin eine Frau und mich interessiert wirklich nur wie ich möglichst abwechslungsreich meine Füße bekleiden kann, aber sonst nichts, auch nicht diese Bücher und Broschüren mit denen ich ständig in Berührung komme, weil ich hier arbeite, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, fällt mir auch gar nicht ein, warum ich hier arbeite und nicht in einem Schuhladen, ja, eigentlich sollte ich hier sofort kündigen, denn, so fällt mir gerade auf, ich kann nicht mal lesen, denn das können ja nur Männer, denn die haben auch die richtigen Augen dafür, die wir Frauen nicht haben, das ist allseits bekannt. Ich antwortete also, „Ja, ich sammele“, woraufhin ihn diese unerwartete Antwort aus dem Konzept brachte und er perplex etwas mir Unverständliches stammelte.

Patriarchales und sexistisches Denken machen nicht vor linken Männern Halt. Es bleibt ein Erfordernis, dass Männer und männlich sozialisierte Personen ständig an ihrer feministischen Befreiung arbeiten und Erlerntes verlernen. Patriarchat und Sexismus betreffen auch nicht nur einige Frauen und andere nicht, sondern alle und macht auch nicht vor Männern halt. Anarchismus ist mit Feminismus untrennbar verbunden. Aber auch eine marxistische Denkweise, die unbezahlte Reproduktions- und Sorgearbeit nicht mitdenkt und intersektionale Betrachtungen außer Acht lässt, gehört in die Tonne. Es ist 2020 und ja, im Antiquariat arbeitet eine Frau – also bitte, liebe Herren, wenn Sie mir das nächste Mal eine E-Mail schreiben, dann hängen Sie doch an das „Sehr geehrte Herren“ auch ein „Damen“ dran. Danke.

Titelbild: Color Hex


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