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Warum wir wieder streiken

Nach mehr als einem Jahr düsterer wissenschaftlicher Prognosen und zunehmendem Aktivismus erkennen führende Politiker der Welt und die Öffentlichkeit zugleich zunehmend die Schwere und Dringlichkeit der Klimakrise. Und trotzdem ist immer noch nichts geschehen.

Von Greta Thunberg, Luisa Neubauer und Angela Valenzuela

Seit mehr als einem Jahr streiken Kinder und Jugendliche aus aller Welt für das Klima. Wir haben eine Bewegung ins Leben gerufen, die allen Erwartungen trotzte, mit Millionen von Menschen, die ihre Stimme erhoben und auf die Straßen gingen. Das haben wir nicht etwa getan, weil es unser Traum war, sondern weil wir nicht sehen konnten, dass irgendjemand anderes Maßnahmen zur Sicherung unserer Zukunft ergriffen hätte. Und trotz der tatkräftigen Unterstützung, die wir von vielen Erwachsenen – darunter einige der mächtigsten Köpfe der Welt – erhalten haben, können wir immer noch keine konkreten Maßnahmen erkennen.

Streiken ist keine Wahl, die wir gerne treffen; wir tun es, weil wir keine andere Möglichkeit sehen. Wir haben eine Reihe von Klimakonferenzen der Vereinten Nationen stattfinden sehen. Unzählige Verhandlungen haben zu vielbeschworenen aber letztlich leeren Verpflichtungen der Regierungen der Welt geführt – die gleichen Regierungen, die es Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie erlauben, nach immer noch mehr Öl und Gas zu bohren und unsere Zukunft für ihren eigenen Profit zu verbrennen.

Die Politik und die Öl- und Gasindustrie wissen seit Jahrzehnten vom Klimawandel. Und trotzdem lassen Politiker die Profiteure weiterhin die Ressourcen unseres Planeten ausbeuten und sein Ökosystem zerstören, auf der Suche nach schnellem Geld, das nichts weniger als unsere Existenz bedroht.

Glaubt nicht uns: es sind die Wissenschaftler, die Alarm schlagen. Sie warnen davor, dass die Wahrscheinlichkeit, den Anstieg der globalen Temperaturen auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustrielle Niveau begrenzen zu können, nie geringer war – die Schwelle, ab der die zerstörerischsten Auswirkungen des Klimawandels ausgelöst werden würden.

Schlimmer noch, jüngste Forschungen zeigen, dass wir auf dem besten Weg dazu sind, im Jahr 2030 120% mehr fossile Brennstoffe zu produzieren, als mit dem Grenzwert von 1,5°C vereinbar wäre: Die Konzentration der Klima-aufheizenden Treibhausgase in unserer Atmosphäre hat ein Rekordhoch erreicht, ohne ein Anzeichen von Verlangsamung. Selbst wenn die Länder ihre aktuellen Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung einhalten, steuern wir auf einem Anstieg von 3,2°C zu.

Junge Menschen wie wir tragen die Hauptlast des Versagens unserer Regierungen. Untersuchungen zeigen, dass die Verschmutzung durch Verbrennung fossiler Brennstoffe die weltweit größte Bedrohung für die Gesundheit von Kindern darstellt. Erst in diesem Monat wurden fünf Millionen Atemschutzmasken an Schulen in Neu-Delhi, der Hauptstadt Indiens, verteilt, wegen des giftigen Smogs. Fossile Brennstoffe ersticken buchstäblich unsere Leben.

Die Wissenschaft schreit nach dringenden Maßnahmen, und immer noch wagen es unsere Führer, sie zu ignorieren. Also kämpfen wir weiter.

Nach einem Jahr des Streikens werden unsere Stimmen nun gehört. Wir sind eingeladen, in den Korridoren der Macht zu sprechen. Bei der UNO haben wir zu führenden Persönlichkeiten der Welt gesprochen. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos trafen wir uns mit Premierministern, Präsidenten und sogar mit dem Papst. Wir haben Hunderte von Stunden damit verbracht, an Gesprächsrunden teilzunehmen und mit Journalisten und Filmemachern zu sprechen. Uns wurden Auszeichnungen für unseren Aktivismus angeboten.

Unsere Bemühungen haben dazu beigetragen, den Diskurs über den Klimawandel ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins zu rücken. Die Menschen diskutieren heute zunehmend über die Krise, in der wir uns befinden, nicht im Flüsterton oder als Nebensache, sondern öffentlich und mit einem Gefühl der Dringlichkeit. Umfragen bestätigen diese veränderte Wahrnehmung. Eine aktuelle Befragung ergab, dass in sieben der acht befragten Länder der Zusammenbruch des Klimas als das wichtigste Thema angesehen wird, dem sich die Welt gegenüber sieht. Eine weitere bestätigte, dass Schulkinder bei der Sensibilisierung eine Vorreiterrolle gespielt haben.

Angesichts der veränderten öffentlichen Meinung sagen nun auch führenden Politiker der Welt, dass sie uns gehört haben. Sie sagen, dass sie unserer Forderung nach dringenden Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise zustimmen. Aber sie tun nichts. Während sie auf dem Weg nach Madrid zur 25. Tagung der Konferenz der Vertragsparteien (COP25) des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen zum Klimawandel sind, klagen wir diese Heuchelei an.

An den nächsten beiden Freitagen werden wir wieder auf die Straße gehen: am 29. November weltweit und am 6. Dezember während der UN-Klimakonferenz in Madrid, in Santiago de Chile und vielen anderen Orten. Schüler, Jugendliche und Erwachsene auf der ganzen Welt werden zusammenkommen und fordern, dass unsere Führungskräfte handeln – nicht weil wir es so wollen, sondern weil es die Wissenschaft verlangt.

Diese Maßnahmen müssen effektiv und umfassend sein. Schließlich geht es bei der Klimakrise nicht nur um die Umwelt. Es ist eine Krise der Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit und des politischen Willens. Koloniale, rassistische und patriarchalische Unterdrückungssysteme haben sie geschaffen und beflügelt. Wir müssen sie alle demontieren. Unsere politischen Führer können sich nicht länger ihrer Verantwortung entziehen.

Manche sagen, dass die Konferenz von Madrid nicht sehr bedeutend sei; die großen Entscheidungen würden auf der COP26 im nächsten Jahr in Glasgow getroffen werden. Wir sind da anderer Meinung. Wie die Wissenschaft deutlich gemacht hat, haben wir nicht einen einzigen Tag zu verlieren.

Wir haben gelernt, dass, wenn wir nicht aufstehen, es niemand tun wird. Deshalb werden wir einen stetigen Trommelwirbel an Streiks, Protesten und anderen Aktionen aufrechterhalten. Wir werden immer lauter werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, um unsere Führer davon zu überzeugen, sich so klar und deutlich hinter die Wissenschaft zu stellen, dass selbst Kinder es verstehen.

Kollektive Aktionen funktionieren, das haben wir bewiesen. Aber um alles zu verändern, brauchen wir auch alle. Jeder Einzelne von uns muss an der Widerstandsbewegung für das Klima teilnehmen. Wir können nicht nur sagen, dass es uns wichtig ist, wir müssen es auch zeigen.

Schließt Euch uns an. Nehmt an unseren bevorstehenden Klimastreiks in Madrid oder in Eurer Heimatstadt teil. Zeigt Eurer Gemeinschaft, der fossilen Brennstoffindustrie und den Politikern, dass Ihr keine Untätigkeit beim Klimawandel mehr duldet. Mit zahlenmäßig hoher Beteiligung auf unserer Seite haben wir eine Chance.

Und an die politischen Köpfe, die nach Madrid reisen, ist unsere Botschaft simpel: Die Augen aller zukünftigen Generationen sind auf Euch gerichtet. Handelt entsprechend.

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Greta Thunberg ist Leiterin der Klimastreiks der Jugend in Schweden.

Luisa Neubauer ist eine deutsche Klimaaktivistin.

Angela Valenzuela ist Koordinatorin von Fridays for Future in Santiago, Chile.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf pressenza.com, Kooperationspartner von Unsere Zeitung und ist auch auf Englisch und Italienisch verfügbar.

Titelbild: countercurrents.org

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Moritz Ettlinger

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