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Besorgte Stimmung unter Syrern

Im deutschsprachigen Raum wurde debattiert, Syrer abzuschieben, da der Bürgerkrieg offiziell als beendet galt, als die HTS und andere extremistische Gruppen den ehemaligen Präsidenten Assad gestürzt hatten. Jedoch ist Sicherheit immer noch nicht für alle Syrer, insbesondere Minderheiten, gewährleistet. Vor allem die christlich-orthodoxe Gemeinde Syriens steht seit dem Terroranschlag des 22. Juni vor großer Ungewissheit.

Von Hassan Al Khalaf, Düsseldorf (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft IV/2025)

Es war ein Sonntagabend in Damaskus: Gläubige Christen hatten sich in der griechisch-orthodoxen Mar-Elias Kirche versammelt, um den Festtag ihrer Heiligen gemeinsam zu feiern. Plötzlich kam ein bewaffneter Mann in den Eingangsbereich. Er schoss um sich, ehe er seinen Sprengstoffgürtel betätigte. 25 Menschen, darunter Kinder, wurden bei diesem Terroranschlag getötet und 63 weitere verletzt.

Ein Anschlag wie dieser war seit über einem Jahrzehnt nicht gegen die christliche Minderheit in Damaskus verübt worden, selbst nicht zu Zeiten des Bürgerkriegs, als der damalige Präsident Bashar Al-Assad an der Macht war.

Syrische Christen weltweit zeigten sich schockiert, denn für die meisten war es unvorstellbar, dass sich so etwas in der kosmopolitischen Hauptstadt ereignen könnte, in welcher der letzte religiös motivierte Angriff auf Christen im 19. Jahrhundert weit zurücklag. Die Hauptstadt beheimatet viele verschiedene Minderheiten und einige der ältesten Kirchen überhaupt.

Mahnwache in Essen

Für die Verletzten und Märtyrer, wie die Opfer in der arabischen Kultur genannt werden, wurde eine Mahnwache in Essen abgehalten, organisiert durch die Kirche des Heiligen Josef von Damaskus. Während des Gottesdienstes hielten die Trauernden nicht nur Kerzen hoch, sondern auch Bilder der Märtyrer.

Auch ein 27-jähriger Kardiologe, der persönliche Verluste erleiden musste, war unter den Trauernden. Seinen Cousin und auch seinen Nachbarn hatte er bei diesem Anschlag verloren. Er selbst hatte auch die Mar-Elias Kirche besucht, ehe er vor fast einem Jahr nach Deutschland emigrierte:

Speziell den Christen ging es unter Bashar besser“, erzählt der Mediziner auf Arabisch.

Als der Bürgerkrieg offiziell für beendet erklärt wurde, hatte auch er Hoffnung, dass in Syrien Frieden zurückkehrt. Niemand hatte damit gerechnet, dass so ein Anschlag ausgerechnet in Damaskus verübt wird, einer Stadt, in der Christen seit Jahrzehnten Seite an Seite mit Muslimen leben. Nach diesem Attentat verspürt er keine Hoffnung mehr. Seine Familie in Syrien fühlt sich machtlos angesichts der Gefahr, weiteren Anschlägen ausgesetzt zu sein. Die Verantwortung sieht er hier bei der Übergangsregierung, welche die Pflicht hat, ihre Bürger vor solchen Angriffen zu schützen. Er gibt zu, dass sie sich keine Illusionen machen, dass der Schutz von Minderheiten eine Priorität für die neue Regierung darstellt.

Das syrische Außenministerium machte Daesh, den Islamischen Staat, für den Anschlag verantwortlich. Die Terrorgruppe hat jedoch kein Statement veröffentlicht, dass sie sich zur Tat bekennen würde, wie sie es normalerweise im Anschluss an einen Anschlags tut. Stattdessen bekannte sich eine neue Terrororganisation, Saraya Ansar al-Sunna, auf ihrem Telegram-Kanal dazu. Diese Gruppe hat sich das Ziel gesetzt, einen islamischen Staat in Syrien ohne konfessionelle Minderheiten wie Christen, Drusen, Schiiten und Alawiten zu errichten. Sie bildete sich nach dem Sturz Assads aus ehemaligen Mitgliedern der HTS, jener Terrororganisation, die von Syriens Präsidenten Ahmad Al Scharaa, damals noch unter dem Titel Al Jolani, geführt wurde. Somit haben der selbsternannte Präsident und die bekennenden Täter des Anschlags eine gemeinsame Vergangenheit. Die syrische Regierung weigert sich, die neue Gruppierung als Attentäter anzuerkennen, obwohl sie mehrere gezielte Anschläge auf Alawiten und Schiiten verübt hat und nun auch Christen zu ihren Opfern zählt.

Die Übergangsregierung und die ausländischen Kämpfer

Auf der Mahnwache in Essen wurde viel Sorge über die neue Regierung geäußert. „Bei dem, was im Moment als Regierung vorliegt, wollen unsere Syrer nicht zurückkehren“, erläutert der Diakon Efrem Kuckhoff im INTERNATIONAL-Gespräch. In der Kirche des Heiligen Josef ist er für die Verwaltung zuständig und Ansprechpartner für jeden in der Gemeinde, der etwas auf dem Herzen hat. Im Hof der Kirche begrüßen die Gläubigen ihn herzlich mit „Abouna“ Efrem, dem Titel, den arabischsprachige Christen für Vater verwenden. Er selbst ist Deutscher mit italienischen Wurzeln, unterstützt die syrische Gemeinde jedoch, seit sie 2015 im Zuge der Zuwanderung von Syrern gegründet wurde.

Sie haben Angst, dass die letzten Christen in Syrien verfolgt werden“, erzählt Abouna Efrem von den Menschen, die ihm ihre Sorgen anvertrauen.

Eine syrische Ingenieurin suchte verzweifelt in verschiedenen Kirchen nach einer Möglichkeit, ihre Eltern aus Homs zu retten, nachdem sie anonyme Drohungen erhielten. Die Erpresser forderten, dass die Tochter Schutzgeld für ihre Eltern zahlt, mit der Begründung, dass sie die Mittel dazu habe. Dies ist einer von vielen Gründen, weshalb sich syrische Christen schon vor dem Massaker alleingelassen fühlten, sowohl von ihrer Regierung als auch vom Westen. „Auf politischer Ebene ist man verlassen“, seufzt Abouna Efrem. Vor der Mahnwache hatte er Lokalmedien informiert, um Bewusstsein für das Leid der Gemeinde zu wecken. Nicht einmal eine Absage bekam er laut eigenen Angaben: „Die interessieren sich für andere Dinge, nur nicht für die Christen aus Syrien, die schon hier sind“.

Diese Erfahrung musste auch der Angehörige der Todesopfer machen. Unterstützung der Kirchen im Westen spürt er nicht. Viele Menschen, die selbst Christen seien, reagieren verblüfft, wenn sie erfahren würden, dass er Syrer und gleichzeitig Christ sei. Für die Christen, die noch in Syrien leben, wünscht er sich dringend mehr Einsatz.

Ein weiteres Problem, durch das sich die syrische Bevölkerung unwohl fühlt, sind ausländische Kämpfer, die sich im syrischen Bürgerkrieg extremistischen Fraktionen wie dem IS, der HTS und Al Nusra angeschlossen haben. Unter ihnen gibt es Kämpfer, die nicht arabischsprachig sind, sondern aus den entferntesten Regionen kommen, besonders auffällig seien Tschetschenen und Asiaten, erzählt der syrische Chirurg George. Dass sie sich nach dem Krieg immer noch in Syrien befänden und nicht entwaffnet wurden, sieht der 30-jährige Mediziner kritisch.

Er lebt seit einem Jahr in Deutschland, aber seine Mutter befindet sich noch in Hama, einer der ersten Städte, die von den Rebellen kurz vor dem Sturz Assads erobert wurden. Seitdem lebt die kleine christliche Gemeinde in Hama, die unter 2.000 Mitglieder zählt, in ständiger Angst. Es wurden bereits Kreuze am christlichen Friedhof zerstört, und die Gläubigen sorgen sich, dass sich die Gewalt auch bald gegen ihr Leben richtet.

George hatte Hama verlassen, um Medizin im christlichen Viertel Bab Tuma in der Altstadt von Damaskus zu studieren, nicht weit vom ältesten Kloster überhaupt, dem Haus des Sankt Ananias. Für die lange Existenz der christlichen Gemeinde Syriens würden diese ausländischen Kämpfer jedoch kein Gespür oder Verständnis zeigen: „Die kennen Syrien nicht.“

Die Präsenz all der ausländischen Kämpfer scheint für Al Scharaa kein Problem. Selbst zur Forderung der USA, alle ausländischen Kämpfer abzuschieben, hat er sich nicht zustimmend geäußert. Er will sie stattdessen als Mitstreiter mit der syrischen Staatsbürgerschaft belohnen. Die Grenze zwischen Repräsentanten der Regierung und extremistischen Terrororganisationen sei für die Bevölkerung nicht klar ersichtlich, erklärt der christliche Arzt. Bekannte aus Hama und Latakia berichteten ihm, dass bewaffnete Männer in Läden hineinstürmten, in denen Alkohol verkauft werde, um die sofortige Schließung zu fordern. Dabei besitzen sie keine Identifikationsnummern oder Dokumente, die belegen würden, dass sie im Auftrag der Regierung handelten, aber die Ladenbesitzer fühlen sich eingeschüchtert, da ihr Leben auf dem Spiel stehe. Für den Verkauf alkoholischer Getränke ist nun eine Genehmigung erforderlich, aber wenn Ladenbesitzer diese beantragen, bleibe die Antwort aus, wie seine Bekannten berichteten. Bis heute gibt es von der Regierung keine offizielle Entscheidung, ob Kneipen und Bars geöffnet bleiben dürfen. Dies hält die Fanatiker nicht davon ab, Ladenbesitzer und Verkäufer zu drängen, ihre Lebensgrundlage aufzugeben.

Da dieses Problem bislang vernachlässigt und geduldet wurde, haben viele Syrer kein Vertrauen in den selbsternannten Präsidenten. Seine Vergangenheit lässt ihn ebenfalls nicht in einem vertrauenswürdigen Licht erscheinen.

Auch Fares, ein junger Syrer, der Zahnmedizin studierte und für seine Zulassung nach Deutschland kam, sieht die Verantwortung für dieses Massaker bei Al Scharaa: „Er hat keine Kontrolle über seine Bevölkerung. Er macht nichts dagegen, kann aber Shorts verbieten. Wenn es um Sicherheit geht, ergreift er keine Maßnahmen“, kritisiert er.

Vergangene Hoffnungen

Dabei war Fares ursprünglich hoffnungsvoll: Der 27-Jährige verbrachte Ostern in Damaskus mit seinen Eltern und erlebte mit, wie die Feierlichkeiten von Regierungstruppen bewacht wurden, um die Gläubigen zu schützen. Mit diesem positiven Eindruck blickte er mit Vorfreude auf die Zukunft Syriens, doch der Anschlag habe ihn ohne Hoffnung zurückgelassen. „Alles ist sehr ungewiss. Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht“, seufzt er.

Schon damals war ihm bewusst, dass andere Minderheiten der Gewalt der Regierung ausgesetzt waren. Das Massaker an den Alawiten in Latakia im März ist eines von zahlreichen Beispielen, bei welchem die Regierung direkt gewaltsam gegen religiöse Minderheiten vorging. Über 1.400 Menschen, die meisten Zivilisten, wurden getötet, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte angibt. Auch an den Drusen gab es seit Ende April Massaker, verübt durch Regierungstruppen. Allein davon zu hören, löst bei anderen religiösen Gemeinschaften, wie den Christen, Unruhe aus. „Man fühlt sich im eigenen Land fremd, obwohl man so lange hier war. Als Christ in Syrien hat man immer Angst, da jederzeit was passieren kann“, teilt er seinen Frust mit.

Fares wünscht sich, dass sein Heimatland endlich geeint wird: „Wenn man andere als Minderheiten bezeichnet und zwischen Schiiten, Christen und Alawiten unterscheidet, dann grenzt man Menschen ab und sieht sie nicht als gleichwertig. Wir sind ein Teil dieses Landes, keine Menschen zweiter Klasse“, betont er.

Hassan Al Khalaf ist Journalist mit Schwerpunkt Arabischer Raum und lebt in Deutschland.


Titelbild: KI-generiertes Symbolbild einer Kerzenmahnwache | Erstellt mit GPT-4 Bildgenerierung

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