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Bronsteins letzter Fall im Schatten des Dritten Mannes

Andreas Pittlers David Bronstein ermittelt wieder. Im düsteren, hungernden und aus tausend Wunden blutenden Wien des Jahres 1948. Der Weltkrieg ist zwar vorbei, aber die, die ihn verursacht haben, fischen immer noch im Trüben – und wittern sogar wieder Morgenluft. „In der Sache Apfelbaum“ ist mithin nicht nur ein Kriminalroman, er ist vor allem ein hochspannendes politisches Zeitdokument.

Von Michael Wögerer

Wien, im Herbst 1948. David Bronstein, der zwischen 1913 und 1938 so manchen Kriminalfall löste, ehe er Hals über Kopf ins Exil flüchten musste, hat nur noch wenige Tage bis zur Pension. Die unmittelbare Nachkriegseuphorie, als man glauben durfte, nun werde endlich alles anders, sie ist vorbei. Der antifaschistische Geist der Lagerstraße, er ist dem „Kalten Krieg“ gewichen, und mit einem Mal sind es nicht mehr die Nazis, gegen die der Staat zu Felde zieht, sondern die Kommunisten, die von allen Schaltstellen entfernt werden. SPÖ-Innenminister Helmer gibt dabei die Linie vor: alles, was nach Wiedergutmachung und historischer Aufarbeitung riecht, soll auf die lange Bank geschoben werden. Und so finden sich alsbald alle echten Antifaschisten an den Rand gedrängt. So auch David Bronstein, der in ein unbedeutendes Kommissariat in der Leopoldstadt versetzt wurde, wo ihm ein Pensionist von einer merkwürdigen Entführung berichtet, der Bronstein nachgeht.

Schnell stellt sich heraus, dass es sich bei dem abgängigen Herschel Apfelbaum um einen Wiener Juden handelt, dem 1938 gleich Bronstein die Flucht gelungen war. Zehn Jahre später kam er zurück, um Gerechtigkeit für sich und seine Familie, die samt und sonders von den Nazis ermordet worden war, zu fordern. Ein Verlangen, das ihm, wie Bronstein entdeckt, das Leben kostete.

Naturgemäß will Bronstein Apfelbaums Mörder finden, doch dieses Bemühen stößt keineswegs auf Gegenliebe bei seinen Vorgesetzten, die lieber den Mord an einer Geheimprostituierten geklärt wissen wollen. Da Bronstein aber partout nicht von der Jagd nach Apfelbaums Mörder ablässt, bläst ihm bald der rauhe Wind der Obrigkeit harsch ins Gesicht.

Pittlers neuer Roman ist ein Zeitgemälde. Während man Bronstein auf seinen Ermittlungen begleitet, erlebt man eine Stadt, in der nach wie vor die Not regiert. Es gibt kaum genügend Lebensmittel, viele Häuser sind immer noch Ruinen, und die Bevölkerung ist vom Krieg nachhaltig traumatisiert. Die Stimmung ist dementsprechend düster, und das passt auch sehr gut zur Romanhandlung, welche die Leserschaft in die politischen Abgründe führt, die aus den Tätern Opfer machen wollen, während die eigentlichen Opfer vergessen werden sollen.

Wie auch schon in den anderen Bronstein-Romanen gelingt es Pittler, Zeitgeschichte überaus lebendig werden zu lassen. Da muss man sich buchstäblich für ein bisschen Brot anstellen, weiß nicht, wovon man sich am nächsten Tag wird ernähren können und geht unendliche Strecken zu Fuß, weil auch der öffentliche Verkehr noch nicht wirklich funktioniert. Begehrenswerte Güter wie echten Bohnenkaffee oder Fleischspeisen gibt es nur im „Schleich“ (dem Schwarzmarkt) oder bei der Unterwelt, den Ganoven der Stadt. Allerdings zeigt sich, dass auch die Regierenden keineswegs unschuldige Lämmchen sind. Bronstein kämpft also an zwei Fronten: gegen die eigentlichen Verbrecher einer- und gegen das kollektive Vergessen andererseits.

Dass uns Pittler dabei immer wieder auch die eine oder andere wahre Anekdote präsentiert – so wird während der Handlung in Wien gerade der Klassiker „Der dritte Mann“ gedreht, was Bronstein Gelegenheit bietet, auf Orson Welles zu treffen -, ist ein zusätzliches Extra in einem Buch, das uns Zeitgeschichte so unmittelbar nahebringt, dass man meint, selbst live dabei zu sein.

Andreas Pittler
„In der Sache Apfelbaum“
Kremayr & Scheriau, 2025
272 Seiten, 17 Euro
ISBN: 978-3-218-01475-5


Titelbild: Coverbild (Ausschnitt) „In der Sache Apfelbaum“ (Kremayr & Scheriau)

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