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Amiriya: Ein US-Kriegsverbrechen im Irak

Der Bombenangriff auf den Schutzbunker in Amiriya stellt eines von zahlreichen Kriegsverbrechen an irakischen Zivilisten dar, für welche die USA nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Betroffene Zeitzeugen erzählen von dem Luftangriff und den Folgen, die die Menschen aus Amiriya durchleben mussten.

Von Hassan Al Khalaf, Bagdad (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft IV/2025)

Der Morgen des 13. Februar 1991 brach in Bagdad gerade an: Familien hofften, sicher zu sein, als sie in den Bunker des Viertels Amiriya flohen. Plötzlich schlugen zwei Bomben ein und trafen 408 Zivilisten. Während mehrerer Stunden verbrannten Eingeschlossene bei lebendigem Leib.

Erinnerungswand im Eingang des Bunkers von Amiriya, Foto: © Hassan Al Khalaf, 2025

Heute wird der Bunker kaum besucht. Auf dem Gelände befinden sich 408 symbolische Gräber, eines für jedes Opfer. Ihre Bilder hängen im Eingang des Bunkers. Sofort fällt auf, dass Gesichter von Frauen und Kindern überwiegen. „Bilder der Märtyrer des Amiriya-Bunkers“ steht auf Arabisch in roten Buchstaben über den schwarz-weißen Bildern. Auf der schweren Stahltür finden noch mehr Opfer Erwähnung. „Ich kenne 200 der Märtyrer“, erzählt Nada, eine von wenigen Besucherinnen. Viele Familien, mit deren Kindern sie damals gespielt hat, leben nicht mehr. „Ich erinnere mich an diese Familie“, flüstert sie, als sie auf die Bilder einer Frau mit ihren vier Kindern zeigt. „Der Mann ist der einzige Überlebende seiner Familie. Er war danach nicht mehr derselbe.“ Zu dem Bild eines jungen Mädchens murmelt sie: „Meine Freundin war immer bei uns, wenn es einen Grund zum Feiern gab. Sogar meine Lehrerin war hier“, erinnert sie sich an all die vergessenen Opfer.

Langfristige Folgen der Bomben auf Bagdad

Amiriya gilt als ein angesehenes Viertel mit guter Infrastruktur und Bildungseinrichtungen. Dort ist Nada geboren und aufgewachsen. Sie war 17 Jahre alt, als das US-Militär begann, Bagdad zu bombardieren. Das Haus ihrer Kindheit befand sich in unmittelbarer Nähe des Bunkers. Durch den Luftangriff wurden die Tür zerstört und die Splitter ins Haus katapultiert.

Anders als viele ihrer Schulfreunde konnte sie den Bomben entkommen. Ihre Familie hatte beschlossen, nicht in den Bunker, sondern mit der Großfamilie aus vier Generationen nach Kerbala zu fliehen – nahe dem Imam-Husain-Schrein, wo damals viele Schutz suchten, da sie sich in der Hauptstadt nicht mehr sicher fühlten. Bevor der verhängnisvolle Tag kam, hatte sie laut eigenen Angaben bereits geträumt, dass schwarze Stoffe mit Namen und Todesdaten an allen Häusern in Amiriya hingen. In der irakischen Kultur wurden so Todesanzeigen übermittelt.

Auch in Kerbala fühlten sie sich nicht sicher, da sie all die Raketen und Bomben sahen, die auf Bagdad abgeworfen wurden. An besagtem 13. Februar bohrte sich eine dieser Bomben in das Betondach des Bunkers, während die zweite den Bunker selbst und alle, die dort waren, traf.

Ein schmaler Kegel aus Tageslicht fällt in den dunklen Bunker, durch das aufgebrochene Loch, verursacht durch die Wucht der Bomben. Es scheint durch verbogenen Stahl, der in alle Richtungen ragt, und endet auf herabgestürzten Trümmern und Brandrückständen.

Ehrfürchtig beobachtet Nada die Überreste des Einschlags, der Stahlbeton so zurichten konnte. Ihre Hand streichelt über Bilder der Kinder, die in diesem Bunker verbrannten. Der Gedanke daran, hineinzugehen, löst bei ihr Erschrecken aus. „Man spürt die Seelen, die hier getötet wurden“, flüstert sie.

Das verheerende Feuer brannte für mehrere Stunden. Bewohner versuchten vergebens, die Opfer zu retten.

Symbolische Gräber auf dem Gelände des Bunkers, Foto: © Hassan Al Khalaf, 2025

Nada erinnert sich noch an eine ganz bestimmte Szene: In den Nachrichten sah sie den Vater ihrer Freundin verzweifelt beim Versuch, über den Sicherheitszaun zu klettern. Eine andere Freundin aus ihrer Kindheit, Dr. Noor, war zu dieser Zeit noch in Amiriya gewesen und sah den Brand mit eigenen Augen. Zusammen mit anderen besorgten Menschen war sie damals zum Bunker geeilt. „Wir hörten Schreie und versuchten, den Zaun aufzubrechen. Wer Familie dort hatte, wusste, dass sie nun tot waren, und war gezwungen mitanzusehen, wie sie niederbrannten“, beschreibt die Ärztin das Ereignis. „Wir hatten uns daran gewöhnt, dass hinter jedem Auto ein Leichenwagen sein konnte“, erzählt sie.

Als der Krieg von den USA für beendet erklärt wurde, konnten Binnenflüchtlinge endlich wieder in ihre Häuser zurückkehren. Normalität kehrte trotzdem nicht ein, denn die Folgen des Krieges blieben spürbar. Zahlreiche Häuser um den Bunker waren zerstört.

„Der Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft“, erinnert sich Nada, als sie die Rampe zum höchsten Punkt des verlassenen Geländes entlangläuft.

Von dort sieht man die symbolischen Gräber und eine Skulptur, die an die Opfer erinnert. Das schreiende Gesicht eines Kindes, umgeben von Flammen und Trümmern. „Auf dem Weg zur Schule mussten wir hier vorbei. Genau hier haben wir blutige Kleidung gesehen“, deutet sie auf die Rampe.

Erneute Flucht und Rückkehr

Nachdem ihre Familie Amiriya wegen einer anderen Tragödie hatte verlassen müssen, beschloss Nada, nach 25 Jahren das Wohnviertel ihrer Kindheit zu besuchen. Ihr Bruder wurde 2006 von Al-Qaida-Terroristen während der US-Besatzung erschossen, da die Terrororganisation allen Schiiten des Iraks, wozu auch ihre Familie gehörte, den Krieg erklärte. In der südlichen Stadt Dhi Qar, wo Al-Qaida nicht aktiv war, baute sie sich ein neues Leben auf.

Die Geschwister gehen ungern in ihr altes Viertel zurück, weil es mit Erinnerungen an die traumatischen Ereignisse behaftet ist. Trotz des Leids, das ihre Familie erleben musste, überwiegen für Nada schöne Erinnerungen an ihre Kindheit in Amiriya: „In unserem alten Haus stehen große Palmen, die so alt sind wie ich. Mein Vater hat sie in einem Haus gepflanzt, in dem wir Wand an Wand mit Christen und Sunniten gelebt haben“, erzählt sie, als sie am Zaun vorbei zu den Palmen hinaufblickt.

Nur noch ihr Onkel Shareef lebt heute in Amiriya. Im Ruhestand ist er aus den Emiraten in das Viertel zurückgekehrt, das so viele unschöne Erinnerungen birgt. „Die Straßen, über die ich früher mit meinen Freunden lief, sind heute leer“, erzählt der ehemalige Schulaufsichtsbeamte. Er muss gelegentlich an dem Bunker vorbei: „Jedes Mal lese ich die Al Fatiha für die Märtyrer, die hier zu Unrecht ermordet wurden“, erzählt er mit einem Blick aus dem Fenster. Dabei handelt es sich um die eröffnende Sure aus dem Koran, bestehend aus sieben Versen. Sie wird täglich im Gebet, aber auch zum Gedenken an Verstorbene gelesen.

Der Rentner erinnert sich daran, wie sich sein langjähriger Freund bei ihm ausweinte. Endlich eine Familie zu gründen, war die Freude seines Lebens, die leider nicht lange dauerte.

Der Mann hatte als Kommunist den Großteil seines Lebens im Gefängnis verbracht, da Saddam Hussein Oppositionelle, die nicht der Baath-Partei angehörten, verfolgen ließ.

Nach seiner ersehnten Freilassung wurde er stolzer Vater von vier Kindern. Im Bunker hoffte er, sie in Sicherheit zu bringen. Eine Entscheidung, die ihn seither mit Reue plagt. Obwohl er ebenfalls ein politischer Gegner Saddams war, hatten ihm Bomben der USA seine Familie genommen.

Bevor Shareef mit seiner Familie nach Kerbala floh, lebten sie in Angst, dass Bomben sie jederzeit treffen könnten. Er gedenkt der Zeit, als sie keinen Strom hatten und nachts im Dunkeln sitzen mussten. „Die Kinder hatten Angst. Sie dachten, sie hörten Bomben, und ich musste ihnen versichern, dass es nur Tropfen vom Duschkopf waren“, erinnert er sich.

Keine Aussicht auf Entschädigung oder Gerechtigkeit für die Opfer

Die Regierung von George H.W. Bush rechtfertigte den Angriff damit, dass sich dort eine Kommandozentrale des irakischen Militärs befunden habe. Human Rights Watch merkt in ihrem Bericht über den 2. Golfkrieg an, dass das Pentagon wusste, dass der Bunker während des Iran-Irak-Kriegs als Schutzraum für Zivilisten fungiert habe, und stuft den Angriff als Kriegsverbrechen ein, da keine Warnung gegeben wurde. Zivile Infrastruktur, die vom Militär genutzt wird, verliert den Schutzstatus nach dem Zusatzprotokoll der Genfer Konvention erst, sobald die Warnung in einer angemessenen Frist erfolgt.

Die Bewohner Bagdads, die den Bunker nur als Schutzraum kannten, ahnten nichts von diesem Angriff. Der Behauptung, wonach irakisches Militärpersonal in der Nähe des Bunkers gesichtet worden sei, entgegnet HRW, dass dies nicht rechtfertige, den Bunker anzugreifen. Das Protokoll würde dem Militär gestatten, zivile Schutzaufgaben durchzuführen. Eine Erklärung dafür, wieso die Satellitenüberwachung der USA nicht bemerkte, dass sich eine hohe Anzahl von Zivilisten in den Bunker begeben habe, bleibt aus. Auch eine Aufarbeitung fand nie statt.

Der führende General der US Air Force, Merril McPeak, betrachtete den Bunker als ein legitimes Ziel und die Opfer nur als geringe Kollateralschäden.

„Wir sollten dafür Anerkennung erhalten, anstatt uns zu entschuldigen“, zitiert ihn Al Jazeera in einem Artikel zum 30. Jahrestag der Bombardierung am 13. Februar 2021. „Wer sich nicht schämt, entschuldigt sich nicht. Bis heute haben wir keine Gerechtigkeit gesehen“, kritisiert ihn Shareef: „Viele Verbrechen wurden vom Westen begangen und nicht bestraft, wie Genozide auf dem amerikanischen Kontinent oder Europas Kolonialismus. Über tausend abgeschnittene Körperteile befinden sich in den Museen Europas. Man muss nur an geköpfte Algerier denken, die in Paris zur Schau gestellt wurden“, reiht er das traurige Kapitel der jüngeren Geschichte des Irak in eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen des Westens und der USA ein.

Hassan Al Khalaf ist Journalist mit Schwerpunkt Arabischer Raum und lebt in Deutschland.


Titelbild: Der Einschlag in den Amiriya-Bunker, © Hassan Al Khalaf, 2025

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