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En el camino al alba*

Neun Monate in Lateinamerika: Nach Brasilien, Uruguay, Argentinien, Chile, Bolivien und Peru in INTERNATIONAL III/2025 folgen nun Kolumbien, Panama, Costa Rica, Nicaragua, El Salvador, Mexiko und Kuba.

*Dem Morgenrot entgegen

Ein Reisebericht von Michael Wögerer (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft IV/2025)

Jetzt auch als Podcast (Audio-Zusammenfassung):

Tief eintauchen in die Welt Südamerikas und der Karibik, die Lebenskultur der Menschen kennenlernen und politische Zusammenhänge verstehen – dies und noch viel mehr war Ziel meiner Reise, die am 11. September 2024 in São Paulo begann und am 1. Juni 2025 in Havanna zu Ende ging. Zweiter und letzter Teil meines politischen Reiseberichts.

Kolumbien

Wandmalerei im Stadtteil Getsemani von Cartagena (Kolumbien): „Hier sind es die Frauen, die das Sagen haben.“

Es war mein erster interamerikanischer Flug, der mich Ende Jänner von Perus Hauptstadt Lima nach Bogotá brachte. Fünf Monate war ich zu diesem Zeitpunkt bereits in Südamerika unterwegs und gespannt, was mich in der zweiten Halbzeit erwarten würde. Um mir einen Überblick über die politische und soziale Lage in Kolumbien zu verschaffen, stand gleich am zweiten Tag ein Treffen mit dem kolumbianischen Journalisten Zabier Hernández von der Wochenzeitung Semanario VOZ am Programm. Er berichtete mir vom bisher erfolgreichen Weg der ersten Linksregierung Kolumbiens unter Präsident Gustavo Petro, aber auch von den neu aufkeimenden Spannungen zwischen rivalisierenden Guerillaorganisationen. 2016 hatte zwar die mit Abstand größte Rebellengruppe FARC ein Friedensabkommen mit der damaligen Regierung unterzeichnet. Mehrere Splittergruppen der mittlerweile aufgelösten FARC lehnten den Friedensschluss aber ab.

Die 2022 begonnenen Friedensgespräche mit der zweitgrößten Guerilla ELN wurden Mitte Jänner abgebrochen. Teile des Landes sind von den wieder aufgeflammten Kämpfen betroffen.

Ich erfuhr davon nur durch Gespräche und aus den Nachrichten. Meine Reiseroute von Bogotá über Medellín, Montería und Cartagena bis Santa Marta an der Karibikküste verlief reibungslos. Der Tourismus in Kolumbien floriert, seitdem das Land als weitgehend sicher gilt. Dass man als Individualreisender trotzdem erhöhte Vorsicht walten lassen muss, liegt auf der Hand. Trotz zahlreicher Reformen sind die sozialen Unterschiede im Land weiterhin sehr groß. Mit einem Gini-Koeffizienten von 0,546 (2023) gehört Kolumbien zu den Ländern mit der höchsten Einkommensungleichheit in der OECD und in Lateinamerika.

Panama

In Janoschs berühmtem Kinderbuch Oh, wie schön ist Panama machen sich Kleiner Tiger und Kleiner Bär auf den Weg in ihr Traumland, aber erreichen es doch nie. Auch meine Erfahrungen mit der panamaischen Realität sind enden wollend. Weil der Landweg durch den Darién Gap zwischen Kolumbien und Panama zu gefährlich ist, musste ich das Flugzeug nehmen, anschließend wollte ich meine Reise wieder per Bus Richtung Costa Rica fortsetzen. Doch diese Rechnung hatte ich ohne die panamaische Copa Airlines gemacht, die von mir explizit ein Flugticket für die Wiederausreise aus Panama verlangte. Trotz meiner Proteste und dem Verweis darauf, dass andere südamerikanische Länder auch Bustickets als Nachweis für die geplante Ausreise akzeptieren würden, blieb die Copa-Mitarbeiterin hart. Widerwillig musste ich kurzerhand ein teures Flugticket von Panama City nach San José (Costa Rica) buchen und beschloss missmutig, meinen Aufenthalt in Panama nach drei Tagen wieder zu beenden, ohne das Land richtig gesehen zu haben.

Am Hafen von Panama City

Was ich sah, reichte mir aber auch, um den Eindruck zu bekommen, dass die politische Lage in Panama gar nicht so schön ist. Das kleine, zentralamerikanische Land wurde gerade von heftigen Protesten gegen eine umstrittene Sozialversicherungsreform erschüttert. Gewerkschaften und Studentenorganisationen liefen gegen die Privatisierung des Rentensystems und die Erhöhung des Renteneintrittsalters Sturm.

Während meines kurzen Aufenthalts erlebte ich eine von Spezialeinheiten umstellte Universität. Der Staat reagierte brutal: 500 Verhaftungen bei Gewerkschaftsblockaden, Tränengas gegen Studierende, Razzien gegen Aktivisten.

Panama entwickle sich zu einem „Polizeistaat“, kritisieren Tamara und Joyner, Aktivisten der „Juventudes Revolucionarias de Panamá“ in unserem Gespräch, bevor meine Reise weiterging.

Costa Rica

Am Strand von Tamarindo (Costa Rica)

Regenwälder, Strände, Vulkane und biologische Artenvielfalt – die „Reiche Küste“ (Costa Rica), im Osten durch die Karibik und im Westen durch den Pazifik begrenzt, hat Großartiges zu bieten, zudem ist sie ein relativ sicheres Reiseziel. Dennoch schwächelt der Tourismus. Das hat vor allem einen Grund: Es ist sauteuer!

¡Pura Vida!, der optimistische Leitspruch Costa Ricas über die Leichtigkeit des Seins, hat sich insbesondere für Touristen zum „cara vida“ (teures Leben) entwickelt. Auch ich kann davon ein Lied singen: Während in Bolivien, Peru oder auch Kolumbien Unterkünfte für rund 20 Euro pro Nacht zu bekommen sind, zahlt man in Costa Rica für vergleichbare Hostels zwischen 40 und 60 Euro. Ein Seiterl Bier kostet in den Pubs bis zu fünf Dollar.

Um meine Reisebudget nicht völlig überziehen zu müssen, überquerte ich deshalb bereits nach zehn Tagen die Grenze (Peñas Blancas) nach Nicaragua.

Costa Rica lässt sich sogar die Ausreise bezahlen: Acht US-Dollar müssen noch überwiesen werden, damit man die „überteuerte Küste“ verlassen darf.

Nicaragua

Plaza de la Revolución in Managua (Nicaragua)

Mit dem Nachtbus von Libería im Norden Costa Ricas kam ich am 11. März in Rivas (Nicaragua) an und nahm gleich die Fähre nach Ometepe, der größten vulkanischen Insel im süßwasserhaltigen Nicaraguasee. Nach einem weiteren touristischen Zwischenstopp im von europäischen und nordamerikanischen Expats bevölkerten San Juan del Sur ging es über die historische Stadt Granada für eine Woche in die Hauptstadt Managua. Im politischen Zentrum Nicaraguas, samt Plaza de la Revolución, konnte ich mir ohne westlichen Meinungsfilter ein Bild über die Situation der Menschen in der als Diktatur verunglimpften und sanktionierten Präsidialrepublik mit revolutionärer Geschichte machen.

Bei einem Gespräch mit Tirsa Sáenz vom genossenschaftlich organisierten Radiosender La Primerísima wurde mir klar, dass die in Europa veröffentlichte Meinung über das „autoritäre Regime“ nur wenig mit der tatsächlichen Lebensrealität der Menschen zu tun hat.

So hat Nicaragua laut Weltbank eine der niedrigsten Armutsraten in Lateinamerika, unter Präsident Ortega wurde die allgemeine Armut seit 2007 fast um die Hälfte reduziert. Dies liegt vorwiegend am Ausbau des staatlichen Sozialwesens mit kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung auf allen Ebenen. Das erklärt auch die durchwegs hohe Zustimmung der Bevölkerung zur sandinistischen Regierungsarbeit. In León, der zweitgrößten Stadt Nicaraguas, wurde ich Zeuge einer großen Kundgebung anlässlich des 45. Jahrestages der Großen Alphabetisierungskampagne, in der 1980 fast einer halben Million Menschen Lesen und Schreiben beigebracht wurde.

El Salvador

Souvenirshop in San Salvador mit „Heldenfiguren“ von Präsident Naib Bukele (El Salvador)

Noch unter den Eindrücken der Erlebnisse in Nicaragua stand Ende März bereits das nächste mittelamerikanische Land am Programm. Mit dem Schnellboot überquerte ich vom nicaraguanischen Potosí aus den Golf von Fonseca und ging in La Unión (El Salvador) an Land. Tagesziel war die Hauptstadt San Salvador, in der ich drei Tage verbrachte, ehe ich aus persönlichen Gründen für eine längere Auszeit nach Kolumbien zurückkehrte. Denn nach sieben Monaten, in denen ich selten eine Woche an einem Ort verbracht hatte, ständig den Rucksack aus- und eingepackt und in gefühlt hundert verschiedenen Betten geschlafen hatte, nach über 200 Tagen, in denen ich von einem Abenteuer ins nächste gehüpft war, war es an der Zeit, eine Pause einzulegen, dem Nichtstun zu frönen, durchzuatmen und das Erlebte zu verarbeiten.

Politisch betrachtet war El Salvador dennoch spannend. Seit 2019 regiert Nayib Bukele das Sechs-Millionen-Einwohner-Land und wurde 2024 für weitere fünf Jahre wiedergewählt.

Bukele wird von der Bevölkerung aufgrund seiner rigorosen Politik gegen die Drogenkriminalität geschätzt, seine autoritären Tendenzen wie die Einschränkung der Pressefreiheit, Masseninhaftierungen und Menschenrechtsverletzungen nehmen viele Salvadorianer in Kauf.

Dank der verbesserten Sicherheitslage nahm auch der Tourismus zu, 2024 verzeichnete das Land mit etwa 3,9 Millionen internationalen Besuchern und einem Wachstum von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr einen historischen Höchststand.

Mexiko

Aufgrund meiner längeren Auszeit in Kolumbien hatten sich meine ursprünglichen Pläne geändert, und es blieb keine Zeit, Guatemala und Mexiko zu durchqueren. Ich verbrachte lediglich vier Nächte in Mexiko-Stadt und war äußert positiv überrascht. Obwohl es sich ähnlich wie São Paulo (Brasilien) um eine Megastadt mit rund zehn Millionen Einwohnern handelt, fühlte ich mich in Mexico City viel sicherer. Mein kurzer Aufenthalt diente jedoch in erster Linie als Zwischenstopp für meinen Flug nach Havanna.

Kuba

Gebrauchtes 1.-Mai-Plakat in Kuba am Straßenrand: „Für Kuba schaffen wir gemeinsam“

Das Wiedersehen mit der seit der Revolution von 1959 rot gefärbten Insel war zugleich Höhe- und Tiefpunkt meiner Reise. Ein Wechselbad der Gefühle. Nach meinem Auslandssemester in Havanna (2007) und zahlreichen Reisen im Rahmen meiner Tätigkeit für die Österreichisch-Kubanische Gesellschaft (zuletzt 2019) war meine Ankunft am Internationalen Flughafen José Martí eine lang ersehnte Rückkehr in meine zweite Heimat. Doch in so einem prekären Zustand hatte ich das revolutionäre Kuba bisher noch nicht erlebt. Der Tourismus sprang nach der Corona-Pandemie nicht mehr richtig an, und die unter US-Präsident Trump verschärfte Wirtschafts- und Handelsblockade erschwert das tägliche Leben der kubanischen Bevölkerung. Stellenweise macht sich Resignation breit.

Umso bewegender war der diesjährige Aufmarsch zum Tag der Arbeit, den ich in Havanna von der Ehrentribüne aus mitverfolgen durfte. 600.000 Kubaner in der Hauptstadt und mehr als 5,3 Millionen im ganzen Land nutzten den 1. Mai nicht etwa für Proteste gegen die eigene Regierung, sondern um die jahrzehntelange US-Blockade zu verurteilen und für ein klares Bekenntnis zum eigenständigen, sozialistischen Weg, der, so holprig er gerade auch sein möge, noch nicht zu Ende ist.

Was bleibt, ist Dankbarkeit

Ein allgemeines Fazit meiner Lateinamerikareise durch 13 Länder ist denkbar schwierig. Ich war an Orten, die als Weltwunder bezeichnet werden (Iguazú-Wasserfälle, Machu Picchu), und in Gegenden, in die sich kaum Touristen verirren, ich wanderte auf den Spuren von Che Guevara und traf junge Rebellen. Ich bin überglücklich, dass ich in diesen neun Monaten großartige Menschen kennenlernte und viele wunderbare Eindrücke sammelte, und sehr froh darüber, auch schwierigere Momente gut überstanden zu haben.

Michael Wögerer ist Gewerkschafter und freier Journalist, sowie Gründer und Mitherausgeber des Online-Projekts „Unsere Zeitung – DIE DEMOKRATISCHE“ sowie stv. Chefredakteur der INTERNATIONAL.

Hier geht´s zu Teil 1: Im Unterschied vereint (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft III/2025)

Mehr über seine Lateinamerika-Reise auf alerta.media


Titelbild: Sonnenuntergang in Ometepe (Nicaragua)

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