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Das Paradies auf Erden…nur was für Ideologen!

Alles, was sozialpolitisch etwas weiter links als CDU/CSU steht, ist für den amtierenden Bundeskanzlerkandidaten Armin Laschet als ideologisch einzuordnen. Liest man Laschet jedoch mit der Brille von Marx, so wird deutlich, dass Laschets vermeintlich ideologiekritische Haltung selbst durch und durch ideologisch ist. 

Von Florian Maiwald 

Wenn Marx in seiner Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie darauf aufmerksam macht, dass die Forderung danach, die Illusionen über den eigenen Zustand aufzugeben, darin besteht, einen Zustand aufzugeben, dessen Reproduktion auf unsere eigenen Illusionen angewiesen ist, hatte er vor allem Folgendes im Sinn: Marx übt eine Kritik an der Religion, oder spezifischer: an der Tatsache, dass die Religion – wie in Marx berühmten Ausspruch – zum Opium des Volkes geworden ist. Von daher zieht Marx die konsequente Schlussfolgerung, dass der „Kampf gegen die Religion […] mittelbar der Kampf gegen jene Welt“ ist, „deren geistiges Aroma die Religion ist.“

Die Religion stellt laut Marx jenen transzendenten Zufluchtspunkt dar, welcher es den Menschen ermöglicht, ihren erbärmlichen Verhältnissen zu entfliehen – ohne etwas an den Verhältnissen zu ändern, welche für ihre prekäre Lage verantwortlich sind. Von daher ist sie auch das Opium des Volkes und nicht – wie oftmals angenommen – etwas von den herrschenden Eliten verordnetes, um das Volk ruhig zu stellen.

Vor einiger Zeit hat der derzeitige Bundeskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) folgende Worte geäußert.

Der Glaube an Gott ist prägend für mein Verständnis der Welt, … wenn man daran glaubt, dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht, macht man auch Politik anders als zum Beispiel ein Kommunist, der bis zum Lebensende dringend mit allen Mitteln das Paradies auf Erden schaffen will.

Neben dem oberflächlich bereits unschwer erkennbaren, typisch konservativen Gestus, alles, was nicht der eigenen konservativen Sicht entspricht, als ideologisch zu bezeichnen, verdient Laschets Aussage es dennoch, etwas näher analysiert zu werden. Wenn Laschet bekräftigt, dass sein Glaube an ein Leben nach dem Tod einen unmittelbaren Einfluss auf sein politisches Handeln hat, kann man das auch übersetzen als: Während die blöden Kommunisten – in ihrer grenzenlos ideologischen Verblendung – die Welt zu einem besseren Ort machen wollen, sind wir gnädig mit uns selbst, denn wir wissen, im Gegensatz zu den dummen und naiven Kommunisten (worunter Laschet wahrscheinlich jeden meint, der sich sozialpolitisch etwas weiter links als die CDU/CSU verortet) dass es ein Leben danach gibt – von daher ist es gar nicht so schlimm, wenn wir das mit unserem Planeten in puncto Klimawandel und Armut nicht so ganz hinbekommen.

Man sollte sich an dieser Stelle jedoch nicht einfach nur über Laschets Aussage lustig machen, sondern diese mit der Ernsthaftigkeit analysieren, die ihr gebührt. Gemäß Marx Interpretation, dass die Religion eine Illusion ist, welche von einem Zustand erzeugt wird, welcher der Illusionen bedarf, scheint Laschet von genau ebenjener Illusion befallen, die Marx beschrieben hat. Der Glaube an ein Paradies nach dem Tod stellt in der Schlussfolgerung die Entlastung dafür dar, dass wir jetzt handeln müssen. Wenn es einen transzendental zu verortenden Ort gibt, welcher die Unzulänglichkeiten und Beschränkungen unseres Daseins aufhebt, dann sind wir nichts weiter als heteronome Wesen, welche sich dieser höheren transzendenten Ordnung zu fügen haben und keine zur Autonomie befähigten Handlungssubjekte, die etwas an den gegenwärtigen Verhältnissen ändern können.

In einem Interview zum evangelischen Kirchentag hat Laschet vor zwei Jahren zudem behauptet:

Die Religionen bieten eine Medizin gegen Ideologie an, die sich selbst überhöht und das Himmelreich auf Erden schaffen will.

Lesen wir diesen Satz erneut mit der Brille von Marx, so wird deutlich, dass Laschet sich in einen Widerspruch verfängt. Für Marx ist die Religion gerade das Opium bzw. die Illusion, welche notwendig ist, um das Leid und die Armut zu ertragen, welche von den sozioökonomischen Rahmenbedingungen verursacht werden. Die Religion hat in diesem Zusammenhang jedoch keinerlei emanzipatorisches Potential, welches die Menschen dazu befähigt, die vorherrschende Ideologie, welche den gesellschaftlichen Verhältnissen zugrunde liegt, zu durchschauen und im Umkehrschluss etwas an diesen Verhältnissen zu ändern. Für Laschet – im Gegensatz zu Marx – scheint Religion jedoch genau diese Funktion zu erfüllen, indem sie die Menschen dazu in die Lage versetzt, die jeweils vorherrschende Ideologie zu durchschauen, welche das Paradies auf Erden schaffen will – was Laschet wirklich nicht zu mögen scheint.

Wie lässt sich mit dem Widerspruch umgehen, welcher zwischen Laschets und Marx Überlegungen besteht?

Hier scheint es aufschlussreich an etwas zu erinnern, was Laschet vor Kurzem anlässlich des derzeitigen Wahlkampes bei einer seiner Reden gesagt hat:

Ich werde kämpfen mit allem, was ich kann, dass dieses Land nicht von Ideologen übernommen wird. […] Wir wollen verhindern, dass das zarte Pflänzchen Hoffnung jetzt abgewürgt wird durch rot-rot-grüne Spielereien. Alle drei haben Steuererhöhungen drin, alle drei liegen falsch, wir liegen richtig.

Durch Laschets unterkomplexe Bezeichnung einer rot-rot-grünen Koalition als Ideologen wird deutlich, wie Ideologiekritik selbst zur Ideologie werden kann. Anders formuliert: Laschets Äußerung, dass alles, was nicht den eigenen konservativ-neoliberalen Überzeugungen entspricht, direkt als ideologisch einzuordnen ist, ist unmittelbarer Ausdruck dafür, dass Laschet selbst in einer Ideologie gefangen ist.

Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass Laschet die drei Parteien SPD, Grüne und Linke direkt über einen Kamm schert – ungeachtet der Tatsache, dass diese in ihren Wahlprogrammen durchaus unterschiedliche Ansichten vertreten.

Das Gefährlichste ist jedoch, dass Laschet wirklich davon überzeugt zu sein scheint, dass all diese Parteien links der CDU/CSU eine Politik gegen die gesellschaftliche Mitte machen, weil sie etwas mehr für den Klimaschutz tun wollen. Natürlich – und dies kann man nicht oft genug betonen – ist es wichtig, dass Klimaschutz nicht zu Lasten der Schwachen und Armen betrieben werden sollte. Und in dieser Hinsicht lassen sich wirklich einige sinnvolle Kritikpunkte äußern. Fest steht jedoch auch, dass es, wenn man gar nicht erst versucht, das Paradies auf Erden zu errichten, irgendwann noch weitaus größere soziale Probleme und Spaltungen auf unserem Planeten geben wird. Das Absurdeste an Laschets Aussagen ist jedoch, dass er sich als den Retter der gesellschaftlichen Mehrheit inszeniert, welcher die soziale Frage nicht aus den Augen verloren hat, während seine Partei konsequent gegen die gesellschaftliche Mehrheit handelt. So ist im Wahlprogramm der CDU/CSU weder etwas von einer möglichen Erhöhung des Mindestlohns zu lesen, noch etwas von Steuererhöhungen für Superreiche – wohl aber von einer weiteren Aushebelung der Hartz IV Gesetze, um Arbeitslose in prekäre Jobs zu drängen.

Am Ende scheint Herr Laschet jedoch selbst der größte Ideologe zu sein, ohne dass er sich dessen bewusst ist. Eine zweite Vermutung wäre lediglich, dass Laschet tatsächlich daran glaubt, dass wir erst durch die Hölle gehen müssen, um ins Paradies zu kommen. Wahrscheinlich ist das sogar zutreffender, denn Laschet scheint ja zu wissen, dass seine Partei richtig liegt, während alle anderen falsch liegen. Vermutlich eine göttliche Eingebung.


Titelbild: Dirk Vorderstraße auf flickr/CC BY-NC 2.0 – Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) schaut skeptisch während eines Gesprächs

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