EuropaGesundheit

Ungarn vs. LGBTIQ: Autsch!

Unter Viktor Orbán wurde in Ungarn ein neues Gesetz erlassen, wodurch transgender und intergeschlechtliche Menschen der erhöhten Diskriminierung und Intoleranz ausgesetzt werden. 

von Oliver Suchanek

Die ungarische Regierung veröffentlichte am 31. März einen Entwurf eines umfassendes Gesetzespakets, welches die Rechte von transgender Menschen enorm einschränkt. Mit dem Artikel 33 wird das „Geschlecht“ durch das unveränderbare „Geschlecht bei der Geburt“ („születési nem“) ersetzt. Sprich, transgender und intergeschlechtliche Personen können ihren Eintrag nicht ihrem Geschlecht entsprechend ändern, was sie dazu unweigerlich zwingt, sich im alltäglichen Leben stets zwangsouten zu müssen. Abgesehen davon, dass dies einen harten Schlag ins Gesicht für die LGBTIQ-Community darstellt, füttert dieser Rückschritt den bereits bestehenden Hass gegen queere Menschen und erhöht damit das Risiko von Gewaltverbrechen.  

Für die Menschen, die bereits in den letzten Jahren erfolgreich ihre Dokumente ändern ließen, könnte dies ebenfalls bedeuten, dass die Eheschließungen der Personen wieder aufgelöst werden – nachdem die Einträge nicht mehr gelten und gleichgeschlechtliche Ehe in Ungarn nicht besteht.  

Stonewall Inn, a gay bar on Christopher Street in Manhattan’s Greenwich Village. (commons.wikimedia.org; Lizenz: CC BY-SA 4.0)

Trotz dem internationalen Aufschrei als Reaktion auf diese Aktion stimmte das ungarische Parlament am 19. Mai 2020 mit 137 Ja-Stimmen und 53 Nein-Stimmen für die Genehmigung des Artikel 33.

Es ist schwierig über diese Thematik zu schreiben, wenn man beim Durchlesen der diversen Artikeln und deren Kommentare von etlichen Menschen sofort einen flauen Magen bekommt. Normalerweise begegne ich dem Juni mit Freude, da dieser Monat die Gelegenheit dazu bietet, die Vielfalt von Identitäten zu feiern und für mehr Akzeptanz zu demonstrieren. Die Pride Parade soll an die Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 erinnern, in der der Aufstand beim Lokal Stonewall Inn stattfand und somit die Bewegung für die LGBTIQ-Community startete. Diese Nacht war entscheidend im Aufstand für die Gleichberechtigung. Allerdings muss ich zugeben, dass es schwierig ist, diese Wende zu feiern, wenn mir heute noch im 21. Jahrhundert die große Welle an Transfeindlichkeit und Ignoranz ins Gesicht schlägt, sobald ich mich mit der Situation Ungarns auseinandersetzen möchte. Es hilft nicht das Motto “Liebe ist Liebe” zu posten und voller Stolz den bunten Merchandise von diversen Marken zu tragen, weil der Regenbogen ja achso-schön ist, wenn währenddessen etliche transgender, nichtbinäre und intergeschlechtliche Menschen stets weiterhin um ihre Existenz (aktuell: Ungarn) zittern oder um ihre Akzeptanz und Toleranz (selbst hier in Österreich) kämpfen müssen. 

Nicht nur, dass es mich jedes Mal enorm frustriert, von Nachrichtenquellen wie ZiB oder standard.at zu sehen, dass sie unbedacht Schlagzeilen mit den Worten “Transsexuell” und “Geschlechtsumwandlung” (1) auf diversen sozialen Medien wie Instagram und Facebook posten, viel mehr war es ein Graus in die Kommentare hineinzulesen. Was besonders auffällig ist: Es werden stets dieselben Argumente wiederholt verwendet und auf diese möchte ich jetzt genauer eingehen.

Biologie: Es gibt mehr als zwei Geschlechter. 

Das Geschlecht hängt von mehreren Faktoren ab. Selbst auf der chromosomalen Ebene gibt es mehr als nur XX und XY. Genauso kann man nicht zwingend anhand der Kombination erschließen, mit welchen primären Geschlechtsorganen die Menschen geboren werden. Die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit sind sehr fließend, wie mittlerweile selbst die Biologie und Wissenschaft erkannt hat, nichtsdestotrotz ist die Information nicht ganz bei allen angekommen. Wie schwer ist es zu verstehen, dass die angeborenen (sichtlichen) Geschlechtsorgane nichts über das tatsächliche Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität aussagen?

Claire Ainsworth, wissenschaftliche Journalistin mit einem Doktor in Entwicklungsbiologie, erläutert die Thematik in ihrem Artikel “Sex redefined” (erschienen in der Fachzeitschrift “Nature”) folgendermaßen: In der Biologie besteht bereits eine sehr differenzierte Sichtweise der Geschlechter, allerdings muss die Gesellschaft das erst noch aufholen. Wenn wir die Genetik betrachten, verschwimmt die Grenze zwischen den Geschlechtern noch mehr. Fast jeder Mensch besteht zu einem gewissen Grad aus verschiedenen Zellen und durch die neue Techniken der DNA-Sequenzierung und Zellbiologie wird aufgezeigt, dass manche der Zellen ein Geschlecht haben, das dem Rest des Körpers eigentlich nicht entspricht. Sie betont, dass es beim Geschlecht keine einfache Zweiteilung gibt, genauso weniger, dass jede Zelle eines Individuums dasselbe Set von Genen hat. Es spielt sich im Körper mehr ab, als das, außerhalb zu “sehen” ist. 

Intergeschlechtliche Menschen, deren Geschlecht nicht der medizinischen Norm von “eindeutig” männlichen/weiblichen Körpern entspricht, bewegen sich in einem Spektrum dazwischen. Es sind sich viele Menschen nicht ihres eigenen Sets an Chromosomen bewusst, viele intergeschlechtliche Menschen kommen erst später darauf, wie beispielsweise der österreichische Skirennläufer Erik Schinegger, der den Weltmeistertitel im Abfahrtslauf gewann und im Vorfeld der Olympischen Spiele 1968 bei einem medizinischen Test feststellte, dass er männlich ist, aber bei der Geburt als weiblich zugewiesen wurde. 

Zu sagen, dass transgender und intergeschlechtliche Menschen “gegen die Natur” sind, ist mittlerweile ein enorm veraltetes Weltbild.  

Transrechte sind Menschenrechte

Trans Rights are Human Rights (Foto: Marc Nozell auf flickr.com; Lizenz: CC BY 2.0)

Den Zugang zur legalen Anerkennung und Transition des Geschlechts für transgender Personen zu verwehren, verstößt gegen die Menschenrechtsstandards und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Das bedeutet, die ungarischen Behörden müssten gewährleisten, dass die transgender Menschen Zugang zu raschen und transparenten Verfahren zur Änderung ihres Namens und Geschlechts im Standesamt sowie auf Personalausweisen, Pässen, Zertifikaten und sonstigen Dokumenten haben. Allerdings stellt sich die ungarische Regierung bereits seit zwei Jahren quer und verzögert bis heute die Prozesse vieler transgender Menschen, nur um ihnen jetzt die Transition völlig zu verbieten.  

Transgender Menschen haben das Recht auf rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts aufgrund ihrer Selbstbestimmung ich sehe nicht ein, wieso dies heute im 21. Jahrhundert stets eine Diskussionsfrage ist. Die Anerkennung ist ein wesentlicher Schritt, um die Achtung ihrer Menschenrechte im alltäglichen Leben einhalten zu können. 

Die legale Anerkennung des Geschlechts ist eine Frage der Menschenwürde. Das erkannte auch die WHO (Weltgesundheitsorganisation) und arbeitete an der Erneuerung des Kataloges ICD-11, indem ab 2022 offiziell feststehen wird, dass die Transidentität nicht mit psychischen Krankheiten gleichzusetzen ist. 

Dieser Schritt von Orbán bringt die Trans*-Community nicht nur absichtlich zum Schweigen, vielmehr wird versucht, ihre Existenz zu leugnen. Die bittere Ironie an der Aktion von der ungarischen Regierung besteht darin, dass der Entwurf am 31. März veröffentlicht wurde – am Transgender Day of Visibility. Der Tag, wo eigentlich die Existenz und Sichtbarkeit der transidenten Personen gefeiert wird. Autsch. 


Fußnote:
(1) 
Nicht Geschlechtsumwandlung, sondern Geschlechtsangleichung: denn Ersteres  impliziert, dass das Geschlecht gewechselt wird, was nun nicht der Fall ist – immerhin war man nicht etwas „Anderes“. Bevor der (optionalen) Transition – nicht jede trans* Person macht eine Transition – ist ein Transmann ein Mann, sowie eine Transfrau eine Frau ist. Deswegen spricht man von einer Geschlechtsangleichung; sprich, das Äußere wird angeglichen.


Titelbild: The Transgender Pride Flag flies on the Foreign Office building in London on Transgender Day of Remembrance, 20 November 2017 (Quelle: foreignoffice auf flickr.com / CC BY 2.0)

Artikel teilen/drucken:

3 Gedanken zu „Ungarn vs. LGBTIQ: Autsch!

  • Sophie Giller

    Erik Schinecker war weder Trans- noch Intersexuell sondern ist als Mann geboren. Hoden und Penis sind nicht aus der Bauchfalte gerutscht und der Säugling war daher nicht eindeutig als Bub erkennbar. Die Hebamme hat dem Baby ein weibliches Geschlecht attestiert.
    Der österreichische Schiverband wollte diese Tatsache unter dem Tisch kehren.

    Antwort
  • Ja leider hast Du völlig Recht! auch hier in Österreich ist es ein ständiger Hürdenlauf?‍♀️auswandern , nur wohin, ich suche seit zwei Jahren denn mich hat man erst völlig fertig gemacht und dann pensioniert! na danke! hatte Glück! bekomme mehr als die Durchsvhnittspensionistin! aber die Gewalt oder Verfolgung, die mise Behandlung, die Sexuellen Projektionen jeden sch..Tag! es ist extrem?‍♀️und kosten sehr viel Zeit und auch Geld!
    Ungarn bricht damit nicht nur die Souveränität der KFZ Überprüfungshoheit, sonder( so wie auch Zypern!) die EU Rechte! aber sie kommen zu uns arbeiten und ich gehe drüben zum Zahnarzt, der mich übr. besser behandelt als die Österricher es je taten! ?‍♀️
    wie könne es tausende Male erklären und 1x pro Monat halte ich einen ungeplanten Vortrag für irgendeine/n Verrückten der/ die sich auf mich knallt und glaubtvalles pber mich zu wissen?‍♀️aber ob viele es verstehen werden bezweifle ich! am Besten behandeln mich in Österr.übr.Frauen mit türkischem Hintergrund?‍♀️gefolgt con Asiaten …allerdings bin ich post op und damit nicht in Gefahr als Crossdresser diffamiert zu werden…ansonsten ist es auch in Österreich, 24/7 Krieg?‍♀️
    lb.Gr.Selina

    Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.