Gewerkschaften in der Zeitenwende
Der Deutsche Bundestag beschloss eine unbegrenzte Aufrüstung und ein Sondervermögen zur weitreichenden Militarisierung der gesellschaftlichen Infrastruktur. Dafür wurde der Sozialstaat unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. In der medialen Berichterstattung wurde diese in der Nachkriegsgeschichte einmalige Militarisierung mit dem Verweis gerechtfertigt, Putin wolle Europa angreifen und die Aufrüstung diene lediglich der Abschreckung.
Von Ulrike Eifler, Würzburg (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft IV/2025)
Es war Roderich Kiesewetter (CDU), der forderte, den Krieg nach Russland zu tragen. Und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, verriet, Abschreckung sei „nicht nur reaktiv“, sondern habe auch aktive Komponenten. Während ausgerechnet der Militärhistoriker Sönke Neitzel vom „vielleicht letzten Friedenssommer“ träumte.
Die aktuelle Entwicklung zeigt: Die Phase des „Zeitenwende“-Umbaus ist vorbei. Die Bundesregierung ist zu einer Politik offener Kriegsvorbereitungen übergegangen.
Zurück liegt die Zeit, in der sich die Militarisierung auf die Bundeswehrwerbung an Straßenbahnhaltestellen, auf Pizzakartons und Brötchentüten beschränkte. Jetzt zeigt man uns Bilder von Kindern hinter Maschinengewehren, eine neue Wehrpflichtdebatte droht mit dem Ende von Entscheidungs- und Gewissensfreiheiten, die Agentur für Arbeit forciert Vermittlungsversuche von Arbeitssuchenden in die Armee, eine Neuauflage des Arbeitssicherstellungsgesetzes kann uns im Spannungsfall zur Verrichtung bestimmter Tätigkeiten zwingen, und die Bundesregierung kündigt durch die Veröffentlichung des Grünbuches an, die Menschen auf harte Einschnitte in der Gesundheitsversorgung vorbereiten zu wollen.
Die Reaktion der Gewerkschaften
Nicht nur die „Zeitenwende“, auch ihre zweite Phase der Kriegsvorbereitung entpuppt sich als Angriff auf die arbeitenden Klassen. Nicht nur, weil wir mit Rückblick auf vergangene Kriege wissen, dass es stets der „Mann der Arbeit“ war, der auf den Schlachtfeldern der Geschichte kämpfen, frieren und sterben musste. So finden sich auf den unzähligen Gedenksteinen zur Erinnerung an die im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten nicht die Namen von Militärhistorikern, Kriegsministern und Rüstungsfabrikanten, sondern die von Industrieschlossern, Straßenbahnfahrern und Tischlermeistern.
Gleichzeitig wächst für viele Menschen infolge der neuen verteilungspolitischen Prioritäten der ökonomische Druck. Denn in einer Zeit von Deindustrialisierung, Inflation und Sozialabbau buchstabiert sich auch das Verhältnis von Kapital und Arbeit neu aus.
Es entsteht ein Klima des Verzichts, das nicht Rückenwind für gewerkschaftliche Umverteilungskämpfe erzeugt, sondern den Forderungen der Arbeitgeber nach Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung Auftrieb gibt.
Dass dabei gewerkschaftliche Tarifpolitik unter Druck gerät, zeigt eine Untersuchung des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (WSI). Demnach bewegten sich zu Beginn des Jahres 2024 die durchschnittlichen Tariflöhne auf dem Niveau von 2016 – und das trotz guter Tarifabschlüsse in 2022/23.
Dieser Entwicklung zum Trotz fällt die gewerkschaftliche Kritik an den verteilungspolitischen Weichenstellungen der Bundesregierung bislang verhalten aus. Die schwarz-rote Vereinbarung enthalte „kluge und vernünftige Pläne, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern“, lobte DGB-Chefin Yasmin Fahimi den Koalitionsvertrag. Inzwischen hat sich Frank Wernecke, der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, kritisch zur Entscheidung der NATO-Staaten, nach der die Verteidigungsausgaben künftig mit der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verknüpft und auf fünf Prozent dieses Wertes erhöht werden, geäußert. Doch eine laut vernehmbare Kritik der Gewerkschaften insgesamt an der Aufrüstung als neuem Treiber für Sozialkürzungen steht noch aus.
Diese Zurückhaltung hat Gründe: Die Bundesregierung bemüht sich, den Zusammenhang zwischen Aufrüstung und Sozialabbau zu verschleiern und sozialpolitischen Protest hintanzuhalten, indem sie die Gewerkschaften in ihren Aufrüstungskurs zu integrieren versucht. So sollten die im Koalitionsvertrag angekündigte Mindestlohnerhöhung auf 15 Euro und das Tariftreuegesetz signalisieren, dass der Vertrag auch für die Welt der Arbeit positive Effekte bereithält. Hinsichtlich des Mindestlohns können wir inzwischen ernüchternd feststellen, dass eine Erhöhung auf 15 Euro nicht erfolgen wird. Und auch das Tariftreuegesetz stellt nicht die Stärkung der Tarifbindung in den Mittelpunkt, sondern soll der Außen- und Sicherheitspolitik untergeordnet werden, indem Aufträge zur Bedarfsdeckung der Bundeswehr oder zur Vorbereitung auf eine Krisensituation von der Tariftreueregelung ausgenommen werden sollen. Wenn aber vorrangig in Kasernen- und Bunkerbau statt in Kindergärten und Schulen investiert wird, verkommt ein solches Gesetz zur Farce.
Gewerkschaften vor der Herausforderung
Aus der Geschichte wissen wir, dass Umbrüche mit dem Potenzial weltkriegerischer Auseinandersetzungen nicht nur mit erheblichen Angriffen auf die Welt der Arbeit einhergingen, sondern die Arbeiterbewegung stets in die Krise stürzten. Vor Beginn des Ersten Weltkrieges zeigte sich das an der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten und an der Burgfriedenspolitik der Gewerkschaften. Und weil es streikende Arbeiter waren, die den Ersten Weltkrieg beendet hatten, saß dem herrschenden Block vor Beginn des Zweiten Weltkrieges die Angst vor den großen Klassenmobilisierungen noch im Nacken. Der Aufstieg des Faschismus und mit ihm die Zerschlagung der Arbeiterbewegung waren daher wesentliche Momente der deutschen Kriegsvorbereitung.
Auch aktuell erleben wir, dass mit steigender Kriegsgefahr das Fundament aus sozialen Errungenschaften und Aushandlungsprozessen buchstäblich zu bersten droht.
Mehr und mehr zeigt sich: Unser Sozialstaat wird nicht etwa minimal angegriffen oder abgetragen. Nein, es ist zu erwarten, dass er nach der Fünf-Prozent-Verpflichtung der NATO regelrecht ruiniert werden wird. Die öffentlich geführten Diskussionen über die Streichung von Feiertagen, über Angriffe auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Abschaffung des Acht-Stunden-Tages oder die Einschränkung des Streikrechts geben einen Vorgeschmack darauf, dass es dieses Mal an die Grundfesten sozialstaatlicher und gewerkschaftlicher Errungenschaften geht. Betroffen werden alle sein, die in irgendeiner Weise auf Daseinsvorsorge und soziale Sicherungssysteme angewiesen sind. Die Gewerkschaften müssen diese Entwicklung beim Namen nennen und zum Organisator eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses werden, das die Ruinierung des Sozialstaates und die aktuelle Kriegsvorbereitung in eine Beziehung zueinander setzt und bekämpft. Zu befürchten ist, dass uns andernfalls die Bundesregierung zurück in die Spätphase der Weimarer Republik führen wird.
Ulrike Eifler ist Mitinitiatorin den Aufrufs „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg“ und Bundessprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft in der Partei DIE LINKE. Sie ist zudem Mitglied im Parteivorstand.
Titelbild: MustangJoe auf Pixabay

