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Das Geschäft mit dem Krieg: Der beispiellose Einfluss der Waffenindustrie auf die EU

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 89 Lobbytreffen in zehn Monaten, 800 Milliarden Euro für Aufrüstung. Ein neuer Bericht von Attac Österreich enthüllt das erschreckende Ausmaß, mit dem Rüstungskonzerne die europäische Sicherheitspolitik beeinflussen – während Sozialstaat und Klimaschutz unter die Räder kommen.

Von Michael Wögerer

Mehr als einmal pro Woche trafen sich 2025 Vertreter der EU-Kommission mit Lobbyisten von Rheinmetall, Thales, Airbus und anderen Rüstungsgiganten. Die Gespräche drehten sich um Aufrüstungsprogramme, geopolitische Einschätzungen und das massive EU-Projekt „ReArm Europe“. Zum Vergleich: Gewerkschaften, NGOs und Wissenschaftler kamen im selben Zeitraum gerade einmal auf 15 Treffen zum Thema Verteidigungs- und Rüstungspolitik. Das Verhältnis: 86 Prozent Rüstungslobby, 14 Prozent alle anderen.

Quelle: EU-Transparenzregister & LobbyFacts.eu, eigene Darstellung von Attac

„Wer an Aufrüstung verdient, darf nicht die Richtung der Sicherheitspolitik mitbestimmen – so wenig wie die Tabaklobby die Gesundheitspolitik“, kritisiert Max Hollweg von Attac Österreich. Die Recherche, die auf einer Auswertung des EU-Lobbyregisters basiert, zeigt: Die Rüstungsindustrie hat in den vergangenen Jahren massiv aufgerüstet – nicht nur materiell, sondern vor allem politisch.

Lobbyisten-Offensive in Brüssel

Die Zahlen dokumentieren eine bemerkenswerte Offensive: Zwischen Juni 2024 und Juni 2025 organisierten EU-Abgeordnete 197 Treffen mit Rüstungslobbyisten – mehr als in den gesamten fünf Jahren davor zusammen, in denen nur 78 solcher Gespräche stattfanden. Gleichzeitig explodierten die Lobbybudgets: Die zehn größten Rüstungskonzerne investierten 2024 insgesamt 7,2 Millionen Euro in ihre Brüsseler Interessenvertretung. Zwischen 2022 und 2023 waren die Ausgaben bereits um 40 Prozent gestiegen.

Auch personell rüsten die Waffenschmieden auf: Der französische Konzern Thales erhöhte die Zahl seiner Lobbyisten von vier auf zehn Mitarbeiter. Branchenprimus Airbus gibt mittlerweile 2,25 Millionen Euro jährlich für Lobbyarbeit aus. Die Investitionen zahlen sich aus: Airbus kündigte kürzlich die Verdopplung der Produktion des Kampfjets Eurofighter an.

800 Milliarden Euro ohne parlamentarische Kontrolle

Das sichtbarste Ergebnis dieser Lobby-Offensive ist „ReArm Europe“ – ein Aufrüstungsprogramm mit einem Volumen von rund 800 Milliarden Euro. Besonders brisant: Um das Programm durchzusetzen, aktivierte die EU den Notfallartikel §122, der dem Europäischen Rat ermöglicht, am Parlament vorbei zu entscheiden. „Aufrüstung wird zunehmend ohne demokratische Kontrolle beschlossen“, warnt Attac.

Parallel dazu wachsen Programme wie der European Defence Fund (EDF), das Act in Support of Ammunition Production (ASAP) und das European Defence Industry Programme (EDIP) schneller, als Transparenzmechanismen Schritt halten können. Der sogenannte „Defence Omnibus“ – ein umfassendes Deregulierungspaket – soll Kapital noch schneller in die Rüstungsindustrie lenken.

Besonders umstritten: Rüstungsunternehmen sollen von Umwelt- und Chemikalienregulierungen ausgenommen werden, um Waffen schneller produzieren zu können. „Dieser massive Abbau sozialer und ökologischer Schutzstandards zugunsten großer Konzerne ist beispiellos“, heißt es in dem Bericht.

Rheinmetall-Aktie: Wertsteigerung um das 21-Fache

Quelle: boerse.de, eigene Darstellung von Attac

Die Aktienmärkte feiern das Geschäft mit dem Krieg. Der Kurs der Rheinmetall-Aktie schoss von 82 Euro Ende 2021 auf etwa 1.750 Euro im Herbst 2025 – eine Wertsteigerung um das 21-Fache. Die EU plant zudem, Teile der Rüstungsindustrie in ihrer Taxonomie als „nachhaltig“ zu klassifizieren. Zahlreiche Banken und Fonds haben Rüstungsunternehmen bereits in sogenannte nachhaltige Finanzprodukte aufgenommen.

Während die Auftragsbücher der Waffenschmieden platzen und Aktionäre jubeln, wird andernorts der Rotstift angesetzt. „Jeder Euro für mehr Waffen heizt die Klimakrise an, verstärkt soziale Unsicherheit und fehlt für die sozial-ökologische Transformation“, betont Hollweg. Die enormen Militärinvestitionen gehen einher mit drastischen Kürzungen in der Sozial- und Klimapolitik – in einer Zeit, in der viele Menschen bereits unter Inflation und finanziellem Druck leiden.

Wenn die Rüstungslobby abschreibt

Recherchen von LobbyControl zeigen, dass Formulierungen der Europäischen Industriestrategie für den Verteidigungsbereich teilweise nahezu wörtlich mit Positionen des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie übereinstimmen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die Rüstungsindustrie nutzt auch Schlupflöcher: Indem sie nationale Regierungen und Expertengremien einbindet – besonders dort, wo Lobbyregeln schwächer sind – umgeht sie EU-Transparenzstandards. Zivilgesellschaft, Friedensforschung und Parlamente verfügen bei weitem nicht über vergleichbare Ressourcen.

Attac fordert Kurswechsel

Attac Österreich fordert eine demokratische Kontrolle und Vergesellschaftung der Rüstungskonzerne, um deren Profitlogik zu brechen. Die Organisation tritt dafür ein, das aktuelle Wettrüsten zu stoppen und warnt:

„Verteidigung ist im Ernstfall notwendig, aber blindes Wettrüsten führt zu weiterer Eskalation statt zu langfristiger Sicherheit.“

Konkret verlangt Attac, dass Österreich der ReArm-Europe-Initiative und dem 2-Prozent-BIP-Ziel für Aufrüstung eine Absage erteilt. Stattdessen solle Österreich seine Neutralität aktiv gestalten, Fähigkeiten für zivile Konfliktlösung ausbauen und sich für internationale Abrüstungsverträge einsetzen.

„Wir brauchen Investitionen in menschliche Sicherheit, soziale Infrastruktur und Klimagerechtigkeit – nicht in Panzer und Drohnen“, so Hollweg.

Die globalen Militärausgaben erreichten 2024 mit 2.714 Milliarden US-Dollar einen historischen Höchststand. Ein UN-Sicherheitsbericht zeigt: Jede Milliarde Dollar, die ins Militär fließt, schafft durchschnittlich 11.200 Arbeitsplätze – dieselbe Summe in Bildung investiert generiert hingegen 26.700 Jobs. „Wir erleben eine gefährliche Verengung des sicherheitspolitischen Diskurses“, warnt Hollweg. „Während Wettrüsten zur neuen politischen Norm wird, geraten Friedenspolitik und zivile Konfliktlösungen aus dem Blick.“


Die vollständige Attac-Broschüre ist unter www.attac.at abrufbar.

Titelbild: Coverbild der neuen Attac-Broschüre (screenshot)

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