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Werkstattbericht I: Boyle und ich

[3K – Massenmedien am Montag: Folge 29]

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Der Verfasser verwendet gewöhnlich die auktoriale Perspektive. Das heißt, trotz klarer Stellungnahmen zur Berichterstattung und Kritik an medialen Trends ist es ihm ein Anliegen, halbanonyme Argumente der subjektiven Eitelkeit vorzuziehen. Heute wird damit ausnahmsweise gebrochen. Tagesaktuelle Analysen sind nämlich unmöglich, da der Autor im Moment, da diese Zeilen erscheinen, irgendwo auf dem Autoput zwischen Belgrad und Skopje unterwegs ist. Mit besserer Musik. Damit sind wir beim Geschmack, also persönlich.

Poor Frau Boyle

Ergo trete ich hervor. Meine Freundin Annemarie und ich gehörten 2013 zu jenen glücklichen WienerInnen, die bei Eine STADT. Ein BUCH ein Gratisexemplar des Flüchtlingsromans América ergatterten. Signiert vom Meister persönlich. T.C. Boyle erzählte zuvor, dass er beim Schreiben einen bewussten Leserhythmus anstrebe. Aus diesem Grund müsse seine Gattin – O-Ton T.C.: „Poor Frau Boyle“ – seine laut, fast singend vorgetragenen Textproben ertragen und kritisieren. Eine Gleichsetzung ist anmaßend, doch ein Vergleich liegt nahe: Annemarie liest häufig meine Texte gegen. Sie ist ehrlich. Neulich fragte sie etwa, ob irgendwer all die Hyperlinks anklicke, die ich in dieser Kolumne zur Verfügung stelle. Annemarie tut das nämlich nicht. Und das passt.


Mühe

Pro Reintext jeder Kolumne (exklusive Serien- und Bildtiteln) verbaue ich etwa 30-40 Links (Artikel, Grafiken, Videos und was das Netz noch so ausspuckt). Ich checke alle Links genau, höre, lese, sehe jeden Beitrag. An guten Tagen brauche ich fünf Stunden für alles. Der übliche Medienkonsum erleichtert die Recherchen zu einem gewissen Grad. An solchen, an denen sich entweder mehrere Themen aufdrängen oder im deutschsprachigen Kosmos – gerade auf dem Planeten Österreich – scheinbar nichts passiert, länger.

Natürlich: kaum eineR klickt alles an – auch in unserer Redaktion nicht, die jede Publikationen der Seite vorab kollektiv diskutiert. Die Medienpsychologin Carmen Zahn verweist auf Studien: „[E]ine höhere Anzahl an Hyperlinks (8-14 Links)“ bewirke schlechtere Lernleistungen als eine „niedrigere Anzahl an Hyperlinks (3-7 Links)“ (S.88). Es liegt dennoch am Individuum, zu entscheiden, welche Informationen es benötigt. Speed Reading, Überfliegen und Websuchen erleichtern die Gewichtung. Daher bemühe ich mich, ex- oder implizit klarzumachen, woher ein Link stammt, biete Zitate und Kontext, damit auch Nicht-Klicker mitkommen. Ich hoffe jede Woche aufs Neue, dass das halbwegs gelingt.


Innensicht

Was Boyle tat und ich nun auf meine Weise wiederhole, nennt man in den Medien gemeinhin Werkstattbericht. Am bekanntesten sind Editorials, also Vorworte von ChefredakteurInnen und HerausgeberInnen. Sie geben eine Vorschau und verbinden diese zuweil mit Anekdoten „aus der Redaktion“. Es handelt sich dabei also um die Innensicht journalistischer Arbeit, welche so – wenn überhaupt – eher im Hintergrund steht. Welche Formen das annehmen kann, erzähle ich Ihnen nächste Woche.


Foto: Martin Prechelmacher/Volltext T. C. Boyle @ University of Vienna (Lizenz: CC BY SA 2.0)

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