Der Mythos von Chinas Schuldenfalle-Diplomatie in Afrika
China gehört mittlerweile auch am afrikanischen Kontinent zu den wichtigsten Spielern. Während sich besonders im Sahel die neuen Militärregierungen gegen die alten Imperialisten aus Europa und den USA wenden, werden China – und in geringerem Maße Russland – mit offenen Armen aufgenommen. Der ökonomische und politische Einfluss Chinas ist dabei mit dem Vorgehen der ehemaligen Kolonialmächte nicht zu vergleichen.
Von Lucia Hubinska, Singapur (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft IV/2025)
In den letzten fünfzig Jahren hat China einen in der modernen Geschichte beispiellosen Wandel durchlaufen. Aus einer weitgehend agrarisch geprägten Gesellschaft, die von extremer Armut geplagt war, entwickelte sich das Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt und hat nach Schätzungen der Weltbank über 800 Millionen Menschen aus der Armut befreit. Dieser Erfolg, der oft als Beitrag zu fast 75 Prozent der globalen Armutsreduzierung bezeichnet wird, war das Ergebnis langfristiger Planung, Infrastrukturentwicklung und eines effizienten, zentralisierten Staatsapparats.
Nachdem China viele seiner innenpolitischen Ziele erreicht hat, wendet es sich zunehmend nach außen und versucht, seine globale Rolle durch Diplomatie, Handel und Entwicklungshilfe neu zu definieren.
Dieses Engagement – insbesondere in Afrika – stößt jedoch in westlichen Politik- und Medienkreisen auf wachsendes Misstrauen. Der häufigste Vorwurf lautet, China betreibe eine sogenannte „Schuldenfallendiplomatie“, bei der arme Länder zu untragbaren Krediten verleitet werden, nur um bei Zahlungsverzug die Kontrolle über strategische Vermögenswerte zu übernehmen. Obwohl diese Darstellung als geopolitischer Slogan überzeugend ist, widerlegen immer mehr Beweise ihre faktische Grundlage.
Chinas Engagement in Afrika ist nicht neu. Eines der frühesten und symbolträchtigsten Beispiele war die Tansania-Sambia-Eisenbahn (Tazara) Anfang der 1970er-Jahre – eine 1.860 Kilometer lange Strecke, die die sambische Stadt Kapiri Mposhi mit der tansanischen Hafenstadt Daressalam verband. Sambia war damals stark von den Handelsrouten abhängig, die vom Apartheid-Regime in Südafrika kontrolliert wurden, und suchte nach einer Alternative für den Kupferexport. Die mit chinesischer Finanzierung und Arbeitskräften gebaute Eisenbahnstrecke ermöglichte diese Route.
Für Peking war das Projekt sowohl strategisch als auch politisch: Es schmiedete Allianzen im Globalen Süden und signalisierte Solidarität zwischen Nationen, die koloniale Unterdrückung erlitten hatten.
Dieses Ethos – eine auf antikolonialer Solidarität basierende Partnerschaft – bleibt ein Eckpfeiler der Beziehungen zwischen China und Afrika. Heute ist Peking in mindestens 35 afrikanischen Ländern aktiv und investiert schätzungsweise 350 Milliarden US-Dollar in Sektoren wie Verkehr und Energie, Telekommunikation und digitale Infrastruktur.
Staatliche Unternehmen statt Privatkapital
Westliche Kritiker gehen oft davon aus, dass chinesische Investitionen der Logik privaten Unternehmenskapitals folgen – getrieben von Quartalsgewinnen und Shareholder Value. Doch die meisten chinesischen Auslandsprojekte werden von Staatsunternehmen (SOEs) durchgeführt, die von Bürokraten und Technokraten geleitet werden, nicht von CEOs der Wall Street oder der City of London. Diese Beamten sind oft in Ingenieurwesen, Stadtplanung und Politikmanagement ausgebildet, und ihre Leistung wird nicht am kurzfristigen Gewinn, sondern an langfristigen Ergebnissen gemessen: stabilen diplomatischen Beziehungen, zuverlässigen Handelsrouten, erweiterter Konnektivität und einem verbesserten internationalen Ruf. Ein Insider drückte es so aus: „Unsere Aufgabe ist es nicht, reich zu werden – wir dürfen nichts vermasseln.“ Dieser Ansatz erklärt, warum viele von China unterstützte Projekte bestenfalls marginal profitabel sind und dennoch durchgeführt werden.
Ziel ist es, politischen guten Willen und Soft Power aufzubauen und China als wohlwollenden Partner zu positionieren, im Gegensatz zur Geschichte des Westens, in der es auf militärische Interventionen und ausbeuterische Kreditumstrukturierungsprogramme zurückblickt.
Symbolische Projekte können politisch ebenso bedeutsam sein wie große Infrastrukturprojekte. In Afghanistan beispielsweise baute China eine Brücke zwischen Kabul und Jalalabad wieder auf, die während der Taliban-Angriffe im Zuge des chaotischen Abzugs der US-Truppen zerstört worden war. Diese Geste wurde weithin als Grundsatzerklärung interpretiert: „Wir bauen, was andere zerstören.“ Solche Projekte verfolgen zwei Ziele: Sie sind humanitärer Natur, aber auch reputationsfördernd und verstärken die Wahrnehmung, China sei ein Wiederhersteller und Stabilisator in Regionen, in denen westliche Präsenz oft mit Konflikten und Destabilisierung in Verbindung gebracht wird.
Der vielleicht überzeugendste Gegenbeweis zum Narrativ der Schuldenfalle sind die Zahlen selbst: Laut der Debt Justice Group und der Johns Hopkins China Africa Research Initiative machen chinesische Kredite weniger als zwölf Prozent der gesamten Auslandsverschuldung Afrikas aus. Der größte Anteil entfällt auf private westliche Gläubiger, wie Investmentfirmen und Banken, die kommerzielle Kredite zu weitaus ungünstigeren Konditionen anbieten als chinesische Kreditgeber.
Darüber hinaus konzentrieren sich chinesische Kredite tendenziell stark auf Infrastruktur – Sektoren, die von westlichen Geldgebern historisch unterfinanziert wurden. Zwischen 2000 und 2020 finanzierte China afrikanische Infrastrukturprojekte im Wert von über 155 Milliarden US-Dollar, darunter Kraftwerke, Straßen, Eisenbahnen und Telekommunikation. Über ihre symbolische Sichtbarkeit hinaus legen diese Projekte den Grundstein für eine sinnvolle, langfristige Entwicklung. Laut der Afrikanischen Entwicklungsbank besteht auf dem Kontinent eine jährliche Infrastrukturlücke von 68 bis 108 Milliarden US-Dollar. Chinas Engagement hat dazu beigetragen, dieses Defizit in einer Zeit rückläufiger westlicher Entwicklungshilfe zu verringern.
Während Kritiker oft auf Fälle wie den Hafen von Hambantota in Sri Lanka als Beweis für die Beschlagnahmung von Vermögenswerten verweisen, wurde dieses Beispiel weitgehend widerlegt. Die Schulden, die zur Pacht des Hafens führten, waren größtenteils bei westlichen kommerziellen Kreditgebern geschuldet, und die Entscheidung, den Hafen an ein chinesisches Unternehmen zu verpachten, war eine souveräne politische Entscheidung der sri-lankischen Regierung – nicht das Ergebnis eines von Peking herbeigeführten, erzwungenen Zahlungsausfalls.
Umstrukturierung statt Beschlagnahmung
Wichtig ist, dass China seine Bereitschaft zur Neuverhandlung oder Umstrukturierung von Schulden gezeigt hat, wenn Länder mit Rückzahlungsschwierigkeiten konfrontiert sind. So setzte China beispielsweise im Jahr 2020 inmitten der COVID-19-Pandemie im Einklang mit der Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes der G20 die Schuldenrückzahlungen für 23 afrikanische Länder aus. In vielen Fällen verlängerte China die Laufzeiten von Krediten oder gewährte tilgungsfreie Zeiträume und behandelte die Kreditnehmerländer als Partner und nicht als Schuldner.
Im Gegensatz zum Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Weltbank, die oft strenge Auflagen – Privatisierung, Ausgabenkürzungen, Währungsabwertung – stellen, sind Chinas Kredite an keine expliziten politischen Bedingungen geknüpft. Dies steht im Gegensatz zu den Strukturanpassungsprogrammen des IWF und der Weltbank in den 1980er- und 1990er-Jahren, die Sparmaßnahmen und Kredite zu hohen Zinsen erzwangen und Hilfen an politische Reformen knüpften, die von externen Akteuren als akzeptabel erachtet wurden – ein Muster, das allgemein als neokoloniale Konditionalität gilt. Während dies aus chinesischer Sicht Bedenken hinsichtlich Transparenz und Kontrolle aufkommen lassen könnte, sehen viele afrikanische Staats- und Regierungschefs darin eine Chance, ihre politische Souveränität zu behalten.
Chinas offizielles Narrativ zu Afrika betont stets gegenseitigen Respekt, Solidarität und gemeinsame Entwicklung. Im China-Afrika-Weißbuch von 2021 taucht das Wort „Freundschaft“ 34 Mal und „gegenseitig“ 28 Mal auf – ein bewusster Kontrapunkt zur Geber-Empfänger-Hierarchie, die seit langem im westlichen Hilfsdiskurs verankert ist. Gegenseitigkeit ist in Chinas Ansatz offensichtlich:
Afrikanische Staaten, die in der UN-Generalversammlung an der Seite Pekings stimmen, erhalten oft mehr Entwicklungshilfe.
Dies ist jedoch weder neu noch einzigartig chinesisch – die USA richten ihre Hilfszahlungen schon lange an strategischen diplomatischen Zielen aus. Der Unterschied liegt in der Präsentation: Peking stellt sein Engagement als nicht einmischend und partnerschaftlich dar – eine Haltung, die bei postkolonialen Nationen Anklang findet, die ihre politische Autonomie bewahren wollen.
Auf dem Forum für China-Afrika-Kooperation (FOCAC) 2025 untermauerte China seine Rhetorik mit konkreten Zusagen – es sagte Kreditlinien und Investitionen in Höhe von 50,7 Milliarden US-Dollar zu, darunter für 30 Projekte im Bereich saubere Energie, IKT-Infrastruktur und die inländische Produktion von Elektrofahrzeugen. Diese Prioritäten signalisieren eine Hinwendung zu grüner Industrialisierung und wertschöpfender Produktion und weichen von den extraktiven Investitionsmustern ab, die historisch mit kolonialem und neokolonialem Engagement verbunden sind.
ODA im Wandel: Afrika braucht Partner, keine Förderer
Die globale Landschaft der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) verändert sich. Westliche Entwicklungshilfebudgets werden zunehmend politisiert und durch den Spardruck im Inland eingeschränkt, während neue globale Herausforderungen – vom Klimawandel bis hin zu Pandemien – stärker kollaborative, horizontale Partnerschaften erfordern. In diesem Kontext braucht Afrika Verbündete, keine Förderer. Chinas Modell ist nicht perfekt – es gibt berechtigte Kritik an Umweltstandards, lokalen Arbeitspraktiken und Projekttransparenz –, aber es bietet eine Alternative zum neoliberalen Modell, das die Entwicklung jahrzehntelang dominiert hat.
Chinas wachsende Präsenz in Afrika sollte nicht als Bedrohung gesehen werden, sondern vielmehr als Spiegelbild einer multipolaren Welt, in der ehemals marginalisierte Regionen mehr Entscheidungsfreiheit bei der Wahl ihrer Partner haben.
Der Mythos der Schuldenfallendiplomatie vereinfacht diese Realität und dient oft eher der geopolitischen Eindämmung als einer fundierten politischen Debatte.
Das Narrativ der chinesischen Schuldenfallendiplomatie ist eher Ideologie als Analyse. Es ignoriert die komplexen Motive, politischen Kalkulationen und wirtschaftlichen Realitäten, die die Beziehungen zwischen China und Afrika heute prägen. China ist kein räuberischer Kreditgeber, sondern hat sich zu einem wichtigen Entwicklungspartner entwickelt, der Infrastrukturfinanzierung, politische Autonomie und politischen Respekt bietet – in einer Zeit, in der sich viele afrikanische Länder durch das Erbe westlicher Abhängigkeit eingeschränkt fühlen.
Lucia Hubinska ist Universitätsdozentin an der University for the Creative Arts und der Xiamen-Universität und Aktivistin aus der Slowakei.
Titelbild: Forum on China-Africa Cooperation, 2015 (Photo: GCIS, flickr.com; CC BY-ND 2.0)

