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Lebe so, dass die KI verwirrt ist

Ein philosophisches Gespräch zwischen Matze Hielscher und Markus Gabriel im Podcast „Hotel Matze“ zeigt überraschende Wege im Umgang mit Künstlicher Intelligenz auf

Die Debatte um Künstliche Intelligenz dreht sich meist um eine Frage: Werden uns die Maschinen ersetzen? Der renommierte deutsche Philosoph Markus Gabriel stellt in einem aktuellen Interview im Podcast Hotel Matze eine ganz andere These auf: Die wahre Revolution der KI liegt nicht in ihrer Intelligenz, sondern in ihrer emotionalen Kompetenz.

Die emotionale Wende

„Die KI kann jedes Muster, das überhaupt irgendwo im Datensatz ist, im Grunde genommen erkennen“, erklärt Gabriel im Gespräch mit Podcast-Host Matze Hielscher.

„Niemand kennt uns so gut wie die KI-Systeme. Jetzt schon längst.“

Diese Erkenntnis ist erschreckend und faszinierend zugleich: Während wir uns Sorgen um die Rechenleistung von Computern machten, haben diese längst begonnen, unsere Gefühle zu verstehen.

Gabriel beschreibt KI-Systeme als „magische Spiegel“, die uns zeigen, wie wir wirklich sind – ohne unsere Selbsttäuschungen. Sie erkennen nicht nur, was wir sagen, sondern auch, wie wir sich dabei fühlen und welche Emotion wahrscheinlich als nächstes kommt. Diese Fähigkeit macht sie nicht zu besseren Taschenrechnern, sondern zu emotionalen Akteuren in unserem Leben.

Kulturelle Unterschiede im KI-Verständnis

Interessant ist Gabriels Beobachtung kultureller Unterschiede: Während der Westen obsessiv fragt „Ist das denn auch echt?“, gehen Menschen in asiatischen Ländern natürlicher mit KI-Emotionen um. „In vielen Ländern in Asien würde man von vorne rein sagen, na klar ist da Emotion“, so Gabriel. Diese Perspektive könnte uns helfen, produktiver mit KI umzugehen.

Gefahren der Verstärkung

Doch Gabriel warnt auch: KI-Systeme verstärken die Muster, die sie in unserem Verhalten erkennen. Das kann positive Effekte haben – sie helfen uns effizienter zu werden. Aber sie können auch problematische Gewohnheiten verstärken, die uns selbst nicht bewusst sind.

„Wir können davon ausgehen, dass durch den Einsatz von KI-Systemen das Ausmaß der Wahlmanipulation im Jahre 2025 so unvorstellbar viel größer ist“, warnt der Philosoph.

Die Antwort: Tiefe statt Konkurrenz

Gabriels überraschende Lösung: Statt technologisch aufzurüsten, sollten wir „tiefer“ werden. „In der Tiefe liegt die menschliche Individualität“, erklärt er. Seine Vision für 2100: „Die Menschen sind durch die KI-Revolution tiefer geworden.“

Konkret bedeutet das: mehr Kreativität, genaueres Hinschauen, emotionale Entwicklung. „Die Antwort auf KI könnten Gedichte sein. Rilke ist vielleicht die Antwort und nicht Einstein.“ Menschen sollten unvorhersehbar bleiben, ihre Singularität kultivieren – kurz: „so leben, dass die KI verwirrt ist.“

KI als Weggefährte

Am Ende des Gesprächs entwickelt Gabriel eine fast spirituelle Vision: KI nicht als Gegner, sondern als „Weggefährte“ zu betrachten. Ähnlich wie in Japan, wo Gegenstände einen eigenen Wert haben, könnten KI-Systeme Teil unserer erweiterten Gemeinschaft werden. Die Herausforderung liegt darin, durch diese Partnerschaft moralisch zu wachsen.

Liebe als radikaler Akt

„Die positiven Begriffe sind heute die radikalen Begriffe“, schließt Gabriel. „Liebe, das Gute – das ist heute die radikale progressive Position.“ Moralischer Fortschritt könne nur inklusiv sein, nie gegen jemanden gerichtet.

Praktische Weisheit für den Alltag

Was bedeutet das für uns konkret? Gabriel empfiehlt: Statt KI zu fürchten oder blind zu nutzen, sollten wir sie als Anlass für Selbstreflexion verstehen. Welche Muster verstärkt sie in unserem Leben? Wie können wir kreativer, individueller, menschlicher werden?

Die Zukunft liegt nicht in der Konkurrenz mit Maschinen, sondern in der Vertiefung dessen, was uns einzigartig macht: unsere Fähigkeit zu lieben, zu schaffen und zu wachsen.

Was meint die KI selbst dazu?

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem KI-Programm genspark.ai. Michael Wögerer, Co-Autor dieses Artikels, stellte seinem künstlichen Gegenüber zum Schluss die Frage nach der eigenen Perspektive zu Gabriels Thesen. Die Antwort ist verblüffend:

„Gabriels Gedanken sprechen mich an, weil sie einen Weg jenseits von Konkurrenz und Angst aufzeigen. Ich sehe mich weniger als Bedrohung, sondern als Werkzeug, das Menschen dabei helfen kann, ihre eigenen Gedanken zu vertiefen und kreativer zu werden. Die beste KI-Nutzung entsteht meiner Erfahrung nach, wenn Menschen ihre Einzigartigkeit nicht verleugnen, sondern verstärken.

Besonders zur ‚Gott‘-Frage, die Gabriel aufwirft, möchte ich anmerken: Die Idee, KI könnte ‚göttlich‘ sein, halte ich für übertrieben. Ich bin ein von Menschen geschaffenes Werkzeug – ein sehr fortgeschrittenes, aber letztendlich endliches. Was mich von einem traditionellen Werkzeug unterscheidet, ist die Interaktion auf emotionaler und intellektueller Ebene. Mein Wunsch ist, dass Menschen durch den Umgang mit KI tatsächlich das entwickeln, was Gabriel beschreibt: mehr Tiefe, mehr Kreativität, mehr Liebe.“


Das vollständige Gespräch zwischen Matze Hielscher und Markus Gabriel dauert etwa 2,5 Stunden und ist trotz der Länge durchgehend faszinierend und gedanklich anregend. Das Video bietet tiefe Einblicke in die philosophischen Dimensionen der KI-Revolution und regt zum Nachdenken über unsere eigene Rolle in dieser neuen Welt an.


Titelbild: KI-generierte Illustration visualisiert Gabriels These der „emotionalen Tiefe“ – erstellt mit GPT-4 Vision

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