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Vom Suchen und Finden: Lohnarbeit

Ob Home-Office oder nicht, die Arbeiter_innenklasse steht seit einem Jahr unter Druck und ein Ende von Corona ist trotz peinlicher Ablenkungsmanöver österreichischer Spitzenpolitiker bei katastrophaler Pandemie-Politik und abwesender Impfstrategie nicht in Sicht. Wäre es also nicht an der Zeit, die Arbeit niederzulegen und endlich die Weltrevolution zu planen?

Eine Kolumne von Andreea Zelinka (Rotes Antiquariat Wien)

Der Laden ist zu. Dass der Laden zu ist, bedeutet nicht, dass ich frei habe und ich bin auch nicht in Kurzarbeit. Ich habe nicht frei, denn ein geschlossener Laden ist nicht gleichbedeutend mit keine Arbeit. Online-Verkäufe und Bestellungen gab es auch vorher schon. Dadurch, dass wir als Antiquariat nicht auf einige Kostbarkeiten spezialisiert sind, sondern eben auch Hefte, Broschüren, Flugblätter und Tarnschriften, Graphiken, Drucke, Plakate und Bücher in allen Preisklassen führen, haben wir Volumen. Wer den Laden kennt, weiß, dass Türme aus Kisten den Raum bevölkern. Überall das hellbraune Karton, das viel zu oft den Blick verstellt oder eine eigentümliche Geländeformation des Raumes schafft.

Der Laden ist zu und es kommen keine Kund_innen mehr rein. Dadurch hab ich Zeit und Platz zum Sortieren. In den letzten Wochen und Monaten habe ich viel Volumen, klein- und mittelpreisige gebundene und Taschenbücher aus Literatur, Philosophie, Soziologie und Geschichte in die Datenbank aufgenommen, denn das ist eine Aufgabe, die zu allen Zeiten erledigt werden muss. Neue Bücher kommen rein und die sollen auch wieder raus und wenn man so wenig Stauraum hat, wie es in der Florianigasse der Fall ist, umso dringender. Obwohl ich bei manchen Büchern ehrlicherweise hoffe, dass sie niemals verkauft werden.

Um sie also auf den Markt zu bringen, laden wir sie online hoch, allein die zwei größten online-Plattformen für gebrauchte und antiquarische Bücher gehören Amazon (Überraschung). Das findet kein_e Antiquar_in gut, dennoch kann man sich dessen in Zeiten des Plattform-Kapitalismus nicht entziehen, trotz unseres hauseigenen Online-Shops. Und dann gibt es selbstverständlich noch allerlei administrative Aufgaben, die es ebenso kontinuierlich zu erledigen gibt. Doch um welche Aufgabe es sich auch handelt, ich muss immer im Laden sein, um sie ausführen zu können. Ich bin an den Ort meiner Beschäftigung gebunden. Im Laden liegen nicht nur die Informationen, sondern auch alle Bücher. Die kann ich nicht mit nach Hause nehmen.

Bei meinem anderen Job kann ich ins Home-Office, als Redakteurin bin ich mobil und kann von überall am Computer arbeiten. Diesen Unterschied habe ich während der Pandemie stark bemerkt. Ich mache also die Erfahrung unterschiedlicher Lohnarbeitsverhältnisse während der Pandemie: die einen, die an den Ort der Produktion gebunden sind, weil die Produktionsmittel selbst dort liegen, die anderen, die im Home-Office arbeiten, da die Produktionsmittel zum Beispiel digitalisiert sind und daher mobil. Letztlich kommt es aber auch bei der zweiten Gruppe auf den_die Arbeitgeber_in an – wenn der_die menschenfeindlich eingestellt ist, dann lässt er_sie auch kein Home-Office zu, selbst wenn es möglich wäre.

Im Laden ist die Versorgung nicht akut, so wie bei den Supermärkten, Apotheken und Intensivstationen, auch wenn ich hin und wieder bei Kund_innen den Eindruck bekomme, dass es sich bei Büchern wahrhaftig um Lebensmittel handelt, allein aufgrund der Art und Weise mit welcher Notwendigkeit und Liebe zum Buch sie über die Schwelle treten. Doch die Tatsache, dass der Laden zu ist, bedeutet, dass zumindest die österreichische Regierung das nicht so sieht. Auch wenn ich froh bin um die Routine und einen Anflug von Normalität, die mir der Laden verschafft, bin ich wie viele andere davon abhängig, das Haus zu verlassen, um meinen Job nicht zu verlieren und kann mir nicht die Frage stellen, ob ich nicht lieber von zu Hause arbeiten möchte, um mich und meine Liebsten zu schützen.

Die Möglichkeit des Home-Office ist unter den Arbeiter_innen ein echtes Privileg. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich etwas an den Ausbeutungsverhältnissen geändert hätte, in denen wir uns befinden. Insofern man überhaupt noch einen Job hat, sind sie allenfalls gleich geblieben, unter der zusätzlichen Belastung keinen adäquaten Ausgleich in der Freizeit zu finden. Viel zu oft hingegen hat sich die Ausbeutung verschlimmert, Arbeitsrechte wurden ausgesetzt, gesundheitlicher Schutz vernachlässigt und manche Unterstützungsstrukturen, wie Schulen und Kitas, sind gleich ganz weggebrochen.

Die Frage sollte also nicht sein, ob wir die Möglichkeit haben daheim zu arbeiten, sondern ob wir gar nicht arbeiten bzw. das Minimum um gesellschaftliche Grundbedürfnisse zu befriedigen und die dringlichsten Aufgaben zu erledigen, bei vollem Ausgleich, um so die Infektionen am Arbeitsplatz zu minimieren und das Gesundheitssystem zu entlasten. In der Zwischenzeit, bis der Großteil der (Welt!)Bevölkerung durchgeimpft ist, könnten wir uns um unsere mentale und körperliche Gesundheit und die unserer Liebsten kümmern, entlasten das Gesundheitssystem so weiter, und planen endlich die Weltrevolution.


Titelbild: Andreea Zelinka

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