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Mut zum Frieden: Für eine Friedensrepublik Österreich im Heimatland Erde

Die „Zeitenwende“ führt zu einem gefährlichen Tunnelblick der Kriegslogik und einer sich selbst erfüllenden Rüstungsspirale. Es ist an der Zeit, dem strategischen Pessimismus den Mut zur Hoffnung und die Vision einer Friedensrepublik Österreich entgegenzustellen, um Denkräume für eine Wendezeit der Gemeinsamen Sicherheit zu öffnen.

Ein Essay von Werner Wintersteiner

Auch als Podcast (Audio-Zusammenfassung):

I. Mut zur Hoffnung

Wenn wir uns die heutige Weltlage ansehen, beschleicht uns bald ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Allzu schnell sollten wir uns aber nicht von der Hoffnungslosigkeit verabschieden, denn sie bewahrt uns auch vor falschen Hoffnungen und erfordert den Mut, sich dem Ernst der Situation zu stellen. Das ist aber die Voraussetzung für jede Veränderung. Es gehört also eine gehörige Portion Mut dazu, das Gefühl der Hoffnungslosigkeit zuzulassen – allerdings ohne sich von ihm ganz vereinnahmen zu lassen.

Denn im Grund geht es darum, sich auch in schwierigen Zeiten Hoffnung zu bewahren. Das erfordert nämlich noch wesentlich mehr Mut. Schließlich wird jemand, der Negatives falsch voraussagt, kaum geahndet, während diejenigen, die etwas Positives erwarten, oft als naiv angesehen werden. Aber ohne Hoffnung geht es nicht, sie ist eine Triebkraft in Richtung auf eine positive Veränderung, im besten Fall selbsterfüllende Prophezeiung. Strategischen Optimismus hat sie der Harvard-Psychologe und Konfliktforscher Herbert Kelman genannt [1, vgl. Wintersteiner 2012]. Hoffnung ist eine riskante Sache, weil die Zukunft offen und ungewiss ist. Aber genau deswegen ist umgekehrt strategischer Pessimismus so gefährlich, weil er die Zukunft als unverrückbar hinstellt und daher jede Suche nach guten Lösungen versperrt. Leute, die ihm anhängen, lieben offenbar die (falsche) Gewissheit mehr als die Möglichkeit. Somit haben die notorischen Optimisten – es kann nichts passieren – und die notorischen Pessimisten – es wird sicher schiefgehen –, eines gemeinsam: Sie sind von jedem Handlungsdruck befreit: Man braucht bzw. man kann ohnehin nichts machen!

Aber wir müssen uns an die Hoffnung klammern, eine Hoffnung, mit einer Prise Hoffnungslosigkeit gewürzt – und damit Verantwortung und Aktionsfähigkeit. Wir sollten uns doch auf dieses Risiko der Hoffnung einlassen.

Auf die Hoffnung kann man sich aber nur einlassen, wenn man auch den Zweifel, die Unsicherheit und die Angst zulässt. Sich auf ein Gefühl einlassen heißt aber nicht sich ihm überlassen. So wie wir ja auch im privaten Alltag an die Zukunft glauben, Pläne für ein nächstes Jahr machen, langfristige Anschaffungen machen usw. Hier legen wir sozusagen einen selbstverständlichen Zukunftsoptimismus an den Tag.

Auch angesichts der heutigen Polykrise schlage ich vor, von dem Grundprinzip auszugehen, das schon Gandhi immer wieder hervorgehoben hat: Es ist möglich in Frieden zu leben. Es ist möglich, den Klimawandel wohl inzwischen nicht mehr zu stoppen, aber ihn durch eine andere und vernünftigere Lebensweise einzudämmen. Es ist möglich, eine solidarische Gesellschaft aufzubauen. Wir sind nicht zur Apokalypse verdammt, genauso wenig wie wir zum Leugnen der Gefahren gezwungen sind. Was wir aber aufgeben müssen, ist den derzeit grassierenden Tunnelblick der Kriegslogik, der auf alle Gefahren nur eine einzig mögliche Antwort erlaubt – nämlich Aufrüstung. Wir sollten uns hingegen bemühen, Denkräume offen zu halten oder wieder zu öffnen, während alle in den Chor der Aufrüstung und Abschreckung einstimmen. Denkräume offen zu halten heißt ja nicht, eine vermeintlich radikalpazifistische Position – „es darf keine Gewalt und keinen Krieg geben“ – der Wirklichkeit unverdrossen entgegenzuhalten. Sondern es heißt, darüber nachzudenken, wie man, auch unter den Bedingungen internationaler Spannungen, und erst recht angesichts von Kriegen, die gerade stattfinden, dennoch zum Frieden beitragen kann,

Was den westlichen Eliten vorzuwerfen ist, ist, dass sie angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine (und teilweise schon vorher) zwar Solidarität mit der attackierten Ukraine gezeigt, aber dies ausschließlich als militärische Unterstützung verstanden haben. Sie haben zugleich jede Friedensanstrengung aufgegeben, mehr noch: Sie haben die Friedensbemühungen, deren Umrisse bei den Istanbuler Gesprächen im Frühjahr 2022 sich bereits abzeichneten, torpediert, und waren – bis zum neuerlichen Amtsantritt von Donald Trump – ausschließlich auf einen völlig unrealistischen Siegfrieden aus, während sie jede Suche nach Frieden durch Verhandlungen tabuisiert haben [2, vgl. Wehrschütz 2025]. Offenbar passt der Friedensgedanke einfach nicht in die große Erzählung von der Zeitenwende, die das Denken von Politik und Medien, der veröffentlichten Meinung, prägt.

II. Notwendige Verteidigung oder Wahnsinn Rüstung?

Zeitenwende – diese Formel gibt sich als einfache Tatsachenfeststellung, doch in Wirklichkeit ist sie eine spezielle Interpretation von Tatsachen. Sie ist m. E. die Kurzformel für einen Mythos, für den Mythos „Nur Gewalt führt zum Frieden“. Und sie besagt ganz simpel: Bislang hat der demokratische Westen, mit dem Weltgendarmen USA an der Spitze, einigermaßen für Ruhe und Ordnung auf der Welt gesorgt. Zumindest uns in den reichen Ländern Europas und des globalen Nordens ist es ganz gut gegangen. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, einen europäischen Staat, ist diese „regelbasierte Ordnung“ zerstört worden, die internationalen Kontroll- und Ausgleichsmechanismen wie UNO-Weltsicherheitsrat oder auch OSZE funktionieren nicht mehr; inzwischen ist auch die neue US-Regierung nur mehr auf ihr Eigeninteresse aus, sucht faule Kompromisse mit Putin, wenn es ihr nützt, und führt einen Wirtschaftskrieg gegen die ganze Welt, auch gegen ihre Verbündeten in Europa, während sie ihnen ihren militärischen Beistand zu entziehen droht. In so einer Situation gibt es nur mehr eine Alternative: Massive Aufrüstung, um eine hohe Abschreckungskapazität zu erreichen.

Die NATO Staaten haben sich auf 5 Prozent ihres BIP für Rüstungsausgaben geeinigt – eine gigantische Zahl, für die es aber keinerlei konkrete Begründung, keine plausible Kalkulation gibt. In Deutschland zum Beispiel sollen bis zu 1.000 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren in Rüstung und Infrastruktur fließen (derstandard.at). Es wird sogar laut darüber nachgedacht, ob sich das Land nicht mit Atomwaffen ausrüsten sollte (friedenskooperative.de). Zugleich wurden die Haushaltsmittel für Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung wie auch die für Humanitäre Hilfe in den letzten Jahren zugunsten des Militäretats gekürzt. In welcher Welt leben wir?

Die Aufrüstung wird von einer ungeheuren Panikmache, die sich selbst für eine realistische Warnung hält, begleitet: Wir müssten uns geistig und moralisch auf Krieg einstellen. Wir müssen Kriegsbereitschaft herstellen – wohlgemerkt, es wird nicht von Verteidigungsbereitschaft, sondern von Kriegsbereitschaft gesprochen. Die Parole lautet: „Bis 2029 müssen wir kriegstüchtig sein.“ Denn dann sei Russland militärisch in der Lage, EU-Europa anzugreifen. Allerdings geben sogar Sicherheits-Experten, die die Aufrüstung befürworten zu, dass diese Zahlen willkürlich sind und es keine Belege für diese Behauptung gibt (vgl. zeit.de).Welches Spiel wird da mit uns getrieben?

Aber schauen wir uns, allen Alarmrufen von der Zeitenwende zum Trotz, doch die Fakten in Ruhe an: Eine von renommierten Friedensforscher:innen im Auftrag von „Greenpeace“ veröffentlichte Studie „Wann ist genug genug? – Ein Vergleich der militärischen Potenziale der Nato und Russlands“ kommt zu dem Schluss, dass die NATO-Staaten, auch ohne USA, Russland in allen Bereichen außer den Atomwaffen haushoch überlegen ist. Auch andere Studien belegen das.

„Ist es plausibel“, fragt auch der deutsche Diplomat Hellmut Hoffmann, „dass die Führung eines Landes, das einen seine Streitkräfte, Wirtschaft und Gesellschaft schwer belastenden und keineswegs populären Krieg führt, auf die Idee kommt, einen Angriff auf die 32 Staaten-Nato zu planen, zumal es seiner Armee in drei Jahren nicht gelungen ist, auch nur die vier von Moskau in der Ukraine annektierten (vorwiegend von ukrainischen Russen besiedelten) Oblaste vollständig einzunehmen, zumal das russische Militär seine Siege immer nur durch große zahlmäßige Überlegenheit errungen hat?

Ist es plausibel, dass Russland, welches bedeutenden Teile seiner Waffensysteme im Krieg gegen die Ukraine verloren und riesige Verluste an Soldaten erlitten hat, dessen Wirtschaft, ebenfalls sehr unter dem Krieg leidet, dessen BIP deutlich kleiner als das deutsche, etwa so groß wie das italienische ist, sich einen Krieg gegen die Europäische Union leisten könnte?

Ist es plausibel, dass die russische Führungselite annimmt, die ggf. besiegten Staaten einer stabilen Herrschaft unterwerfen zu können? Ist es plausibel, dass ein fast 80-jähriger Putin nach über 30 Jahren machtpolitischer Spitzenerfahrung das Risiko eines für Russland potenziell selbstzerstörerischen Kriegs eingeht?“ (telepolis.de)

Man sieht, wie absurd die Rede von einem geplanten russischen Angriff ist. Aber umso gefährlicher ist sie, denn sie schürt die Kriegserwartung in den NATO-Staaten und umgekehrt auch in Russland – dort noch verstärkt durch die massiven Aufrüstungsprogramme aller europäischen NATO-Staaten. Also die altbekannte Rüstungsspirale. Beide Seiten behaupten, sich nur verteidigen zu wollen und schüren damit die Ängste der Gegenseite usw. Es droht die Verwirklichung einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Was soll denn dabei herauskommen, wenn man nur in Kategorien der Kriegstüchtigkeit und nicht der Kriegsvermeidung durch Diplomatie denkt? Zudem provozieren solche Reden das Nachdenken über Präventivschläge – nach dem Motto: dann lieber jetzt, bevor der Feind richtig aufgerüstet hat. Kriegslogisch ist dies vielleicht folgerichtig – für den Frieden in Europa aber das Ende (vgl. Initiative Aufbruch zum Frieden, Mai 2025). Und dabei habe ich noch gar nicht von den sozialen und ökologischen Kosten dieses Rüstungswahns gesprochen. Denn es handelt sich ja offenbar um eine Umschichtung von einer Zivilwirtschaft zu einer – unproduktiven – Kriegswirtschaft (jacobin.de). Ja, Kriegswirtschaft, auch dieser Ausdruck ist schon gefallen [3, Manfred Weber 2025]! Wie lange wollen wir noch glauben, dass uns nur Kriegsvorbereitung vor dem Krieg schützt?

Die Bedrohung der internationalen Sicherheit ist sicher auch auf den russischen Aggressionskrieg zurückzuführen. Aber keineswegs nur darauf. Denn vergessen wir nicht: Die USA, die sich 1990 als Gewinner des Kalten Krieges sahen und versuchten, ihre hegemoniale Stellung auf Dauer sicher zu stellen, hatten einen wesentlichen Anteil daran, die zivilisatorischen Errungenschaften der Rüstungskontrolle zunichtezumachen.

2002 hat George W. Bush sen. den Anti-Ballistic-Missile-Vertrag (ABM von 1972) gekündigt. Damit wurde das Abschreckungssystem der Zweitschlagfähigkeit (MAD) faktisch abgeschafft. Denn mit solchen Raketenabwehrsystemen kann ein Angriff ohne gravierende Folgen für das eigene Land möglich werden. Russland beklagte deshalb den Aufbau von Raketenabschussbasen in Polen und Rumänien durch die USA ab 2007 als einen Schritt dahin.

2007 bedeutete das faktische Ende des Anpassungsvertrags über die konventionellen Streitkräfte in Europa (AKSE). Der Vertrag setzte nationale und territoriale Obergrenzen fest, die sicherstellen sollten, dass kein Staat ein bedrohliches militärisches Übergewicht erreichen konnte, abgesichert durch ein umfangreiches Überprüfungssystem. Russland ratifizierte dieses Abkommen 2004, die USA unter Präsident George W. Bush, jun., blockierten dagegen seit 2002 ihren Beitritt mit zusätzlichen Forderungen, die nach Vertragsabschluss als Bedingungen genannt worden waren. Aus Bündnissolidarität ratifizierten die meisten NATO-Staaten den AKSE-Vertrag auch nicht. Dies war insofern fatal, als 2004 mit den baltischen Staaten neue Mitglieder der NATO beitraten, die dem KSE-Vertragsregime nicht angehörten. „So entstanden an Russlands Grenzen potentielle Stationierungsräume der Allianz, die keinen rechtsgültigen Rüstungskontrollregeln unterliegen.“ 2007 schufen die USA eine ständige Militärpräsenz am Schwarzen Meer durch Kampftruppen in Bulgarien und Rumänien. Als Reaktion darauf „suspendierte“ Russland im Jahr 2007 diesen Vertrag, der als einmal „Eckpfeiler der europäischen Sicherheit“ gepriesen worden war. Auch das ist eine Vorgeschichte des Kriegs in der Ukraine.

2019 kündigten die USA den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces von 1988) unter der ersten Präsidentschaft von Donald Trump. Russland kündigte den Vertrag ebenso in der Folge. Dieser eigentlich unbegrenzt geltende Vertrag bedeutete vor allem die reale Verschrottung von etwa 2700 landgestützten Mittelstreckenraketen bis 1991 und das Verbot der Herstellung und Stationierung von diesen Raketen (1000-5500km Reichweite). Das Ziel der USA war es, die Produktion von neuen offensiven US-Marschflugkörpern zu ermöglichen, die nun 2026 mit der neuen Nachrüstung an Deutschland geliefert werden (vgl. Initiative Aufbruch zum Frieden, Mai 2025).

Werfen wir einen Blick auf das Ganze: Die weltweiten Militärausgaben steigen ins Unermessliche, 2024 um 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, der stärkste Anstieg seit dem Kalten Krieg; die Rüstungskontrolle wurde heruntergefahren, Drohgebärden werden wieder normaler Bestandteil der Politik, die Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten oder in Afrika gehen unerbittlich weiter. Zugleich wird die humanitäre Hilfe weltweit heruntergefahren. Laut dem Global Humanitarian Overview 2025 sind über 180 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen, während bis zur Jahresmitte weniger als 13 Prozent der erforderlichen Mittel eingegangen sind (euobserver.com). Zugleich werden Maßnahmen gegen den Klimawandel aufgeweicht und verzögert. Kann man wirklich glauben, dass dies der Weg ist, den Weltfrieden zu erhalten oder wieder zu gewinnen?

Die europäische Politik und vor allem die der NATO ist gekennzeichnet durch einen militaristischen Tunnelblick, sie hält ihre Hoffnungslosigkeit für einen klugen Realismus, sie lebt von Panikmache und legt eine, ich möchte es nennen aggressive Perspektivlosigkeit an den Tag.

Was ist die Konsequenz daraus? Die EU spielt bei den Verhandlungen um die Beendigung des Krieges Russlands gegen die Ukraine keine Rolle. Aber sie ist und bleibt ein Faktor in den internationalen Beziehungen, und zwar einer, der zunehmend die noch verbliebene Stabilität bedroht. Im Kalten Krieg gab es auch die Abschreckungsdoktrin durch Aufrüstung. Aber man erkannte allmählich, dass diese Politik durch Rüstungskontrollabkommen und andere Maßnahmen eingehegt und begrenzt werden muss. Heute hingegen, wo es kaum noch solche Abkommen gibt, predigt man uns die schrankenlose Aufrüstung. Man kehrt offenbar zu der altmodischen, völlig aus der Zeit gefallenen imperialen Politik zurück, die Europa am Vorabend des Ersten Weltkriegs beherrscht hat. Haben wir denn nichts aus der Geschichte gelernt?

Nicht Aufrüstung, sondern nur gemeinsame Sicherheit und schrittweise Abrüstung können Frieden bringen. Das sind die wissenschaftsgestützten und empirisch abgesicherten Erfahrungen aus der Überwindung des Kalten Krieges. Deswegen wurde die OSZE gegründet. Deshalb hat Papst Franziskus immer betont: „Es kann keinen Frieden geben ohne echte Abrüstung!“ Und ebenso: „Der Weg des Friedens hat seine Risiken, aber weiter auf Waffen zu setzen, ist kein bisschen weniger riskant. Der Zwang zum ewigen Wettrüsten verwüstet die Seele und bindet gewaltige Ressourcen, um endlich den einzig möglichen Weg einzuschlagen, um der Selbstzerstörung der Menschheit zu entgehen.“[4, Franzsikus 2025]

III. Österreich – Aufrüstung ohne Kompass und Karte, Desavouierung der Neutralität

Kommen wir zu Österreich. Auch hier geht es darum, Denkräume offenzuhalten, um eine kluge Politik zu entwickeln. Eine, die nicht einfach mit den Wölfen heult, sondern eine, die die sicher begrenzten, aber vorhandenen Möglichkeiten unseres Landes für eine Friedenspolitik auslotet.

Nach Friedenspolitik sieht es aber derzeit nicht aus, wie mir scheint. Eher ist zum einen eine Aufrüstung ohne Kompass und Karte zu beobachten, zum anderen wird von allen Seiten, und durchaus gegen den Widerstand der Mehrheit der Bevölkerung, unsere Neutralität desavouiert.

Trotz des hohen Konsolidierungsbedarfs beim Staatshaushalt wird das Verteidigungsbudget dieses und nächstes Jahr deutlich steigen, von gut vier Milliarden Euro im Vorjahr auf 5,2 Milliarden Euro 2026. „Wenn wir zurückschauen in das Jahr 2020 hat sich das Budget mehr als verdoppelt“, frohlockt Frau Ministerin Tanner. Mit den Budgeterhöhungen soll es aber auch darüber hinaus weitergehen: Bis 2032 nimmt sich das Ressort vor, dass zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Landesverteidigung fließen. Und eine Expertengruppe bastelt bereits an Konzepten zur Verlängerung des Grundwehrdienstes und zur Rückkehr zu Milizübungen [5, vgl. Jungwirth 2025]. Nun ist es eine Tatsache, dass Österreichs Ausgaben für das Militär traditionell sehr niedrig waren. Eine Erhöhung wirkt daher angesichts der Weltlage plausibel. Aber welche Verteidigungsstrategie steht dahinter? Das ist nicht erkennbar.

Im Doppelbudget der Bundesregierung für die Jahre 2025 und 2026 werde auch das Außenministerium „einen Beitrag zur gesamtstaatlichen Konsolidierung leisten“, heißt es, wobei zugleich versichert wird, das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten werde „seine Rolle als verlässlicher Partner auf europäischer und internationaler Ebene festigen“ (msn.com). Wie soll es das aber tun, wenn etwa die Mittel für den Auslandskatastrophenfonds (AKF) und die Austrian Development Agency (ADA) massiv gekürzt werden (von 219,1 Millionen Euro 2024 auf 183,6 Mio. 2025 und 148,9 Mio. 2026)? Welches Ansehen will man sich damit erwerben? (puls24.at)

Der Zivile Friedensdienst, ein Prestigeprojekt der türkis-grünen Regierung, ist nicht gekommen. Und auch jetzt hört man nichts davon. Und die jungen Frauen und Männer, die einen Gedenk-, Friedens-, oder Sozialdienst im Ausland absolvieren, müssen sich häufig, trotz einer Erhöhung der Zuschüsse 2024, diesen Dienst teilweise selbst finanzieren. Wer etwa in Yad Vashem einen Gedenkdienst absolvieren möchte, kann sich das nur leisten, wenn er sich es leisten kann. Beschämend. Und die Zuschüsse kommen weder vom Verteidigungs- noch vom Außen-, sondern vom Sozialministerium. So eng sieht man hierzulande die Friedenspolitik. (kleinezeitung.at)

Zugleich wird heute die Neutralität von allen Seiten schlecht geredet. Und viele gehen noch einen Schritt weiter und preisen uns den Eintritt in die NATO als einzig sinnvolle Maßnahme an. Dabei kann man den Gegnern und Gegnerinnen (hier ist Gendern absolut angebracht) nicht vorwerfen, bei Rhetorik und Phantasie zu sparen. Manchen ihrer Formulierungen würde ich durchaus eine literarische oder zumindest eine moralische Qualität bescheinigen. Die Neutralität sei „ein ewiger Mythos“, ihre Befürworter*innen meinten, die Weltpolitik gehe sie nichts an, es sei ein typisch „parasitäres Neutralitätsverständnis“, gepaart mit einem „Hallodripazifismus“, Österreich sei mit der Neutralität ein „augenzwinkernder Sicherheitsprofiteur“, und offenbar auch noch „unmündig“, denn der Autor (und Zeitungsherausgeber) fordert ja,  Österreich müsse endlich volljährig werden [6, Patterer, 2025], Österreich dürfe kein „Krähwinkel“ bleiben und müsse „Weltoffenheit“ zeigen [7, Matterbauer 2025], es müsse sich endlich seiner „Selbst- und Trugbilder“ entledigen. Nur in der NATO könne Österreichs Sicherheit gewährleistet sein, nur gemeinsame Verteidigungs- und Rüstungspolitik gewährleiste den Fortbestand unserer Republik.

Die Strategie dieser Argumentation ist klar: Zuerst wird Neutralität umgedeutet in Passivität, die aus Feigheit und moralischer Gleichgültigkeit entspringt. Dann kann man so tun, als wäre im Umkehrschluss NATO Beitritt nicht nur eine Entscheidung der Vernunft, sondern sogar ein moralischer Akt! Man behauptet einen Gegensatz zwischen Solidarität (gut) und Neutralität (schlecht): „Solidarität ist das höhere Gut als Neutralität“ [8, Patterer, 2025]. Das klingt doch wirklich besser, als wenn man einfach sagen würde: Kriegspolitik ist heute das höhere Gut als Friedenspolitik, nicht wahr?

Nun kann man sagen, es ist ja doch was dran an der Zeitenwende – da muss man sich das mit der Neutralität neu überlegen. Aber auffällig ist nur, dass viel Gegner*innen der Neutralität auch schon vor 10 oder 20 Jahren Gegner waren. Nun kommt ihnen die unsichere Weltlage, wie sie meinen, entgegen, und sie finden neue Begründungen für ihre alte Litanei. Jetzt tun sie so, als wäre die Neutralität immer schon ein Schwindel von Unmündigen gewesen, mit dem nun schleunigst aufgeräumt gehört. Soll also Neutralität als das neue N-Wort verbannt werden, wie auch das Wort Friede im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine oder Palästina im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg zu einem Unwort geworden ist?

Bleiben wir doch auf dem Boden der Tatsachen: Die Entscheidung für die Neutralität hat Österreichs Einheit und Unabhängigkeit 1955 gesichert. Sie wurde zu einem Vorbild für ein geeintes Deutschland, das aber die Neutralität ablehnte und im Gegensatz zu Österreich für lange Zeit geteilt blieb.

Es stimmt auch nicht, dass Neutralität Passivität bedeuten muss. Mit den Worten des Neutralitätsspezialisten Professor Heinz Gärtner: „Engagierte Neutralität bedeutet nicht Heraushalten, wo möglich, und Einmischen, wo nötig, sondern umgekehrt: Einmischen, wo möglich, und Heraushalten nur, wo nötig.“ Schon als erstmals die Idee der Neutralität aufkam, zu Beginn der Ersten Republik, war es die Idee der internationalen Solidarität. Es war der große Völkerrechtler, Pazifist und gläubige Katholik Heinrich Lammasch, der bereits im Frühjahr 1919 für ein unabhängiges, in den Völkerbund eingebundenes Österreich mit neutralem Status eintrat, der „nicht nur dem Wohle Österreichs selbst und der Erhaltung des europäischen Friedens, sondern auch dem Wohle der Nachbarstaaten dienen“ sollte. (zitiert nach komintern.at)

Durch die Neutralität ergab sich für Österreich nach 1955 die Chance einer engagierten Neutralitätspolitik als Friedenspolitik, wie sie vor allem Bundeskanzler Bruno Kreisky nützte wurde: Ansiedelung internationaler Organisationen, Wien als dritter UNO-Standort, Gipfeltreffen zwischen den beiden Supermächten, und nicht zuletzt: eine aktive Nahostpolitik, die die Rechte der Palästinenser*innen einforderte.

Bei internationalen Friedensoperationen des Bundesheeres kann Österreich glaubhaft demonstrieren, dass es nicht im Interesse eines Bündnisses oder einer Großmacht handelt. Es hat keine geopolitischen Interessen. Bei einer Mission zum Schutz von Zivilist*innen z.B. afrikanischen Ländern geht es Österreich nicht um Öl oder Stützpunkte.

Engagierte Neutralität ermöglicht es auch, im Abrüstungs- und Nichtverbreitungsbereich deutliche Akzente zu setzen. Es gibt genügend Evidenz, um an eine erfolgreiche oder zumindest vielversprechende österreichische Friedensstrategie zu glauben – nicht an ein isoliertes Handeln, aber als eine kluge Bündnispolitik.  Drei wichtige Beispiele:

Das Anti-Personen Minen-Verbot: Das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung (Ottawa-Konvention) ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Beschlossen 1997, in Kraft getreten 1999, geht dieses Übereinkommen auf die Initiative des österreichischen Diplomaten Werner Ehrlich zurück. Es ist von 164 Staaten ratifiziert worden, nicht aber von China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan, Russland, Südkorea oder USA. Im ersten Halbjahr sind die baltischen Staaten und Finnland und inzwischen leider auch Polen (also insgesamt 5 EU-Länder) aus dem Abkommen ausgetreten. Offenbar ist hier nicht die EU, sondern nur die Neutralität eine Schranke gegen einen zivilisatorischen Rückschritt.

Das iranische Atomprogramm: Der vielleicht größte Erfolg der österreichischen Außenpolitik war das „Wiener Abkommen“ über das iranische Nuklearprogramm am 14. Juli 2015. Wien wurde von sechs Weltmächten und dem Iran als Verhandlungsort akzeptiert. Das wurde aber auch deshalb möglich, weil die österreichische Diplomatie Teheran jahrzehntelang die österreichische Neutralität glaubhaft vermittelt hat. Seit die USA unter Trump aus dem Abkommen ausgestiegen sind, konnte kein neues Abkommen mehr geschlossen werden, und heuer haben die beiden Atomwaffenstaaten Israel und USA iranische Atomanlagen bombardiert – während der laufenden Verhandlungen!

Der Atomwaffenverbotsvertrag: Österreich hat eine wichtige Rolle bei der Ächtung von Nuklearwaffen, dem Atomwaffenverbotsvertrag, gespielt. Ein derartiger Aufrufwurde von mehr als 120 Staaten unterzeichnet. Kein Mitglied des Militärbündnisses Nato, das weiterhin auf  nukleare Abschreckung setzt, noch ein anderer Nuklearwaffenstaat könnte derart aktiv werden.

Sollen wir das alles aufgeben? Sollen wir uns in blinder Angst der NATO anschließen, jede außenpolitische Autonomie verlieren, auf das Potential der Neutralität verzichten, und uns der Abschreckungspolitik ausliefern? Sollen wir uns dauerhaft die Chance auf eine Vermittlerrolle Österreichs verbauen?

Nun gab es große Aufregung, als der russische Expräsident Dmitri Medwedew Ende August 2025 die (falsche) Behauptung aufstellte, dass Österreich gar nicht aus freien Stücken seinen neutralen Status aufgeben dürfe, da es dazu die Zustimmung der vier Garantiemächte des Staatsvertrages bedürfe. Dies wurde zurecht zurückgewiesen, da Österreich seine Neutralität aus freien Stücken gewählt hat – unabhängig davon, welche politischen Verhandlungen dieser Entscheidung vorausgegangen waren. Dass Medwedew aber auch damit drohte, durch eine Aufgabe der Neutralität „steigt das Risiko erheblich, dass die Einheiten des österreichischen Bundesheeres in die Langstrecken-Einsatzpläne der russischen Streitkräfte einbezogen werden könnten“, sollte niemanden verwundern (kurier.at). Schließlich hat die NATO das Feindbild Russland, und wenn sich Österreich der NATO anschließen würde, sind die Konsequenzen jetzt schon klar absehbar.

IV. Statt dem Mythos der Zeitenwende die Vision der Wendezeit

Statt die Neutralität schlecht zu reden sollten wir alle unsere Möglichkeiten nutzen, um – auch mithilfe unserer Neutralität – Beiträge zum Frieden zu leisten. Es wäre sicher illusionär, von der Neutralität absoluten Schutz vor jeder Bedrohung zu erwarten. Aber es ist genauso verfehlt, den Spielraum für eine Friedenspolitik aufzugeben, den sie uns eröffnet. Dazu brauchen wir eine positive Vision, wie gerade unter den Bedingungen von Konflikten und Krieg am Frieden gearbeitet werden kann. In diesem Sinne möchte ich der Großen Erzählung von der Zeitenwende die große Erzählung von der Wendezeit entgegenstellen: eine ökologische, ökonomische, politische und kulturelle Wende hin zu einer nachhaltig friedlichen Gesellschaft. Wir müssen das größere Bild sehen, und wir müssen groß denken, auch wenn uns immer nur kleine Schritte gelingen werden. Das größere Bild einer Friedensrepublik Österreich in einem demokratischen Europa und in unserem gemeinsamen Heimatland Erde.

Das bedeutet die Abkehr von der Kriegs- und Gewaltlogik, auch wenn es noch nicht möglich sein wird, all die Waffenarsenale abzubauen. Wir müssen Sicherheit neu denken – wir müssen die Idee der gewaltfreien Verteidigung hoffähig machen. Wir müssen soziale und menschliche Sicherheit in den Vordergrund stellen. Und vor allem müssen wir die Sicherheit als gemeinsame Sicherheit aller Kontrahenten, letztlich als globale Sicherheit verstehen. Wir müssen als global citizens, Weltbürger*innen immer die große Mehrheit der Menschheit mit in unser Denken einbeziehen. Und wir müssen als planetary citizens, Erdenbürger*innen immer reflektieren, welche Auswirkungen unser Handeln auf die belebte und unbelebte Natur hat. Wir müssen das soziale Gewebe, das unsere Gesellschaft zusammenhält, neu und fester weben. Wir können uns das Feindbild Migrant oder Migrantin nicht mehr länger leisten. Wir müssen auch neue politische Bündnisse schließen, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Wir brauchen wieder einen starken Block der Blockfreien.

Die Doppel-Formel von der Friedensrepublik Österreich im Heimatland Erde entspricht diesen Zielen. Im Begriff der Friedensrepublik ist das Programm verdichtet und zusammengefasst: ein weitgefasster Frieden, der auch Frieden mit der Natur einschließt, und damit eine der wichtigsten Fragen der Menschheit überhaupt anspricht – die Verhinderung der drohenden Vernichtung unserer Lebensgrundlagen durch die Klimakatastrophe, das Artensterben und andere Überschreitungen der Grenzen der Stabilität des Ökosystems der Erde. Zugleich verweist Friedensrepublik darauf, dass es sich um ein politisches Programm handelt, das nicht individuell, sondern nur durch gemeinsame gesellschaftliche Anstrengungen umgesetzt werden kann. Der zweite Teil der Losung, Heimatland Erde, steht für die kosmopolitische Einbindung der Friedensrepublik Österreich. Dies geht von der Erkenntnis aus, dass der Frieden unteilbar ist und dass es ohne Weltfrieden nirgends auf Dauer Frieden geben kann. Die Losung spricht auch die Verantwortung an, die wir in Österreich – wie auch die Menschen in allen anderen Ländern – für das Ganze des Planeten Erde haben. Die Friedensrepublik ist der Beitrag, den ein Land wie Österreich für den Erhalt des gemeinsamen Heimatlands Erde leisten kann.[9, Wintersteiner 2023]

Auch wenn es keineswegs nur auf uns ankommt, sollten wir doch den Mut haben, so zu handeln, als läge die Verantwortung für den Weltfrieden genau auf unseren Schultern!


Dieser Aufsatz beruht auf einem Vortrag des Autors bei der Internationalen Sommertagung „Europa – in geistigem Umbruch und politischer Neuordnung.“; Katholischer Akademiker:innenverband Österreich und Kärnten, 21.-24. 8. 2025, Tainach/Tinje

Printquellen:

[1] vgl. Werner Wintersteiner: Der strategische Optimismus der Friedensforschung. Herbert Kelman zum 85. Geburtstag. In: Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung, 2/2012, 324-328.

[2] vgl. auch Christian Wehrschütz in der Kleinen Zeitung (13. 8. 25, S. 3).

[3] Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei: „Wir müssen unser Denken in Europa auf Kriegswirtschaft umstellen.“ (Welt am Sonntag, 15.3.2025)

[4] Papst Franziskus (2025): Hoffe. Die Autobiografie. München: Kösel.

[5] vgl. Michael Jungwirth, Kleine Zeitung 22.3.25.

[6] Hubert Patterer, Kleine Zeitung, 9. 3. 2025.

[7] Budgetrede Markus Marterbauer, 13. 5. 2025.

[8] Hubert Patterer, Kleine Zeitung, 9. 3. 2025.

[9] vgl. dazu: Werner Wintersteiner (2023): Friedensrepublik Österreich im Heimatland Erde. In: International 1/2023, 5-7

Titelbild: Steinnelkenweg (Wien-Donaustadt) neben dem Spielplatz (Foto: Unsere Zeitung)

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