Wenn Wissenschaft zur Friedensstifterin wird
Am 10. November begeht die UNESCO den Welttag der Wissenschaft für Frieden und Entwicklung – ein Tag, der mahnt, aufklärt und Hoffnung gibt
Von Michael Wögerer
Jedes Jahr am 10. November richtet sich der Blick auf einen oft übersehenen Zusammenhang: die unverzichtbare Rolle der Wissenschaft für Frieden und nachhaltige Entwicklung. Der Welttag der Wissenschaft für Frieden und Entwicklung (World Science Day for Peace and Development) ist weit mehr als ein symbolischer Akt – er ist ein Aufruf zur Reflexion über die Grundlagen unserer Demokratie.
Die Wurzeln: Budapest 1999
Die Geburtsstunde dieses Welttages liegt in der ungarischen Hauptstadt Budapest. Im Juni und Juli 1999 kamen dort Wissenschaftler, Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft aus aller Welt zur World Conference on Science zusammen. Organisiert von der UNESCO und dem International Council for Science (ICSU), sollte diese Konferenz eine neue Ära der globalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit einläuten.
Das Ergebnis waren zwei wegweisende Dokumente: die „Declaration on Science and the Use of Scientific Knowledge“ und die „Science Agenda – Framework for Action“. Diese Texte formulierten eine Vision, die heute aktueller ist denn je: Wissenschaft als gemeinsames Erbe der Menschheit, das verantwortungsvoll zum Wohle aller eingesetzt werden muss. Die Konferenz betonte, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht im Elfenbeinturm verbleiben dürfen, sondern die breite Öffentlichkeit in Debatten über wissenschaftliche Themen einbezogen werden muss.
Im November 2001 rief die UNESCO-Generalkonferenz offiziell den Welttag der Wissenschaft aus, der seither jährlich am 10. November begangen wird. An diesem Tag findet auch die Verleihung der UNESCO-Wissenschaftspreise statt – eine Anerkennung für jene, die Wissenschaft in den Dienst der Gesellschaft stellen.
Frieden durch Wissen – Entwicklung durch Aufklärung
Die Verbindung von Wissenschaft, Frieden und Entwicklung mag auf den ersten Blick abstrakt erscheinen. Doch sie ist existenziell: Ohne wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse gibt es keine nachhaltige Entwicklung. Ohne transparente, faktenbasierte öffentliche Debatte gibt es keinen dauerhaften Frieden. Die UNESCO unterstreicht, dass „die wichtige Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft und die Notwendigkeit, die breite Öffentlichkeit in Debatten über aktuelle wissenschaftliche Themen einzubeziehen“ zentrale Anliegen moderner Demokratien sein müssen.
Genau hier setzt das Projekt „Unsere Zeitung“ an.
Die Verbindung: Wissenschaft, Demokratie und unabhängiger Journalismus
Seit der Gründung im Jahr 2014 verfolgt „Unsere Zeitung“ ein klares Ziel: pluralistische, unabhängige Berichterstattung als Gegenpol zur zunehmenden Medienkonzentration in Österreich. Was hat das mit dem Welttag der Wissenschaft zu tun? Alles.
Frieden entsteht nicht nur durch die Abwesenheit von Krieg, sondern durch aufgeklärte Gesellschaften, in denen Bürgerinnen und Bürger auf Basis verlässlicher Informationen Entscheidungen treffen können. Entwicklung – im Sinne einer nachhaltigen, gerechten Gesellschaft – benötigt Medien, die wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich vermitteln, statt sie zu verzerren oder zu ignorieren.
Eine aktuelle Studie in der Fachzeitschrift Media and Communication (2024) unter dem Titel „Democracy and Media Transformations in the 21st Century“ betont: Demokratien sind auf qualitativ hochwertige Medien angewiesen, die wissenschaftliche Erkenntnisse korrekt vermitteln und öffentliche Debatten ermöglichen. Die Studie untersucht die Verbindung zwischen Wissen, Expertise und demokratischen Prozessen – und kommt zu dem Schluss, dass Medien eine Schlüsselrolle bei der Transformation von wissenschaftlichem Wissen in gesellschaftliches Handeln spielen.
Das Problem: Boulevardisierung statt Aufklärung
Doch die Realität der österreichischen Medienlandschaft sieht anders aus. Die Boulevard-Dominanz ist erdrückend: Kronen Zeitung, Heute und Österreich/Oe24 erreichen zusammen 39,2 Prozent der Leser:innen – mehr als alle Qualitätszeitungen zusammen. Die Kronen Zeitung allein kommt auf eine Reichweite von 22,3 Prozent, was 1,714 Millionen Leser:innen entspricht.
Das Jahrbuch Qualität der Medien 2024 des renommierten Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich, das jährlich die Medienlandschaft in der Schweiz, Deutschland und Österreich untersucht, warnt vor einer „Angleichung zwischen qualitätsstarken und qualitätsschwächeren Medientypen“. Während viele Medien noch eine gute Qualität aufweisen, zeigt sich ein „wachsendes Reichweitenproblem“: Immer mehr Menschen konsumieren wenig bis keine Nachrichten mehr. Die Studie stellt fest, dass „inhaltliche Medienkonzentration“ zunimmt – das Teilen und Verbreiten identischer Beiträge, was zu einem Vielfaltsverlust führt.
Die Forschung aus Journalism Studies (2024) mit dem Titel „Quality journalism in social media – what we know and where we need to dig deeper“ analysiert, wie Boulevardisierung und Social-Media-Logiken die Qualität des Journalismus untergraben. Die Autoren warnen, dass ökonomischer Druck Medien dazu zwingt, auf Klicks statt auf Qualität zu setzen – mit fatalen Folgen für die demokratische Öffentlichkeit.
Der Skandal: Wenn Medien käuflich werden
Am gravierendsten ist jedoch ein aktueller Fall, der wissenschaftlich belegt, wie Boulevardmedien demokratische Prozesse untergraben können. Im Oktober 2024 veröffentlichten Forscher der Universitäten Wien und Fribourg/Freiburg eine bahnbrechende Studie zur österreichischen Inseratenaffäre rund um Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Die Vorwürfe der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft: Die ÖVP unter Kurz habe ab 2016 durch geheime Absprachen positive Berichterstattung in der Mediengruppe Österreich (Oe24) mit staatlichen Werbegeldern erkauft. Die Wissenschaftler analysierten 222.000 Nachrichtenartikel aus 18 österreichischen Medien von 2012 bis 2021.
Das Ergebnis ist eindeutig und erschütternd:
Sebastian Kurz wurde nach den mutmaßlichen Absprachen ab 2016 in Oe24 zwischen 50 und 100 Prozent häufiger erwähnt, als statistisch zu erwarten gewesen wäre. „Die umfangreichere Berichterstattung über Sebastian Kurz in Oe24 ist sehr stabil – über verschiedene Varianten in der statistischen Methodik hinweg“, erklärt Martin Huber, Professor für Angewandte Ökonometrie an der Universität Fribourg/Freiburg.
Noch brisanter: Während Kurz nicht unbedingt positiver dargestellt wurde, wurden seine politischen Konkurrent:innen in Oe24 nach 2016 systematisch negativer dargestellt.
Dr. Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien formuliert es in der Pressemitteilung der Universität Wien deutlich: „Unabhängig davon, ob es 2016 tatsächlich zu Absprachen zwischen Kurz und der Mediengruppe Österreich kam, zeigen unsere Ergebnisse nach diesem Zeitpunkt bei Oe24 eine auffällig abweichende Berichterstattung. Ein Umstand, der zumindest kritische Fragen aufwerfen sollte.“
Die Studie wurde in der renommierten Fachzeitschrift The International Journal of Press/Politics(2024) veröffentlicht und gilt als methodisch wegweisend für die Erforschung von Medienkorruption.
Die Konsequenzen: Demokratie in Gefahr
Diese Studie ist mehr als ein Einzelfall. Sie demonstriert, wie politische Einflussnahme auf Medien die Grundfesten der Demokratie angreift. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Klimawandel, Gesundheit, Bildung oder Wirtschaft können nur dann wirksam werden, wenn Medien sie unabhängig und professionell vermitteln.
Der Reuters Institute Digital News Report 2024 der University of Oxford, der weltweit Mediennutzung und Vertrauen untersucht, zeigt besorgniserregende Trends: Das Vertrauen in Nachrichten nimmt global ab, während die Nutzung von Nachrichtenmedien sinkt. In Ländern mit starker Medienkonzentration und politischer Einflussnahme ist dieser Trend besonders ausgeprägt.
Eine 2024 in Comunicação e sociedade erschienene Studie „Journalistic Quality and Democratic Stability in Times of Crisis“ betont die „zentrale Rolle von Qualitätsjournalismus im Kampf gegen Desinformation und Bedrohungen der Demokratie“. Die Autoren analysieren, wie Krisen – von Pandemien bis zu politischen Skandalen – die Bedeutung unabhängiger Medien unterstreichen.
Das Media Pluralism Monitor 2024 der Europäischen Union, das die Medienfreiheit in allen EU-Mitgliedstaaten untersucht, warnt vor „hohen Risiken“ für die Medienvielfalt in mehreren europäischen Ländern, darunter auch in Österreich. Der Bericht hebt hervor, dass politische Einflussnahme durch Inseratenverteilung und Medienkonzentration zu den Hauptbedrohungen für demokratische Öffentlichkeit zählen.
Die Lösung: Redaktionelle Unabhängigkeit als Grundrecht
Die Lehre aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist klar: Redaktionelle Unabhängigkeit ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Transparenz bei staatlichen Werbeausgaben ist ebenso wichtig wie vielfältige Eigentümerstrukturen. Medienkonzentration in den Händen weniger gefährdet die Demokratie. Unabhängige Medien bieten eine Alternative zum Boulevard und sind systemrelevant. Gleichzeitig benötigen Bürgerinnen und Bürger Medienkompetenz, um Qualitätsjournalismus von Propaganda zu unterscheiden.
„Unsere Zeitung“: Wissenschaft im Dienst der Demokratie
Das Projekt „Unsere Zeitung“ verkörpert diese Prinzipien. Gegründet aus Sorge um Pressefreiheit und Medienkonzentration, arbeitet es nach wissenschaftlichen Standards: Transparenz durch Offenlegung von Quellen und Interessenskonflikten, Wissenschaftsorientierung mit Fakten statt Gefühlen, Evidenz statt Ideologie. Die redaktionelle Unabhängigkeit ohne Abhängigkeit von Konzernen oder Parteien sowie pluralistische Perspektiven statt Meinungsmonopole bilden das Fundament.
Am Welttag der Wissenschaft wird deutlich: Demokratischer Journalismus ist angewandte Wissenschaft. Er basiert auf überprüfbaren Fakten, transparenten Methoden und dem Streben nach Wahrheit – nicht nach Auflage oder politischem Einfluss. Wo Boulevardmedien mit reißerischen Schlagzeilen Emotionen schüren, setzt wissenschaftsorientierter Journalismus auf Kontext und Einordnung. Wo politische Einflussnahme durch Inserate die Berichterstattung verzerrt, garantiert redaktionelle Unabhängigkeit verlässliche Information.
Ein Appell zum Welttag
Die UNESCO-Erklärung von Budapest 1999 rief alle Nationen auf, „die Dringlichkeit anzuerkennen, Wissen aus allen Bereichen der Wissenschaft auf verantwortungsvolle Weise zu nutzen.“ Das gilt auch – und gerade – für den Journalismus.
In Zeiten von Fake News, politischer Polarisierung und Medienkonzentration ist unabhängiger, wissenschaftlich fundierter Journalismus wichtiger denn je. Der Welttag der Wissenschaft erinnert uns daran, dass Wissen eine Grundlage für Frieden ist – und dass Medien die Verantwortung tragen, dieses Wissen zu vermitteln, nicht zu manipulieren.
Initiativen wie „Unsere Zeitung“ zeigen, dass Qualitätsjournalismus möglich ist – auch ohne Millionenbudgets und Inseratendeals. Sie beweisen, dass es Medienschaffende gibt, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollen. In einer Medienlandschaft, die von wenigen großen Akteuren dominiert wird, sind solche unabhängigen Stimmen keine Konkurrenz, sondern ein notwendiges Korrektiv. Sie erinnern daran, dass Journalismus mehr ist als ein Geschäftsmodell – er ist ein öffentliches Gut, eine Grundlage demokratischer Gesellschaften.
Am 10. November sollten wir nicht nur die Wissenschaft feiern, sondern auch jene Medien unterstützen, die wissenschaftliche Erkenntnisse in den Dienst der Demokratie stellen. Denn wie die Budapester Erklärung betont: Wissenschaft ist ein „gemeinsames Erbe der Menschheit“.
Und dieses Erbe verdient Medien, die es respektieren.
Quellen:
- UNESCO: Welttag der Wissenschaft für Frieden und Entwicklung
- UNESCO: Declaration on Science and the Use of Scientific Knowledge (1999)
- Balluff, P., Eberl, J.-M., et al. (2024): The Austrian Political Advertisement Scandal: Patterns of „Journalism for Sale“. The International Journal of Press/Politics. DOI: 10.1177/19401612241285672
- Universität Wien (2024): Studie zur Inseratenaffäre: Hinweise auf auffällig abweichende Berichterstattung
- fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (2024): Jahrbuch Qualität der Medien 2024. Universität Zürich
- Degen, M., Olgemöller, M., Zabel, C. (2024): Quality journalism in social media – what we know and where we need to dig deeper. Journalism Studies. Taylor & Francis
- Santos, S.F., Bord, R.M. (2024): Journalistic Quality and Democratic Stability in Times of Crisis. Comunicação e sociedade
- Bleyer-Simon, K., et al. (2024): Monitoring media pluralism in the digital era: Media Pluralism Monitor 2024. European University Institute
- Newman, N., Fletcher, R., et al. (2024): Reuters Institute Digital News Report 2024. University of Oxford
Dieser Artikel erscheint anlässlich des Welttages der Wissenschaft für Frieden und Entwicklung am 10. November 2025.
Titelbild: KI-generiert (Flux Pro Ultra), November 2024


