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Syrien: Kommt jetzt der Sturm auf die KurdInnen?

Nach der Einnahme der nordsyrischen Stadt Al Bab durch die Türkei ist die Situation in Syrien wieder völlig offen – die Frage nach einer weiteren Eskalation des Konflikts hängt nicht zuletzt von Donald Trump ab.

Von Andreas Fink

Der IS in der Defensive

Es war nur eine Frage der Zeit, dass die an der türkischen Grenze gelegene nordsyrische Stadt Al Bab fallen wird: Durch die zeitgleichen Offensiven ist der IS („Islamischer Staat“) derzeit von Mossul im Irak über Palmyra und Raqqa überall in Rückzugsgefechte verwickelt, täglich verlieren die islamistischen Terroristen Dorf um Dorf, Stadtviertel um Stadtviertel. Das Ziel der Operation „Schild des Euphrat“ ist mit der Einnahme von Al Bab erreicht – die Türkei hatte dazu islamische Rebellengruppen der Freien Syrischen Armee (FSA), die zuvor gegen die Assad-Regierung gekämpft hatten, bewaffnet und zusätzlich eigene Truppen und Flugzeuge eingesetzt.

Von der Türkei unterstützte Rebellen (grün) stoßen über Dscharabulus und über ar-Raʿi Richtung Al-Bab vor (Karte wird regelmäßig aktualisiert)
Von MrPenguin20Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, Link

Ein zwiespältiger Erfolg

Der Fall der Stadt ist ein zwiespältiger Erfolg: Seine strategische Bedeutung auf der Verbindungslinie in die Türkei hatte die Stadt seit der Einnahme von Manbij durch die kurdisch dominierten SDF (Demokratische Kräfte Syriens) und nach der Vertreibung des IS von der türkischen Grenze verloren. Für die türkische AKP-Regierung von Präsiden Erdogan ging es jedoch primär darum, die KurdInnen daran zu hindern, mit der Verbindung der Kantone Afrin und Kobane einen geschlossenen Korridor in Nordsyrien an der Grenze zur Türkei zu schaffen; zudem sollten die Einreise von IS-Kämpfern und neue islamistische Anschläge erschwert werden. Nicht zuletzt kommt der AKP-Regierung der militärische Erfolg vor dem Verfassungsreferendum im April auch innenpolitisch gelegen. Auch wenn diese Ziele erreicht wurden – die Operation verlief beileibe nicht nach Plan und hat die Schwächen der Rebellenarmee offengelegt.

Interne Querelen und Desorganisation

Statt des geplanten schnellen Durchmarschs fand sich die Türkei trotz weit überlegener Waffenstärke mit einem zermürbenden Stellungskrieg konfrontiert, der sich über drei Monate hinzog und 70 türkischen Soldaten das Leben kostete. Dafür sind zwei Faktoren ausschlaggebend: Einerseits der Zustand der türkischen Armee, die seit dem gescheiterten Putschversuch im Juni 2016 einer massiven Säuberungswelle ausgesetzt war, deren Folgen auf personeller und moralischer Ebene noch immer nachwirken. Andererseits durch die internen Querelen zwischen den verschiedenen Rebellengruppen, die dem türkischen Kommando unterstehen (moderate und radikale Islamisten, türkische Nationalisten), und ihre zahlenmäßige Schwäche von etwa 5.000 Kämpfern (die SDF etwa verfügen über zehnmal so viele, jedoch über kaum schweres Militärgerät).

Manbij, Raqqa – oder Rückzug?

Dies fällt in Anbetracht der weiteren Optionen ins Gewicht, die sich für die Türkei nach Al Bab ergeben. Ein geordneter Rückzug scheint es nicht zu sein: Zum Einen hatte die AKP-Regierung angekündigt und bekräftigt, nach der Einnahme der Stadt das von den SDF nach monatelanger Belagerung eingenommene Manbij zu besetzen. In diesem Gebiet rund um Al Bab und Manbij wäre die von der Türkei 2015 vorgeschlagene Pufferzone für syrische Flüchtlinge lokalisiert.

Andererseits erklärte sie die IS-Hochburg Raqqa zum Endziel der Operation, versuchte, die Miteinbeziehung der KurdInnen bei der Offensive auf die Stadt zu verhindern und legte diesbezüglich der US-Regierung eigene Interventionspläne vor. Diese sehen entweder einen Vormarsch von Al Bab weiter südwärts entlang des Euphrat oder über die Grenzstadt Tel Abyad durch das von den KurdInnen gehaltene Gebiet nördlich von Raqqa vor.

Northern Raqqa Offensive (November 2016).svg
By MrPenguin20Own work, CC BY-SA 4.0, Link

Der SDF vor den Toren Raqqas

Der Kampf gegen den IS ist für die Türkei dabei zweitrangig, primär geht es der AKP-Regierung darum, die KurdInnen auszubooten: Für eine Offensive auf Raqqa benötigt der SDF dringend neue Waffen und schweres Kriegsgerät, eine Aufrüstung durch die USA würde die KurdInnen somit militärisch erheblich stärken. Während die Türkei aber noch offen lässt, welche Bodentruppen ihre Interventionspläne ausführen sollen, schaffen die SDF Fakten: Im November 2016 hatten sie mit der Operation „Zorn des Euphrat“ den Sturm auf die Stadt angekündigt und seitdem in drei Phasen im Norden, Nordwesten und Nordosten der Stadt zahlreiche Dörfer und Landstriche unter ihre Kontrolle gebracht. Mittlerweile sind die arabischen und kurdischen Verbände der SDF bis an den nordöstlichen Stadtrand vorgedrungen und haben Raqqa damit praktisch eingeschlossen. Doch für den zermürbenden Kampf um die Stadt selbst benötigen die SDF schweres Kriegsgerät und Mundition – die neue US-Regierung hatte entsprechende Pläne kurzfristig gestoppt und unterzieht sie derzeit einer Begutachtung.

Eine völlig offene Situation

Nach dem Fall von Al Bab ist die Situation wieder völlig offen: Der neue US-Präsident Trump hatte den Kampf gegen den IS zu einem seiner Hauptanliegen erklärt. Das US-Militär wiederum kooperiert intensiv und erfolgreich mit den Truppen des SDF in Syrien und betrachtet sie als stärkste und verlässlichste Kraft im Kampf gegen den IS. Die Türkei befindet sich derzeit in einer Sackgasse: Während sie versuchen muss, eine funktionierende Verwaltungsstruktur in den besetzten nordsyrischen Gebieten aufzubauen, sind weitere militärische Unternehmungen von den externen Playern USA und Russland abhängig: Im Süden von Al Bab stehen die Truppen Assads (dazwischen eine von Russland ausgehandelte Waffenstillstandslinie), im Osten der Stadt jene der SDF (und eine Waffenstillstandslinie der USA). Ein Angriff auf Manbij würde die laufende Raqqa-Offensive stoppen – die SDF würden ihre Truppen zur Verteidigung Manbijs abziehen – und den Krieg weiter eskalieren lassen. Die Frage ist letztlich, ob die neue US-Regierung gewillt ist, den NATO-Partner Türkei erneut in die Schranken zu weisen, die Kooperation mit den SDF fortzusetzen und unnötiges Blutvergießen auf türkischer und kurdischer Seite zu verhindern.

Es wäre das Vernünftigste – aber Vernunft ist leider nicht die große Stärke von Donald Trump & Co. Die KurdInnen wiederum wissen, dass die Fortführung der strategischen Kooperation mit den USA ihrer Sache sehr gelegen käme – dass sie aber gleichzeitig letztlich immer auf ihre eigene Kraft setzen müssen. Und dieses Wissen ist ihre große Stärke.

Titelbild: Kurdische Fraueneinheit YPJ (Kurdishstruggle/flickr.com; Lizenz: CC BY 2.0)

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