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»Gewerkschaften in der Zeitenwende«

Aus angekündigter Aufrüstung wurde offene Kriegsvorbereitung: Ulrike Eiflers Sammelband zeigt, wie die „Zeitenwende“ Steuergelder in die Rüstungsindustrie umlenkt, während Sozialstaat und Klimaschutz ausgeblutet werden. Ein Weckruf an die Gewerkschaften, ihre Macht für Frieden statt Aufrüstung einzusetzen.

Von H. Peter Degischer

Die Zeitenwende wurde vom seinerzeitigen deutschen Bundeskanzler Scholz 2022 angekündigt, was den Beginn einer massiven militärischen Aufrüstung einleitete. Inzwischen wurde aus der Aufrüstung der Aufruf zur Kriegsvorbereitung mit empfindlichen gesellschaftlichen und sozialen Eingriffen nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU.

Ulrike Eifler sieht die Ursache darin in der aktuellen Verwertungskrise des Kapitals, weil die Profitraten in der Industrie sinken, was die Aktienkurse zeigen. Der Konsum ziviler Produkte stagniert, sodass der staatliche Markt für Waffenkäufe erschlossen wird. Die Steuern der Bevölkerung werden in den staatlichen Konsum von Waffen umgelenkt, was der privaten Rüstungsindustrie steigende Profite beschert. Mittels der Zinsen für die dafür aufzunehmenden Schulden verdient das Bankenwesen. Das bewirkt eine beschleunigte Umverteilung von Steuergeldern in private Taschen, also von unten nach oben.

Die deutsche Regierung hat damit Tabubrüche vorgenommen: die im konventionellen Militärbereich mächtigste Nation Europas zu werden und nach den Schuldenbremsen, die größte Kreditfinanzierung für Rüstung einzuleiten. Der Verlust ökonomischer Stärke soll durch militärische Stärke kompensiert werden. Ulf Immelt meint, dass Kriegswirtschaft ein lukratives Geschäftsmodell für die Rüstungsindustrie darstellt, aber dass dauerhafte Nachfrage einen Waffenverbrauch in Kriegen voraussetzt, wie in der Ukraine.

Darauf weist auch Norbert Zirnsack hin, indem er an den ersten Weltkrieg erinnert: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“ [Jean Jaurés]. Hunderte Arbeiter verloren ihr Leben auf den Schlachtfeldern, während Rüstungsunternehmen enorme Gewinne einfuhren. Die Gewerkschaften sollten ihr politisches Mandat wieder für Frieden einsetzen, wie in der Friedensbewegung der 1980er Jahre, wo durch ihre Mitwirkung die Stationierung der Pershing Raketen in Deutschland verhindert wurde. Die Gewerkschaftsmitglieder sind mehrfach betroffen: als Steuerzahler für Waffenkäufe, als Lohnempfänger mit sinkendem Wohlstand, als Beschäftigte in der sie schädigenden Rüstungsindustrie und als Eltern von Soldaten.

Andreas Engelmann weist auf das Arbeitssicherstellungsgesetz hin, das ArbeitnehmerInnen im „Spannungsfall“ für militärische Aufgaben verpflichten kann. Wie werden die Berufsfreiheit und die Gewissensfreiheit zur Verweigerung juristisch gesichert werden?

Hans Schenk beschreibt in welcher Zwickmühle die Betriebsräte in der Rüstungsindustrie stehen, aber auch in Betrieben, die aus dem zivilen Bereich in Rüstungsproduktion „konvertiert“ werden, wo Betriebsverfassung und Arbeitnehmerrechte eingeschränkt werden. Rüstungsproduktion hat „Saison“, danach bedarf es der Konversion in zivile Produktion.

Anne Rieger verweist auf eine gewerkschaftliche Initiative für Frieden und Konversion der Rüstungsindustrie in nachhaltige, nützliche Produkte. Wo, was, wann, wie und wofür produziert wird, ist eine Klassenfrage.

Heinz Bierbaum bezweifelt, dass der Rüstungshype Deutschlands Industrie rettet, sondern fordert mit IG-Metall eine aktive Industriepolitik für gesellschaftlich nützliche Produkte, die dem notwenigen Transformationsprozess ermöglicht. Kriegsvorbereitung dient nicht dem Frieden, sondern beschwört Krieg herauf. Weiters verbraucht die Rüstungsproduktion enorme Ressourcen und emittiert signifikante CO2-Mengen, was den Klimawandel beschleunigt.

Ralf Krämer beklagt, dass die Hochrüstung sowohl den Sozialstaat zerstört als auch die ökosoziale Transformation verhindert. Die niedrigen Ziffern des BIP-Anteils für Rüstung verschleiern, dass z.B. In Deutschland 5% BIP 40% des Bundeshaushaltes ausmachen. Alles kann nicht über Kredite bezahlt werden, vor allem nicht die Zinsen. Es wird zu schmerzhaften Kürzungen im Sozialsystem, bei den Pensionen, in den Bildungsausgaben, in der Gesundheitsversorgung und in der Pflege kommen. Ausgaben für humanitäre Hilfen für internationale Kooperationen, gegen Klimawandel und für nachhaltige Wirtschaftstransformation werden gestrichen ohne Rücksicht auf die Folgekosten. Friedensarbeit hat keinen Budgetposten.

Dirk Hirschel beschreibt dies mit der Frage „Kanonen oder Butter?“ Wie kann gegen-gesteuert werden? Durch eine kraftvolle Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit der Friedensbewegung und Umweltbewegung, um weitere Belastungen der ArbeitnehmerInnen durch die „Zeitenwende“ abzuwenden: Wir brauchen „Friday for Peace“!

Übersetzung Bob Dylan – The Times They Are A-Changin’ (Lyrics auf Deutsch)


Ulrike Eifler (Hrsg.)
Gewerkschaften in der Zeitenwende
Was tun gegen Umverteilung nach oben, massive Angriffe auf den Sozialstaat, die Militarisierung des Alltags und den Rüstungswahnsinn?
144 Seiten | 2025 | EUR 12.80
ISBN 978-3-96488-251-6
VSA Verlag


Titelbild: Coverbild von „Gewerkschaften in der Zeitenwende“ (VSA Verlag)

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