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Der Hungertod in Afrika: Die schwerste humanitäre Krise seit dem 2. Weltkrieg

Während die Blicke der Welt auf die Krisenherde im Nahen Osten gelenkt werden, spielt sich in weiten Teilen Afrikas unbemerkt eine humanitäre Katastrophe ab. Die Menschen verhungern. Robert Manoutschehri berichtet aus dem Südsudan und Uganda.

Vor allem im Südsudan, aber auch in Somalia, Nigeria und dem Jemen sind rund 20 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Die UNO würde bis Mitte dieses Jahres 4,4 Milliarden Dollar benötigen, um das Schlimmste zu verhindern. Doch die Weltgemeinschaft reagiert kaum bis zögerlich.

Das völlige politische Desinteresse an Vertreibung, Leid und Tod von Millionen Menschen und an dem Zerfall ganzer Staaten wird für Europa nicht ohne Folgen bleiben. Die Geberkonferenz in Berlin wird zeigen, ob sich Europa selbst den Nährboden für neue Flüchtlingswellen schafft oder sich endlich seiner Verantwortung bewusst wird.

Südsudan: Geburt und Verfall eines Staates im Zeitraffer

Im Südsudan tobt sich die blinde Gewalt und Gegengewalt der Machthaber und ihrer Gegner auf dem Rücken einer völlig schuldlosen Bevölkerung aus. Die zumeist sowieso nur mittelalterlichen Infrastrukturen lösen sich zunehmend auf. Perspektivenlosigkeit, Armut und Hunger werden jetzt noch durch die Furcht vor Willkür und Gewalttaten übertroffen. Ein ganzes Land befindet sich auf der Flucht.

Die kurze Geschichte des jüngsten Landes der Welt

Gegründet wurde der Südsudan im Jahr 2011, nachdem seit den frühen 1980er-Jahren hauptsächlich christliche Rebellengruppen für die Abtrennung vom vornehmlich muslimischen Norden, dem heutigen Sudan, gekämpft haben. Reiche Ölfelder und Streit um deren Ausbeutung im neu gezogenen Grenzgebiet führten anfänglich aber immer wieder zu heftigen kriegerischen Konflikten zwischen den Ländern.

Salva Kiir Mayardit mit Cowboyhut, einem Geschenk von George W. Bush (Foto: Jenny Rockett, CC BY-SA 3.0).

Ende 2013 brach dann infolge eines Machtkampfes zwischen Präsident Salva Kiir Mayardit und Vizepräsident Riek Machar Teny Dhurgon ein bis heute andauernder Bürgerkrieg aus.

Kiir gehört der Volksgruppe der Dinka an, die die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Machar ist Angehöriger der Nuer. Aus einem politischen Machtkampf wurde somit ein Krieg zwischen Volksgruppen, der das ganze Land entzweite.

Mittlerweile gibt es aber nicht nur diese beiden Parteien beziehungsweise die Kiir-treuen Regierungstruppen und die Rebellen, sondern rund 40 Milizen, die sich zum einen oder anderen Lager bekennen oder überhaupt nur für sich alleine kämpfen.

Im August 2015 unterzeichneten die Kriegsparteien zwar ein Friedensabkommen, dennoch folgten weitere zahlreiche Kriegsverbrechen, als Soldaten auf „Rebellenjagd“ Menschen willkürlich ermordeten, Frauen entführten und vergewaltigten, Felder, Dörfer, Häuser mitsamt Kindern und alten Menschen bei lebendigem Leib verbrannten.

Die aktuelle Situation im Südsudan

Nach dem letzten Aufstand Anfang 2016, der vor allem rund um die Hauptstadt Juba tobte, und blutig niedergeschlagen wurde – UNO-Blauhelmsoldaten vor Ort spielten dabei eine eher unrühmliche Rolle -, lebten die zersplitterten Rebellengruppen vielfach im Busch versteckt, einzelne Rebellen auch „im Geheimen“ im Kreise ihrer Familienclans und verstreuten Dörfer. Nachts gingen sie jedoch auf Raubzüge in die Umgebung und versorgten sich durch Viehdiebstahl und Wilderei.

Immer wieder kam es vor allem im Norden des Landes zu einzelnen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffen mit und durch Regierungstruppen.

Vor der Jahreswende 2017 kündigten die Rebellen einen erneuten Aufstand gegen die Regierungstreuen an. „Wir warten nur, bis die Frauen und Kinder aus dem Weg sind“, hieß es unter der Hand in Anspielung auf die 2-monatigen Schulferien. Im Februar dieses Jahres stiegen dann die Gewalttaten tatsächlich wieder sprunghaft an.

Riek Machar Teny Dhurgon (Foto: Hannah McNeish; gemeinfrei).

Die Hauptrouten nach Juba wurden wieder an ständig wechselnden Standorten durch Straßensperren unterbrochen, ein paar kleinere Städte belagert, etliche Staatsvertreter und Beamte „beseitigt“. Auch UNO-Mitarbeiter gerieten zwischen die Fronten und wurden ermordet. Erst vor wenigen Tagen wurden sechs UNO-Helfer überfallen und erschossen.

Daraufhin folgte die Gegenoffensive der Regierungstruppen und Dinka, die jetzt, Mitte April, einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Dörfer und Siedlungen werden systematisch nach Waffen und Rebellen durchsucht, wobei Plünderungen bis hin zum Mord an Angehörigen anderer ethnischer Gruppen quasi zum „Tagesgeschäft“ der Soldaten gehören.

Kein Wunder, die meisten haben schon seit einem Jahr keinen Sold mehr bekommen und müssen zur Eigenversorgung auf die gleichen Ressourcen zugreifen, wie die Rebellen: Auf die Tiere, Feldfrüchte und knappen Vorräte der Zivilbevölkerung.

Für die an Politik völlig uninteressierten und mit dem täglichen Überlebenskampf um Wasser und ausreichende Nahrung beschäftigten Menschen, die im endlos weiten Hinterland der wenigen Städte in zum Teil noch steinzeitlichen Lebensumständen eine karge Existenz aufzubauen versuchen, gibt es somit kaum mehr einen Unterschied zwischen „Gut und Böse“, zwischen Soldaten und Rebellen.

Die Furcht vor blindwütiger Willkür bewaffneter Aggressoren wird zum ständigen Begleiter. Zehntausende fielen der Gewalt bisher zum Opfer. Genaue Zahlen existieren nicht und ein Ende der Auseinandersetzungen ist nicht absehbar.

Millionen Menschen ohne Vergangenheit und Zukunft

In den jahrzehntelangen Kriegswirren sind viele ursprünglich in der Region beheimatete Menschen oft schon in zweiter Generation in Flüchtlingslagern oder in der Wildnis aufgewachsen – ohne jegliche Schulbildung. Da Familien auseinandergerissen wurden, ist sogar das traditionelle und kulturelle Wissen früherer Generationen verschwunden.

Als der Südsudan – übrigens unter tatkräftiger Mithilfe von Österreich – zu einer eigenständigen Nation erklärt wurde, kehrten viele in ihre Heimat zurück und versuchten – auch ohne Know-how, aber hoffnungsfroh – sie wieder aufzubauen.

Hilfe gab es von Anfang an kaum. Weder von der eigenen Regierung, deren Tätigkeit sich in internen Machtkämpfen erschöpft, noch von der Weltgemeinschaft. Bloß ein paar multinationale Konzerne sicherten sich Rechte an Bodenschätzen und schufen ein paar Arbeitsplätze. Schulen und die Universität in Juba erhielten auch ein wenig Support.

Außerhalb der Hauptstadt kann man die tätigen Hilfsorganisationen an einer Hand abzählen. Zumeist sind es kirchliche Organisationen, die sich um medizinische und Bildungseinrichtungen bemühen. Weiße sind in weiten Teilen des Landes überhaupt noch viel bestaunte Raritäten.

Die anfänglich erzielten Erfolge, eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen, werden mit dem eskalierenden Bürgerkrieg jedoch wieder dem rostbraunen Erdboden gleichgemacht.


Bidi Bidi Flüchtlingslager Uganda Zelte Foto Robert Manoutschehri
Versorgungszelte im Flüchtlingslager Bidi Bidi in Uganda (Foto: Robert Manoutschehri).

Lehrer, Ärzte, Beamte und Diplomaten bekamen seit Monaten keine Gehälter mehr. Etliche Schulen, medizinische und soziale Einrichtungen gaben ihren Betrieb auf. Sogar die Landwirtschaft und damit die Versorgung mit Lebensmitteln ist inzwischen größtenteils zusammengebrochen, da man einerseits durch den Klimawandel ausgelöste Dürren (bzw. andernorts schwere Überschwemmungen) mit keinerlei Gegenmaßnahmen entgegentreten kann und andererseits viele Landarbeiter einfach nicht mehr zur Arbeit kamen oder schon aus dem Land geflüchtet sind.

Bis zu 5,5 Millionen Südsudanesen, fast jeder Zweite, sind von Lebensmittelknappheit bedroht. 100.000 Menschen drohen zu verhungern oder sind es bereits. Eine weitere Million stehen am Rand der Hungersnot, warnten die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), das UN-Kinderhilfswerk (United Nations International Children’s Emergency Fund) und das UN-Welternährungsprogramm (WFP). Besonders betroffen sind Kinder: Mehr als eine Million sind akut, über eine Viertelmillion bereits schwer unterernährt, teilte bereits im Februar UNICEF-Vertreter Jeremy Hopkins der Öffentlichkeit mit.

Flucht als einzige Lösung – in das größte Auffanglager der Welt

Fast jeder Dritte ist inzwischen geflohen – seit 2013 sind rund 3,5 Millionen Südsudanesen auf der Flucht. 60 Prozent der Flüchtenden, die in den Nachbarländern ankommen, sind oftmals unterernährte Kinder.

Uganda, der südliche Nachbarstaat, hat fast 800.000 Südsudanesen aufgenommen und Mithilfe des Flüchtlingshilfswerk UNHCR und NGOs in Flüchtlingscamps untergebracht.

Doch bei einem Andrang von rund 3000 Menschen täglich, der sich in den letzten Tagen durch vermehrte Angriffe von Regierungstruppen auf die Zivilbevölkerung teilweise verdoppelte, reichen auch die Mittel des World Food Programme bei Weitem nicht mehr aus.

Über 736 Millionen Euro wurden von der UNO veranschlagt, um insgesamt rund 1,6 Millionen Flüchtende aus dem Südsudan zu versorgen – diese sind bislang erst zu acht Prozent ausfinanziert. Die Essensrationen, von allem Anderen ganz zu schweigen, mussten inzwischen um teilweise über 40 Prozent gekürzt werden.

In vorstellbaren Bildern: Jeder bekommt pro Tag nicht mehr als einen Teller Eintopf oder zwei Handvoll Mais zu essen.


Eingang zum Flüchtlingslager Bidi Bidi in Uganda. Foto von Robert Manoutschehri.
Eingang zum Flüchtlingslager Bidi Bidi (Foto: Robert Manoutschehri).

Auch in Bidi-Bidi, dem inzwischen weltweit größten Flüchtlingslager in Uganda, rund 80 Kilometer nach der südsudanesischen Grenze, sind UNHCR und NGOs wie das Rote Kreuz mit dem Auftreiben und Verteilen von Nahrung und Wasser sowie der Errichtung von Unterkünften und Basics der medizinischen Versorgung ebenso überbeschäftigt wie unterfinanziert.

Seit Juni 2016 entstanden hier im Bezirk Yumbe fünf Zeltstädte in Rekordzeit auf einer Fläche von über 45 Quadratkilometern, die derzeit 274.000 Menschen beherbergen. Über 85 Prozent sind Frauen und Kinder, 65 Prozent sind jünger als 18, darunter Tausende unbegleitete oder von ihren Eltern getrennte Kinder.

Jeder registrierte und anerkannte Flüchtende – eine Amtshandlung, die hier übrigens binnen drei Tagen erledigt ist – sollte nach Möglichkeit ein Zelt, eine Decke und eine kleine Parzelle bekommen, auf der er selbst etwas anpflanzen kann.

Wasser wird mit Lkws angeliefert und in Türme gepumpt, an denen sich dann – ebenso wie bei der Essensausgabe – lange Menschenschlangen bilden, um einen oder zwei Kanister abzuschöpfen. Es muss reichen zum Kochen, für sanitäre Bedürfnisse, das Wäschewaschen und um den Durst zu löschen.

Auch vor den großen Zelten, in denen Ärzteteams und Berater untergebracht sind, und wo lagerinterne Jobs ausgeschrieben werden, herrscht stets reger Andrang. Trotz dieser für uns unvorstellbaren Lebensbedingungen sind viele Menschen froh, hier zu sein, ihre Kinder vielleicht wieder zur Schule schicken zu können und in absehbarer Zeit eine Einbürgerung in Uganda und vielleicht sogar ein Stück Land zu erhalten, wie es versprochen wurde.

Der Ruf nach internationaler humanitärer Hilfe

Doch Uganda hat selbst mit Entwicklungsproblemen zu kämpfen und erreicht nun langsam die Grenzen der Belastbarkeit. Ohne ausreichende internationale Unterstützung könne nicht auf diesem Weg weitergemacht werden, wurde bereits aus Regierungskreisen verlautbart. Wie die lange übersehene und inzwischen ausufernde Krise in Afrika ausgehen wird, liegt in den Händen der Weltgemeinschaft.

Die am 12. April einberufene außerordentliche Geberkonferenz in Berlin, “The Berlin Humanitarian Call – jointly against famine” auf Einladung des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel und unter Beteiligung von UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi, wird zeigen, ob sich Europa selbst den Nährboden für neue Flüchtlingswellen schafft oder sich endlich seiner Verantwortung bewusst wird.

Stephen O’Brien (Foto: International Office; Open government licence)

UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien beschrieb im März die Situation in Ost- und Zentralafrika als die schwerste humanitäre Krise seit dem Bestehen der Vereinten Nationen. Millionen Menschen wüssten nicht, wie sie an ihre nächste Mahlzeit kommen sollten, und werden schlicht und einfach „den Hungertod sterben„. Er bat um dringende Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft.

Im Nachklang zum Krisentreffen in Brüssel Anfang April wurde in einer gemeinsamen Presseerklärung der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Deutschlands und der Vereinten Nationen zur humanitären Krise am Horn von Afrika darauf verwiesen, dass die internationale Gemeinschaft umgehend und koordiniert handeln muss, um lebensrettende humanitäre Hilfe rasch und wirksam auszubauen, aber auch, dass „humanitäre Hilfe keine Abhilfe für die strukturellen Defizite und Ursachen schaffen könne, die den anhaltenden Konflikten und der andauernden Ernährungsunsicherheit zugrunde liegen. Wenn sich die Situation nicht wiederholen soll, müssen politische Lösungen gefunden und gleichzeitig längerfristige Maßnahmen ausgeweitet werden“.

Mein persönliches Ersuchen dazu: Mit noch so engagierten Debatten alleine ändert sich nichts. Nichts an unseren schon vorher akuten Problemen und nichts am Leid der Armen, Verhungernden, Zukunfts- und Heimatlosen. Im Gegenteil: Je mehr Probleme unbehandelt bleiben, umso größer werden sie mit der Zeit und klopfen letztendlich lautstark an unsere eigene Haustüre. Deshalb bitte jetzt endlich handeln.


Eine der wenigen Hilfsorganisationen vor Ort, die vor allem im Süden des Landes, nahe der Grenze zu Uganda, aktiv ist, ist „Helfen-Wir!“ (www.helfen-wir.org), ein österreichischer Verein, der eine landwirtschaftliche Fachschule mitten im Busch errichtet und Mithilfe kirchlicher Organisationen aus Uganda auch versucht, der akuten Not entgegenzutreten.

Deshalb an dieser Stelle auch ein direkter Spendenaufruf zugunsten von „Helfen Wir!“ im Südsudan:

Spendenkonto Österreich: IBAN: AT 88 3271 5000 0120 8685
Spendenkonto Deutschland: IBAN: DE21 7105 0000 0000 6417 20


Robert Manoutschehri ist Fotograf, Journalist, Texter und Grafikdesigner aus Wien.Über den Autor: Robert Manoutschehri ist Fotograf, Journalist, Texter und Grafikdesigner aus Österreicher. Er engagiert sich ehrenamtlich für zahlreiche Bürgerinitiativen und NGO’s. Robert Manoutschehri lebt in Wien.

Der Beitrag erschien zuerst auf Neue Debatte, Kooperationspartner von Unsere Zeitung.


Fotos: Salva Kiir Mayardit (Aufnahme von Jenny Rockett – jenny.rockett@journalist.com, CC BY-SA 3.0); Riek Machar Teny Dhurgon (Aufnahme on Hannah McNeish – VOA, gemeinfrei); Robert Manoutschehri (Aufnahme aus Bidi-Bidi in Uganda); Stephen O’Brien (International Office; Open government licence); Titelbild (Symbolfoto: Kind im Westen des Sudan mit gesammelter Munition.) von Albert Gonzalez Farran (UNAMID), CC BY-NC-ND 2.0.

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