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Hegemonialmacht Israel in Aktion

Palästina, Libanon, Syrien, Irak, Jemen und Iran – in den letzten Monaten flog Israel Luftangriffe gegen sechs Länder in der Region. Mit der Aggression gegen den Iran versuchte die Netanjahu-Regierung, ihre Hegemonie in Westasien weiter zu stärken.

Von Helga Baumgarten, Jerusalem (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft III/2025)

Der Völkermord dauert schon fast 21 Monate an. Die Zahl der Opfer steigt täglich. Über 55.100 Opfer sind zu beklagen, so OCHA, die UN-Organisation zur Koordination humanitärer Fragen. Mehr als 30 Prozent davon sind Kinder, darunter Babys zwischen 0 und 24 Monaten. Der Euro-Med Human Rights Monitor meldete schon am 14. August 2024 die unfassbare Zahl von 2.100 Babys unter den insgesamt 17.000 getöteten Kindern.

Ein Bericht der britischen Zeitschrift The Lancet, der weltweit wohl wichtigsten Fachzeitschrift für Medizin, vom 14. Juli 2024 weist darauf hin, dass die Angaben der Gesundheitsbehörden in Gaza viel zu niedrig angesetzt und möglicherweise mit drei zu multiplizieren sind, vor allem auf der Basis vergleichbarer Kriege im globalen Süden.

Mehl ist Todesfalle: Hunger als Waffe

Inzwischen kämpfen die Menschen in Gaza um ihr Überleben. Grund dafür ist die absolute Sperre für jegliche Einfuhr von Nahrungsmitteln in den Gazastreifen, die Israel von Anfang März bis Mitte Mai durchgesetzt hat. Der Hungertod, vor allem für Babys, Kinder und Kranke, wird zur Realität. Das Sterben infolge von Hunger hat begonnen. Seit mit 19. Mai die ersten Nahrungsmittel wieder in minimalen Mengen nach Gaza kommen, hat die israelische Armee allen UN-Organisationen, an erster Stelle der UNRWA, der UN-Flüchtlingsorganisation, ihre zentrale Rolle bei der Nahrungsmittelverteilung entzogen. Dabei hat nur die UNRWA sowohl die Erfahrung als auch die Infrastruktur, um Nahrung an die hungernde Bevölkerung zu verteilen. Inzwischen ist ein neues System eingeführt, kontrolliert von der israelischen Armee und einer US-Organisation namens Gaza Humanitarian Fund.

In kaum zu übertreffendem Zynismus benutzt die israelische Armee dieses neue System für weitere Morde an den Menschen in Gaza, die verzweifelt nach Nahrung suchen.

Eine wichtige Rolle dabei spielt eine neue, wohl dschihadistische Organisation, angeführt von Abu Shabab, von Israel finanziert und bewaffnet. Sie soll systematisch Chaos erzeugen, Nahrung stehlen und zu exorbitanten Preisen wiederverkaufen und schlicht die verzweifelten Menschen, die zu den Verteilungspunkten kommen, erschießen.

Seit dem 13. Juni geht der Völkermord in Gaza im Schatten des israelischen Krieges gegen den Iran weiter. Ein eindeutiger Angriffskrieg, der, so die Behauptung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, den Iran daran hindern soll, Atomwaffen zu bauen. Selbst US-Geheimdienste bestätigen jedoch, dass der Iran weder Atomwaffen baut noch den Bau von Atomwaffen als politisch-militärisches Ziel verfolgt, wie Tulsi Gabbard, Director of National Intelligence im Kabinett Trump II, zuletzt im April erklärte. Schließlich hat Ayatolla Khamenei das iranische Atomprogramm 2003 gestoppt. Aber Präsident Donald Trump interessiert dies nicht. Er weist Gabbards Bericht zurück – und diese übernimmt inzwischen die von Tatsachen nicht unterstützte Version ihres Präsidenten.

Atommacht Israel

Aber was kümmert das die Regierungen im Norden und die ihnen applaudierende Presse. Für sie steht fest, ungeachtet der klar erkennbaren Realität: Israel verteidigt sich gegen die Gefahr eines atomaren Iran. Vergessen wird dabei, dass der Iran alle relevanten IAEA-Verträge unterzeichnet hat. Vergessen wird auch, dass der Iran 2015 das Abkommen mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama namens Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) unterzeichnet hat, das Trump 2018 in seiner ersten Amtszeit auf Druck von Netanjahu aufgekündigte.

Vor allem aber vergisst man im Norden geflissentlich, dass Israel die einzige Atommacht in der Region ist. Zwar hat Israel dies nie zugegeben, aber der israelische Wissenschaftler Avner Cohen hat den Prozess der atomaren Bewaffnung und den Bau von israelischen Atomwaffen in seinem Buch „Israel and the Bomb“ schon 1999 in allen Details aufgezeichnet. Bis heute hat Israel kein einziges Nuklear-Abkommen unterschrieben.

In der Nacht vom 21. auf den 22. Juni griffen die USA unter dem „Friedenspräsidenten“ Trump im Iran ein: Amerikanische B2-Bomber warfen ihre zerstörerischen Ladungen auf drei iranische Atomkraftwerke ab, in denen Urananreicherung durchgeführt wird. Für Trump ist das alles sehr einfach: „Wir haben unseren sehr erfolgreichen Angriff auf Fordow, Natanz und Isfahan abgeschlossen. Alle Flugzeuge sind wieder zurück aus dem iranischen Luftraum und sicher auf ihrem Weg nach Hause. Glückwünsche an unsere großen amerikanischen Kämpfer“, sagte er in einer Rede um vier Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit. Jetzt sei die Zeit für Frieden, setzte er nach. Im Anschluss warnte er den Iran vor neuen, weit zerstörerischeren Angriffen, sollte dieser die Forderungen nicht akzeptieren, sprich sich dem US-Diktat nicht unterwerfen.

Derweil sterben die Menschen für die megalomanen Ziele Netanjahus und seines Regimes: zuerst in Gaza, aber auch in der Westbank sowie im Iran und inzwischen auch in Israel selbst. Und die Waffenindustrie fährt unvorstellbare Profite ein. Für die Opfer im Iran interessiert sich niemand. Im Iran und gegen die Menschen dort, von Wissenschaftlern bis hin zu Politikern, inklusive des Staatschefs, ist Israel alles erlaubt, wie Gideon Levy in Haaretz am 21. Juni anklagend schreibt: „Alle sind legitime Ziele und dürfen getötet werden“, so die Sicht der Netanjahu-Regierung.

In Israel gibt es bis dato nur Proteste von einzelnen Personen gegen den Angriff auf den Iran. Sie werden sofort verhaftet. Einige wenige demonstrieren weiter für die Freilassung der Geiseln in Gaza. Die „institutionalisierten“ palästinensischen Geiseln in israelischen Gefängnissen, wie sie Richard Falk genannt hat, vergisst man geflissentlich. Und man vergisst, dass dort das Hungersterben begonnen hat.

Westbank im Schatten des Iran-Kriegs

Mit dem israelischen Angriff auf den Iran wurde in Ost-Jerusalem und in der Westbank alles hermetisch abgeriegelt. Nichts ging mehr. Am schlimmsten war es an der Allenby- bzw. König-Hussein-Brücke zwischen Jordanien und der von Israel kontrollierten Westbankseite. Massen an Pilgern, die von der Hajj, der Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien, zurückkehrten, saßen fest. In der Westbank konnten Kranke nicht mehr zu teils überlebensnotwendigen Krankenhausbehandlungen gebracht werden.

Inzwischen wurden die Absperrungen gelockert, und es ist wieder möglich, sich in der Westbank zu bewegen, allerdings mit zum Teil stundenlangen Kontrollen an den Militärcheckpoints. Die Altstadt in Ost-Jerusalem war zunächst vollständig abgeriegelt. Inzwischen kann man wieder in die Altstadt gehen. Die Ladenbesitzer dort dürfen ihre Läden jedoch bis heute nicht öffnen, was katastrophale ökonomische Folgen für viele hat. Wirklich, wir leben in finsteren Zeiten!

Helga Baumgarten lebt in Ost-Jerusalem. Sie ist emeritierte Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Birzeit, an der sie seit 1993 lehrt. Zuletzt erschien „Völkermord in Gaza“ (Promedia, 2025).


Titelbild: Trümmer im Gaza-Streifen (Archivbild, 2022). Foto: Mohammed Ibrahim/Unsplash

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