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Hochfrequenzhandel – wenn Algorithmen über Milliardenbeträge bestimmen

boersencrashvon Max Aurel

6. Mai 2010, Wall Street New York. Die Trader und Broker auf dem Parkett der New Yorker Börse schauen fast panisch zu, wie der US-amerikanische Leitindex Dow Jones innerhalb von 6 Minuten fast 9 Prozent seines Wertes verliert. Fast 1.000 Punkte in absoluten Zahlen, so etwas hat es in so kurzer Zeit noch nie gegeben. Nach weiteren 20 Minuten ist der Schrecken wieder vorbei, die Indizes befinden sich wieder auf normalen Niveaus. Und alle Beteiligten fragen sich nur: Was zur Hölle ist hier gerade passiert?

Flash Crash I und Flash Crash II

Was an diesem Tag passiert ist, wird in die Geschichte der Finanzmärkte als erster „Flash Crash“ eingehen. Und bis vor kurzem sah es so aus, als ob er der einzige seiner Art bleiben würde, doch am 7. Oktober gab es beim britischen Pfund einen massiven Einbruch. Die Kurse gegenüber dem Dollar fielen kurzzeitig um zehn Prozent, noch stärker als nach dem Brexit-Votum, und selbst das hatte schon gewaltige Schockwellen in der Finanzwelt ausgelöst. Wie schon beim ersten Flash Crash erholten sich die Kurse nach kurzer Zeit wieder, auch wenn das Pfund an diesem Tag bei minus 2,5% gegenüber dem Dollar schloss.

Neben dem kurzzeitigen Kurssturz scheint beide Flash Crashs eine Sache zu einen: die große Beteiligung vom Hochfrequenzhandel. Hochfrequenzhandel geschieht durch Algorithmen und andere Computerprogramme, die autonom Aktien, Devisen und andere Wertpapiere handeln. Doch anders als menschliche Marktteilnehmer sind diese Algorithmen schnell. Sehr schnell sogar. Sie können innerhalb von Millisekunden mehrere hundert Trades abschließen und dadurch selbst kleinste Marktschwankungen ausnutzen und in sagenhafte Profite verwandeln.

Hochfrequenzhandel und niemand blickt durch

Wie diese Algorithmen operieren weiß niemand so genau. Die einzigen, die wissen, wie sie funktionieren sind ihre Programmierer, die sogenannten Quants. Quants ist eine Abkürzung für „Quantitative Analyst“ und meistens handelt es sich um hochbegabte Mathematiker, Statistiker und Programmierer.  Für alle anderen Marktteilnehmer sind diese Algorithmen „Black Boxes“, schwarze Boxen, in die man nicht hineinsehen kann, wodurch man keinen blassen Schimmer hat nach welchen Regeln sie eigentlich agieren. Viele klassischer Händler blickten mit Argwohn auf die neue Konkurrenz aus Bits und Bytes, fürchteten sie doch ihre Verdrängung als wichtigste Marktteilnehmer. Ihre Befürchtungen sollten sich bewahrheiten, denn heutzutage werden rund 70 Prozent des weltweiten Handels mit Algorithmen abgewickelt.

Für die Besitzer dieser Algorithmen ist es ein lukratives Geschäft. Sie sind schneller als jeder menschliche Händler und haben so einen unfairen Vorteil. Sie können binnen weniger Sekunden große Aktienpakete kaufen und wieder verkaufen, bevor ein menschlicher Akteur überhaupt die Gelegenheit dazu hat, zu reagieren. Deshalb kamen die ersten Rufe nach Regulierung für Hochfrequenzhandel auch ziemlich flott. Doch es dauerte bis zum ersten Flash Crash bis die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC strengere Regulierungen ankündigte. In Deutschland ist der Hochfrequenzhandel schon von Beginn an streng reguliert gewesen.

Gut oder Schlecht?

Die Hochfrequenzhändler argumentieren, dass andere Marktteilnehmer, die noch klassisch handelten, von ihren Geschäften profitieren würden: Die größeren Volumina und die vielen Käufe und Verkäufe würden für mehr Liquidität im Markt und damit auch bessere Preise sorgen. Ohne Hochfrequenzhandel müssten manche Käufer länger auf die Ausführung einer Order warten und eventuell höhere Preise zahlen – so ihre Theorie.

Doch viele Wissenschaftler und Experten negieren das. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz meint, dass Hochfrequenzhandel keinerlei gesellschaftlichen Nutzen habe und darüber hinaus das Funktionieren der Märkte gefährde. Andere sprechen davon, dass diese Art des Handels an Marktmanipulation grenze und qua Gesetz verboten gehöre. Selbst die Behauptungen der Hochfrequenzhändler sind schwer zu beweisen, Wirtschaftswissenschaftler sind sich uneins. Einige sagen, Hochfrequenzhandel sorge nur bedingt für größere Volumina und Liquidität, im Gegenzug sind die Märkte aber sehr volatil, das heißt instabil, Kurse haben eine viel größere Schwankung.

Die Herrscher der Wall Street?

Die beiden Flash Crashes zeigen, dass eine reale Gefahr hinter Hochfrequenzhandel steckt. Während beim Flash Crash II noch keine Ursache gefunden wurde, ist dies beim ersten der Fall: Ein einzelner Trader aus London soll ihn ausgelöst haben. Ihm wird vorgeworfen, zahlreiche Verkaufsaufträge gegeben und sie gleich anschließend wieder storniert zu haben. Der Betrug besteht dabei in der automatischen Stornierung der Kaufaufträge durch ein Computerprogramm, das jegliche Kaufaufträge von vornherein stornierte, was zeigt, dass gar keine Kaufabsicht bestand. Das Stornieren der Kaufaufträge diente dazu, einen Kursabfall der betreffenden Werte zu verursachen, den der Händler dann zu seinem Vorteil ausnutzte. Die Algorithmen erledigten dann den Rest, indem sie die Auswirkungen dieser Manipulation um einiges verstärkten.

Ein weiterer Vorfall aus dem Jahre 2013 dürfte noch mehr Unbehagen bei denen auslösen, die mit Algorithmen als übermächtigen Händlern nie so richtig was anfangen konnten. Am 23. April 2013 wurde der Twitteraccount der Associated Press Nachrichtenagentur gehacked und ein Tweet mit dem Inhalt „Breaking: Two Explosions in the White House and Barack Obama is injured,“ wurde abgesetzt. Es handelte sich natürlich um ein Fake, doch Handelscomputer rund um den Globul haben diese Meldung innerhalb von Sekunden mitbekommen. Diese wurden nämlich darauf programmiert, bestimmte Wörter und Phrasen im Internet zu suchen, die die Marktkurse beeinflussen konnte. Und durch die Kombination „Explosions, White House, Obama injured“ setzten diese Algorithmen tausende Handelsbefehle um, der Dow Jones fiel innerhalb von kürzester Zeit um 140 Punkte, 200 Milliarden Dollar an Börsenwert wurden in dieser kurzen Zeit vernichtet, ehe die Kurse wieder auf normales Niveau kamen. Auch damals staunten Händler und Börsenanalysten nicht schlecht und wunderten sich, was da passiert ist. Aber vor allem stellten sie sich eine Frage: „Wer herrscht eigentlich über die Wall Street, der Mensch, oder die Maschine?“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf maxaurel.wordpress.com

Foto: Aktienabsturz (pixabay.com; public domain); Titelbild: Sao Paulo Stock Exchange (Rafael Matsunaga; Lizenz: CC BY 2.0)

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