Wohnungskrise als Geschäftsmodell: Wer verdient am Leerstand?
230.000 Wohnungen stehen leer, über 20.000 Menschen sind obdachlos. Immobilienlobby und Politik blockieren wirksame Maßnahmen. Eine investigative Spurensuche mit Namen und Zahlen.
Von Michael Wögerer
In Österreich gibt es genug Wohnungen für alle – theoretisch. Praktisch spekulieren Vermögende mit Leerstand, während Zehntausende Menschen verzweifelt nach leistbarem Wohnraum suchen. Unsere Recherche zeigt: Die Wohnungskrise ist kein Marktversagen, sondern ein hochprofitables Geschäftsmodell. Und die Politik macht mit.
Österreich erlebt ein Paradox: In den Jahren 2018 bis 2022 wurden intensive Bautätigkeiten verzeichnet – 2021 sogar 71.200 Wohnungen, der höchste Stand seit 40 Jahren. Dennoch sind Wohnen und Mieten teurer denn je. Während 230.000 Wohnungen leer stehen, suchen Zehntausende verzweifelt nach leistbarem Wohnraum. 20.573 Menschen sind offiziell als obdach- oder wohnungslos registriert, die Dunkelziffer liegt weit höher.
Gleichzeitig brechen die Wohnbauinvestitionen dramatisch ein: Minus 16 Prozent seit 2019 – EU-weit der viertschlechteste Wert. Nur Luxemburg, Finnland und Schweden schneiden noch schlechter ab, während die Investitionen EU-weit im Schnitt um 2 Prozent stiegen.
Was auf den ersten Blick wie ein Marktversagen aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als System: Wohnungen sind längst keine Orte zum Leben mehr, sondern Spekulationsobjekte für Vermögende. Und die Politik schaut nicht nur zu – sie macht aktiv mit.
Das lukrative Geschäft mit dem Leerstand
Seit 2010 sind die Immobilienpreise in Österreich um über 100 Prozent gestiegen. Wer eine Wohnung besitzt und sie leer stehen lässt, vermeidet nicht nur den Aufwand mit Mieter:innen und deren gesetzlichem Schutz – er setzt auf die Wertsteigerung. Eine durchschnittliche Wohnung bringt ihrem Besitzer jährlich rund 200 Euro Gewinn pro Quadratmeter, ohne dass auch nur ein einziger Mensch darin wohnt. Das Momentum Institut hat errechnet: Diese Spekulation ist hochprofitabel und völlig legal.
Die Arbeiterkammer Wien spricht Klartext: Wohnungen seien zu „Geldspeichern“ geworden statt zu Zuhause. Zwischen 2018 und 2022 wurden 80.000 Wohnungen mehr gebaut als eigentlich gebraucht wurden – ein „Spekulations-Rausch“, wie die AK analysiert. Viele dieser Neubauten standen direkt nach Fertigstellung leer. Statt Wohnraum zu schaffen, trieben sie die Preise weiter nach oben.
Die Profiteure: Namen und Zahlen
Wer profitiert konkret? An der Spitze der österreichischen Baubranche steht die Strabag SE mit einem Umsatz von 17,4 Milliarden Euro und einem Konzerngewinn von 823 Millionen Euro im Jahr 2024. Größter Einzelaktionär ist die Familie Haselsteiner mit 30,7 Prozent. Die Porr AG folgt mit 6,7 Milliarden Euro Umsatz. Im Bauträger-Ranking führt die Buwog vor JP Immobilien und 3SI Immobilien.
Diese Konzerne bewegen sich in einem Markt, der ihnen beste Rahmenbedingungen bietet: geringe Regulierung, kaum Kontrolle von Leerständen und eine Politik, die ihre Interessen schützt. Der Fachverband der Immobilien- und Vermögenstreuhänder in der Wirtschaftskammer vertritt rund 11.200 Immobilientreuhänder mit insgesamt 25.000 Beschäftigten. Als „gesetzliche Interessenvertretung“ hat er direkten Zugang zur Politik.
Die politischen Blockierer
Die Macht der Immobilienlobby zeigt sich besonders beim Thema Leerstandsabgabe. In Frankreich funktioniert das Instrument seit 1999: Eine Abgabe von bis zu 34 Prozent der theoretischen Mieteinnahmen führte zu einem Rückgang des Leerstands um 13 Prozent. In stark bewohnten Regionen sogar doppelt so stark.
Österreich hingegen? Jahrelange Blockade. Bis 2024 galt eine Obergrenze von 35 Euro pro Quadratmeter – viel zu wenig, um Spekulation unattraktiv zu machen. Die SPÖ forderte eine wirksame bundesweite Regelung, doch ÖVP und Grüne stellten sich quer. Erst massiver öffentlicher Druck führte 2024 zur Aufhebung der Obergrenze per Verfassungsänderung.
Doch selbst dort, wo Bundesländer theoretisch handeln könnten, passiert wenig. In Salzburg blockierten ÖVP und FPÖ im September 2024 einen Vorstoß der KPÖ PLUS zur Verbesserung der Leerstandsabgabe. Die dortigen 20 Euro pro Quadratmeter verpuffen wirkungslos angesichts der 200 Euro Wertsteigerung. In der Steiermark wurde die Leerstandsabgabe Ende 2024 sogar wieder abgeschafft – die neue Landesregierung sprach von „zu hohem administrativem Aufwand“. Die Immobilienwirtschaft jubelte über das „klare Signal der Vernunft“.
Der Bundesverband der Eigentümer und Vermieter drohte gar mit Klagen gegen Leerstandsabgaben. Die ehemalige ÖVP-Politikerin Ursula Stenzel bezeichnete die Abgabe als „Kommunismus pur“. Eigentum sei Vorsorge, argumentierte sie – während Tausende Menschen auf der Straße schlafen.
KIM-Verordnung: Der Brandbeschleuniger
Zur Spekulationskrise kam 2022 ein weiterer Faktor: Die KIM-Verordnung der Finanzmarktaufsicht. Eigentlich gedacht, um Überschuldung zu verhindern, wurde sie zum Sargnagel für viele Bauprojekte. 20 Prozent Eigenkapital, maximale Kreditrate von 40 Prozent des Haushaltseinkommens, Laufzeit maximal 35 Jahre – rund die Hälfte der Antragsteller bekam danach keinen Kredit mehr.
Die Immobilienwirtschaft schlug Alarm. Der Einrichtungsfachhandel sprach von existenziellen Problemen, Bauträger klagten über „erschwerte Kreditbedingungen“. Die Verordnung lief im Juni 2025 aus, doch der Schaden war angerichtet: Die Wohnbauinvestitionen brachen massiv ein.
Während die einen keine Kredite mehr bekamen, profitierten Großinvestoren und Vermögende, die mit Eigenkapital Wohnungen kauften – zur Spekulation. Laut Momentum Institut vermieten vor allem die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung Wohnraum. Die Schere zwischen Arm und Reich wurde durch die Mietsteigerungen um bis zu 24 Prozent seit 2021 noch größer.
Der Rückzug des Staates
Während private Spekulanten den Markt beherrschen, zieht sich der Staat aus seiner Verantwortung zurück. Die Mittel für die Wohnbauförderung sind in Relation zur Wirtschaftsleistung in den letzten drei Jahrzehnten stark eingebrochen. In Vorarlberg wurde die Wohnbauförderung 2025 deutlich gekürzt, in Salzburg stehen 33 Millionen Euro weniger im Fördertopf. Selbst Wien, einst Vorzeigemodell für sozialen Wohnbau, kürzt: Die SPÖ-geführte Stadtregierung beschloss im Budget 2026 „gezielte Kürzungen bei Förderungen und Zuschüssen“.
Die Warteliste für Gemeindewohnungen in Wien umfasst 16.500 Menschen, die Wartezeit beträgt mindestens 1,5 Jahre. Seit 2019 hat sich die Zahl der Baubewilligungen im gemeinnützigen Wohnbau mehr als halbiert. Das Momentum Institut warnt: Fehlende Investitionen in sozialen Wohnbau verschärfen die Krise zusätzlich und treiben die Mieten weiter nach oben.
Wer zahlt die Rechnung?
Es sind die Mieter:innen, die Wohnungssuchenden, die Familien. Österreichs Mieten stiegen seit Anfang 2025 um durchschnittlich 3,5 Prozent – deutlich stärker als in Deutschland (1,8 Prozent) oder der Schweiz (2,2 Prozent). Die Angebotspreise liegen aktuell bei 15,2 Euro pro Quadratmeter, in Wien noch höher.
Wohnen ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Die Statistik Austria zählt 6 Prozent der 18- bis 74-Jährigen, die 2025 Probleme hatten, Miete, Betriebskosten oder Kredite zu bezahlen. Die Zahl der Obdach- und Wohnungslosen steigt seit 2021 wieder kontinuierlich an. Während die Immobilienwirtschaft von „Normalisierung“ spricht, droht vielen Menschen der Absturz.
Die Alternative existiert
Dass es anders geht, zeigen internationale Beispiele. Frankreich hat mit seiner Leerstandsabgabe bewiesen: Leerstand lässt sich bekämpfen. In Wien sorgte einst der massive soziale Wohnbau dafür, dass zwei Drittel der Bevölkerung in geförderten Wohnungen lebten – mit Mieten von durchschnittlich 5 Euro pro Quadratmeter.
Was es braucht, ist politischer Wille: massive staatliche Investitionen in sozialen Wohnbau, eine wirksame Leerstandsabgabe von mindestens 200 Euro pro Quadratmeter jährlich, transparente Erfassung aller Leerstände, Aufhebung der Kürzungen bei Wohnbauförderungen und eine Bodenbevorratung durch die öffentliche Hand.
Stattdessen erleben wir das Gegenteil: Während die Politik sich aus dem Wohnbau zurückzieht, dürfen private Investoren ungestört spekulieren. 230.000 leere Wohnungen – das ist kein Marktversagen. Das ist politisch gewollt. Und es ist ein Skandal.
Titelbild: Die österreichische Wohnungskrise im Kontrast – 230.000 leere Wohnungen, 20.573 Obdachlose. Grafik: Unsere Zeitung (erstellt mit genspark.ai)

