Österreichs Medien am Abgrund: Warum wir neue Wege brauchen
Die Pressefreiheit in Österreich ist in Gefahr. Zwei Wissenschaftler fordern radikale Reformen – und die Zivilgesellschaft beginnt, sich zu Wort zu melden.
Von Michael Wögerer
Am Freitag (28.11.) lud das Wissenschaftsnetz Diskurs zu einem Online-Mediengespräch, das aufhorchen lässt. Die zentrale Botschaft der beiden Experten Dr. Hendrik Theine und Prof. Fritz Hausjell klingt alarmierend: Österreichs Mediensystem steht an einem Kipppunkt. Die Digitalisierung beschleunigt den wirtschaftlichen Absturz vieler Medien, während politische Akteure gleichzeitig über Inserate und strategische Einflussnahme die Berichterstattung steuern wollen. Beides zusammen gefährdet die Pressefreiheit in einem Ausmaß, das seit Jahrzehnten nicht mehr zu beobachten war.
Die Krise ist keine Anpassungsphase – sie ist strukturell
Hendrik Theine, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Kepler Universität Linz, macht drei strukturelle Trends aus, die die Krise unumkehrbar vorantreiben: Digitale Plattformen wie Google, Meta und Amazon haben die Gatekeeper-Funktion übernommen. Werbeeinnahmen fließen zu Tech-Konzernen statt zu österreichischen Medien – die Digitalsteuer zeige, „wie stark diese Geldströme Österreich bereits verlassen“. Und generative KI verschärft die Krise zusätzlich, „weil Inhalte genutzt werden, ohne deren Produktion zu finanzieren“.
Die Folge sei dramatisch: „Traditionelle, lange profitable Geschäftsmodelle brechen weg, Redaktionen schrumpfen, die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich“, analysiert Theine. Seine zentrale These:
„Die alte Kopplung zwischen Werbung und Journalismus war historisch einmalig und kommt nicht zurück.“
Klar ist für ihn: „Der Markt allein wird die demokratische Öffentlichkeit nicht tragen.“
Radikale Lösungsansätze statt kosmetischer Reformen
Die Vorschläge der Wissenschaftler sind radikal. Das bisherige Inseratensystem solle „nicht kosmetisch reformiert, sondern grundlegend abgelöst werden“, fordert Theine. Seine Alternative: einen „Public Media Trust Fund“, verwaltet durch ein plural besetztes Gremium aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Medienpraxis. „Die Vorstellung völliger Unpolitisiertheit ist dabei unrealistisch, entscheidend ist transparente und breit legitimierte Vergabe statt parteipolitischer Einflussnahme.“
Der zentrale Paradigmenwechsel: „Österreich braucht ein neues Medienmodell, das Journalismus als öffentliche Infrastruktur, vergleichbar mit Gesundheit oder Bildung, begreift“, so Theine. „Ein Grundfinanzierungsmodell würde redaktionelle Arbeit absichern und Medienqualität von Marktlogiken entkoppeln.“ Zukunftsfähige Medienpolitik müsse „zivilgesellschaftlich verankerte, genossenschaftliche und gemeinnützige Medienmodelle systematisch stärken“.
Die gemeinsame Plattform: Eine Vision für Europa
Prof. Fritz Hausjell von der Universität Wien brachte eine konkrete Innovationsidee ein. Seine Vision: gemeinsame digitale Ausspielkanäle „von ausschließlich journalistischen Angeboten“. Damit könnten „Bürger:innen sich auf Wunsch ausschließlich relevanz- und faktengeprüften Informationen zuwenden“, erklärt Hausjell – im Gegensatz zu Social Media, wo journalistische Inhalte „neben ebensolchen der PR, der Werbung und der Propaganda“ ausgespielt werden.
Die europäische Dimension: Wenn solche genossenschaftlich betriebenen Kanäle viele Anbieter umfassen und durch Übersetzungs-KI nutzbar machen, entstehe „erstmals für viele Bürger:innen eine europäische Öffentlichkeit, die bisher ein großes Manko im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Europäisierungsprozess ausmacht“. Für den Aufbau brauche es „vermutlich temporär nationale und europäische Mittel der Startförderung“.
Die Zivilgesellschaft meldet sich zu Wort
Was den beiden Experten Hoffnung macht: Die Zivilgesellschaft beginnt, sich einzumischen. Studierende verfassen offene Briefe zur Presserat-Reform, bei Veranstaltungen fordern neue Akteure Mitsprache. In der Diskussion betonten die Experten die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Drucks: Erfolg hänge davon ab, wie viel Druck ausgeübt wird. Ohne diesen Druck würden sich etablierte Akteure und Profiteure durchsetzen.
Skandalöse Arbeitsbedingungen als blinder Fleck
Ein oft übersehenes Problem wurde im Rahmen des Mediengesprächs vom freien Journalisten Johannes Greß eingebracht: die prekären Arbeitsbedingungen vieler Journalist:innen. Honorare für Freie seien „unter aller Sau“, auch bei sogenannten Qualitätsmedien. „Medien sind die einzige Branche, die staatliche Förderung erhält, obwohl sie Mitarbeitern ein paar Euro pro Stunde bezahlen“, kritisiert Greß.
Seine Forderung, Medienförderung an faire Arbeitsbedingungen zu koppeln, fand bei den Experten Zustimmung. Die Vergabe öffentlicher Fördergelder müsse an die Einhaltung von Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen geknüpft werden, so Hausjell und Theine.
Alternative Medien als Teil der Lösung
Theine fordert in seinem Reformvorschlag explizit, „zivilgesellschaftlich verankerte, genossenschaftliche und gemeinnützige Medienmodelle systematisch“ zu stärken. „Förderungen sollen sich an demokratischer Funktion, Transparenz und redaktioneller Unabhängigkeit orientieren“, so der Wissenschaftler. Solche Modelle würden verhindern, dass Gewinne an private Eigentümer abfließen, und sicherstellen, dass alle Mittel im Mediensystem verbleiben.
Dass solche Alternativen möglich sind, zeigt etwa Unsere Zeitung. Als unabhängiges, über Mitgliedsbeiträge finanziertes Online-Medium ohne Konzernbesitz, Inserate oder lästige Werbung versucht die Redaktion seit über 11 Jahren, demokratischen Journalismus zu leben. Die Herausforderungen sind immens – aber das wachsende Interesse zeigt: Es gibt Bedarf an unabhängiger, vielfältiger Berichterstattung jenseits der Konzernmedien.
Ein Zeitfenster für echten Wandel
Theine fasst zusammen: Die aktuelle Debatte sei „ein wichtiges und notwendiges Fenster für echten Wandel“. Hausjell betont, dass zur Aufgabe der Wissenschaft „neben der systematischen Analyse auch die Entwicklung von Innovationen und Konzeptionen für die Zukunft“ gehöre, „die das Potential haben, herrschende schwierige Verhältnisse zu überwinden“.
Die nächsten Monate werden zeigen, ob Österreich den Weg zu einer gemeinwohlorientierten Medienfinanzierung findet – oder ob die Pressefreiheit weiter unter Druck gerät. Fest steht: Ohne zivilgesellschaftliches Engagement wird sich nichts ändern. Die Wissenschaftler haben ihre Vorschläge gemacht. Jetzt ist die Gesellschaft am Zug.
Titelbild: Generiert mit KI (flux-pro/ultra via Genspark), 28. November 2025


