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Schicksalswahl in Brasilien: Lula da Silva mit guten Chancen auf Comeback

Am 27. Oktober 2002 gewann Lula da Silva zum ersten Mal die Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Zwanzig Jahre, juristische Turbulenzen und ein ultrarechter Präsident später schielt Lula auf eine dritte Amtszeit. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, am Sonntag fällt die Entscheidung.

Von Moritz Ettlinger

Vier Anläufe hat es gebraucht, am 27. Oktober 2002 war es dann soweit: Luiz Inácio Lula da Silva, kurz Lula, ist Präsident Brasiliens. Nachdem der Kandidat der linken Arbeiterpartei (PT) in den Jahren 1989, 1994 und 1998 noch den Kürzeren zog, setzte er sich bei der ersten Stichwahl im neuen Jahrtausend gegen José Serra von den bislang regierenden Sozialdemokraten durch und erreichte 61 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bereits aus dem ersten Wahlgang ging Lula als Sieger hervor, verpasste mit 46 Prozent der Stimmen aber knapp die absolute Mehrheit.

Zum ersten Mal seit dem Fall der Militärdiktatur im Jahr 1985 bekleidete ein linker Politiker das höchste Amt im Staat. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen seiner Wählerschaft, insbesondere der Arbeiter*innenklasse. Viele davon konnte Lula erfüllen: In seiner Amtszeit, die nach seiner Wiederwahl 2006 bis ins Jahr 2010 andauerte, machte sich der ehemalige Gewerkschaftsführer vor allem die hohen Gewinne aus der Ausbeutung von Rohstoffen zunutze und sorgte mithilfe von Investitionen in Bildung und Sozialprogramme dafür, dass Millionen Brasilianer*innen der Armut entkamen. Im Jahr 2010 wurde Lula vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen sogar mit dem Titel „Weltmeister im Kampf gegen den Hunger“ ausgezeichnet.

Darüber hinaus wurde die Ölindustrie wiederbelebt und Lula war mitunter verantwortlich dafür, dass mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Sommerspielen 2016 zwei prestigeträchtige Sportereignisse in Brasilien ausgetragen wurden. „Er machte Brasilien zu einem bedeutenden Akteur auf der Weltbühne“, sagte Lula-Biograf Richard Bourne dem Guardian.

Der „beliebteste Politiker der Welt“ im Gefängnis

Bei den Wahlen 2010 durfte Lula aufgrund einer Verfassungsbestimmung nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht mehr antreten. Zu diesem Zeitpunkt war er in weiten Teilen der Bevölkerung sehr angesehen, seine Zustimmungsraten lagen laut Guardian bei fast 90 Prozent. Ex-US-Präsident Barack Obama bezeichnete den Linkspolitiker einmal als „beliebtesten Politiker der Welt“, er gilt als populärster Präsident der brasilianischen Geschichte.

Die Popularität des ehemaligen Präsidenten brach dann aber spätestens im Jahr 2018 stark ein, als Lula wegen Korruption zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Anhänger*innen betrachteten das Urteil als politisch motiviert, 2021 wurde es vom Obersten Gericht aufgehoben, unter anderem aufgrund der Befangenheit des Richters bei der Verurteilung. Explizit für unschuldig erklärte das Gericht Lula jedoch nicht.

Schicksalswahl für das Klima

Lula da Silva selbst bestreitet alle Korruptionsvorwürfe, jetzt ist er drauf und dran, zum dritten Mal nach 2002 und 2006 zum Präsidenten Brasiliens gewählt zu werden. Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 5. Oktober gewann der PT-Kandidat mit 48,4 Prozent der Stimmen, er muss aber am kommenden Sonntag in die Stichwahl gegen den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro. Letzterer schnitt im ersten Wahlgang überraschend gut ab und kam auf 43,2 Prozent der Stimmen.

Die Regentschaft von Jair Bolsonaro zwischen 2018 und 2022 war geprägt Privatisierungen, dem Rückbau von Sozialprogrammen, hohen Corona-Todeszahlen und dem permanenten Infragestellen demokratischer Institutionen. Hinzu kommt die massive und weiter steigende Abholzung des Regenwaldes: Laut Angaben des WWF schrumpfte das Amazonasgebiet Brasiliens während Bolsonaros Amtszeit um eine Waldfläche, die größer ist als Belgien, die NGO spricht von der höchsten Entwaldungsrate der letzten 15 Jahre.

Auch Lula hatte der Abholzung des Regenwaldes in den ersten Jahren seiner ersten Amtszeit nur wenig Einhalt geboten. Später war er aber für einen deutlichen Rückgang der Entwaldung mitverantwortlich und leitete damit eine Trendwende ein. Dieser Fortschritt wurde von Bolsonaro in den vergangenen vier Jahren zunichte gemacht, diverse Medien und Umweltschutzorganisation sprechen daher von einer Schicksalswahl für Regenwald und Klima.

Umfragen sagen Lula-Sieg voraus

Lula da Silva gab sich am Abend des ersten Wahlganges jedenfalls optimistisch: „Wir werden diese Wahlen gewinnen“, sagte Lula bei einem Medienstatement in São Paulo selbstbewusst. „Für uns ist das nicht mehr als eine Verlängerung“. Die Meinungsforscher*innen geben ihm vorsichtig Recht: Der Economist hat verschiedene Umfragen zusammengefasst (Stand: 25. Oktober) und prognostiziert 52 Prozent für den linken Kandidaten beim Urnengang am Sonntag.

Fraglich ist jedoch, ob Bolsonaro und insbesondere seine Anhängerschaft eine mögliche Wahlniederlage akzeptieren würden. Schon bei der Wahl 2018 streute der Ultrarechte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ergebnisses, im diesjährigen Wahlkampf machte der ultrarechte Präsident mehrfach Andeutungen, die demokratische Entscheidung des brasilianischen Volkes nicht akzeptieren zu wolle, sollte diese nicht in seinem Sinne ausfallen. 

Auch das Statement des noch amtierenden Präsidenten nach dem ersten Wahlgang ging in diese Richtung: „Worauf es ankommt, sind saubere Wahlen ohne Probleme.“ Beweise für angeblichen Wahlbetrug legte der neoliberale Politiker allerdings nicht vor – weder vor vier Jahren, noch Anfang Oktober. Teile von Bolsonaros Anhängerschaft liebäugelten dagegen schon mit einem Militärputsch im Fall eine Wahlniederlage. Szenen wie jene bei der Erstürmung des US-Kapitols von Trump-Supportern im Jänner 2021 sind damit zumindest nicht völlig auszuschließen.


Titelbild: Lula da Silva auf einer Wahlkampfveranstaltung am 19. Oktober. Foto: Ricardo Stuckert via Fotos públicas / CC BY-NC 2.0

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