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Die Situation im Irak, in einer SMS erklärt

Der Weg hierher“ ist eine neue Radiosendung auf Radio Orange 94.0 über geflüchtete Menschen in Österreich. In Interviews mit Geflüchteten und Experten im Feld werden Fragen über die jeweiligen Herkunftsländer, aktuelle politische Themen und kulturelle Aspekte diskutiert und analysiert. Ab sofort, jeden zweiten Dienstag im Monat um 16.30 Uhr live auf o94.at oder hier zum nachhören.

Clara Suchy berichtet exklusiv für Unsere Zeitung über ihre Sendung.

„Der Weg hierher“ – Neue Sendung auf Radio Orange 94.0 von Clara Suchy

Ich sitze im Studio und warte auf Mohaned. Während ich warte, fallen mir noch hundert weitere Fragen ein, für die vermutlich nicht genug Zeit in dieser Sendung bleiben wird. Kannst du mir von deinem Leben im Irak erzählen? Wie sah dein Alltag aus? Was vermisst du am meisten? Was vermisst du am wenigsten?

Mohaned ist ein junger Mann aus dem Irak, der seit knapp zwei Jahren in Wien lebt. Vor ein paar Wochen erzählte er mir über sein Leben in Bagdad, seine drei kleinen Brüder, das Essen seiner Mutter und die Kunst seines Vaters. Um sie zu besuchen war er vor ein paar Monaten in Azerbaijan. Als ich ihn fragte, was er während dieser fünf Tage mit seiner Familie gemacht hat, antwortet er mir mit einem Grinsen: es waren die besten 5 Tage seines Lebens. Seine Mama hat alles gekocht, was er sich gewünscht hat und er konnte fünf Tage lang einfach nur ihr Essen genießen.

Als die Milizen an seiner Tür klopften, um ihn zum Kampf gegen den Islamischen Staat (ISIS) aufzurufen, ist Mohaned 2015 aus Bagdad geflohen. Bevor er nach Österreich gekommen ist, hat er an einer Kunstschule studiert, genau wie sein Vater, der an eben dieser unterrichtete. Nachdem Daesch, oder ISIS, die Kontrolle in Bagdad übernommen hat, hat Mohaneds Vater seine Lehrposition aufgegeben. Er durfte nicht mehr frei entscheiden, was er lehrt und wie er es lehrt. „Sie lassen die Künstler nicht in Ruhe. Sie behaupten immer ‚das steht nicht im Koran‘‘‘ sagt Mohaned. Das öffentliche Leben wurde weitgehend eingeschränkt. Daesch hat mittlerweile die Kontrolle im Bagdad verloren, die Probleme sind aber längst nicht gelöst.

Der Konflikt mit Daesch wird oft als ein Religiöser dargestellt, dabei ist dieser Konflikt sicher nicht rein religiöser Natur. Es ist vielmehr ein politischer Konflikt, der aber die Religion instrumentalisiert um verschiedenste Ideologien durchzusetzen. Der Irak ist ein Land, dessen Bevölkerung in drei große Gruppen aufgeteilt werden kann: Die sunnitischen Araber, die schiitischen Araber und die KurdInnen. Als ich Mohaned gefragt habe, ob er schiitisch oder sunnitisch ist, war seine Antwort so detailliert und aussagekräftig, dass ich erstmal sprachlos war. Aber bevor man die Intensität von Mohaneds Antwort verstehen kann, muss man kurz einen Blick in die Vergangenheit werfen.

Die internen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen sind so alt wie der Irak selbst. Diese wurden allerdings durch externe Einflüsse verschärft. Der Kalte Krieg, die beiden Golfkriege sowie der Irakisch-Amerikanische Krieg haben alle den Konflikt innerhalb der heterogenen Bevölkerung des Iraks verschärft und gelenkt. In der irakischen Geschichte haben sowohl Kommunismus, Islamismus als auch der arabische Nationalismus einen sehr prägenden Platz. In jedem Konflikt, dem der Irak bisher begegnete, tritt ein bestimmter Mitspieler immer wieder auf: der Westen. Im Kalten Krieg, wurde der arabische Nationalismus benutzt, um gegen den Kommunismus zu kämpfen; im Ersten Golfkrieg wurde der Irak als ein Bollwerk gegen den Islamismus im Iran benutzt; im Zweiten Golfkrieg spielte der Westen auf einmal nicht mehr mit und im Irakischen-Amerikanischen Krieg sowieso nicht. Was für ein Einfluss hatte der Westen also? Und wieso hat der Westen so viel Interesse an dem Irak?

Natürlich hat Öl schon immer eine Rolle gespielt, wenn man über die Einmischung des Westens redet. Nehmen wir als Beispiel den Ersten und Zweiten Golfkrieg: der Westen mischte sich erst in den Kampf um die Herrschaft im Persischen Golf zwischen dem Irak und dem Iran ein, als der Öltransport durch die Region gefährdet wurde. Es geht aber nicht nur um das flüssige Gold. Man könnte sagen, dass die zugrundeliegenden Probleme im Land schon immer da waren und auch immer noch da sind, aber dass sie durch die Einmischung des Westens verschärft wurden.

Auf diesem zugrundeliegenden Problem beruht meine Frage: ‘Bist du schiitisch oder sunnitisch? ’. Saddam Hussein, aber auch viele andere Regime vor ihm, waren eine sunnitisch geprägte Regierung. Die schiitische Bevölkerung wurde seit der Entstehung der Irakischen Republik weitgehend marginalisiert. Heute regiert eine schiitisch geprägte Regierung wodurch die Probleme aber nicht gelöst sind. Die Konflikte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Ideologien und Religionen im Land sind immer noch stark zu spüren. Das merkt man auch, wenn man mit Mohaned darüber redet.

Ich habe Mohaned eigentlich erst im Nachhinein gefragt, ob er schiitisch oder sunnitisch ist. Ich habe ihm eine Nachricht geschickt, die schnell und ohne Überlegung verfasst wurde. Sie sah im Endeffekt so aus: „Hey Mohaned, danke für das super Gespräch letzte Woche. Ich hätte aber doch noch eine Frage. Bist du Sunnitisch oder Schiitisch?“. Ich saß in der U-Bahn und dachte über unser Gespräch nach als mir einfiel, dass ich ihm diese Frage während unserem Interview nie gestellt habe. Ich schickte die Nachricht ab und im gleichen Atemzug schreib ich einer Freundin, ob sie heute Abend ins Kino gehen möchte. Als ich wenige Momente später eine Antwort von Mohaned bekam, ist mir zum ersten Mal klargeworden wie wenig ich von seiner Situation weiß. Er hat das Problem in zwei Sätzen besser zusammengefasst, als ich es in diesem Bericht beschreiben kann:

„Eigentlich mag ich diese Frage nicht. Es gibt viele Menschen, die wegen dieser Frage getötet wurden und das ist Rassismus in meinem Land im [sic] Sektierertum‘.

Mit Sektierertum meint Mohaned, dass diese Frage sein Land so gespalten hat, dass er gezwungen war, es zu verlassen. Diese Frage, die ich in weniger als einer Minute geschrieben und abgeschickt habe, hat mehreren Millionen Menschen das Leben gekostet. Diese Frage, die mir genau so viel Zeit und Überlegung wie die Nachricht ‘Hey, gehen wir heute Abend ins Kino? ’ gekostet hat, ist eine Frage die ich, egal wie viel ich mich mit dem Thema auseinandersetze, nie voll und ganz begreifen werde können. Ich saß in der U-Bahn und starte mein Handy an, ohne Worte. Dann stellte ich mir selber eine Frage:

‘Kann man die Dimension des Konflikts je begreifen, wenn man nicht selber davon betroffen ist? ’.

Hier die erste Folge von Der Weg hierher über den Irak: 

Titelbild: Local boys observing cityscape of Qayyarah town on fire.The Mosul District, Northern Iraq, Western Asia. 09 November, 2016. (Mstyslav Chernov; Lizenz: CC BY-SA 4.0)

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