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Wenn Seenotrettung bestraft werden soll

Weil sie sich für Geflüchtete eingesetzt haben stehen sie in Griechenland vor Gericht: Am Dienstag (10. Jänner) beginnt in Lesbos ein höchst umstrittener Prozess gegen 24 Seenotretter*innen. Amnesty International fordert die griechischen Behörden dazu auf, die Anklagen fallen zu lassen.

Von Moritz Ettlinger

„Wenn ich nur deswegen kriminalisiert werden kann, weil ich Wasserflaschen und ein Lächeln verteile, dann kann das allen passieren.“ Diese Worte, zitiert in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, stammen von Seán Binder. Der 24-jährige Deutsche ist ausgebildeter Rettungstaucher und hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Menschen vor der griechischen Insel Lesbos vor dem Ertrinken gerettet. Jetzt steht er gemeinsam mit der syrischen Aktivistin Sarah Mardini und 22 weiteren Angeklagten in Griechenland vor Gericht.

Die Vorwürfe der griechischen Behörden im am Dienstag (10. Jänner) startenden Prozess lauten auf Spionage und Fälschung, in einem weiteren Ermittlungsverfahren sind Binder und Mardini wegen angeblicher Schlepperei, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche im Visier der Behörden. Insgesamt drohen den beiden Seenotretter*innen im Falle einer Verurteilung Haftstrafen von über 20 Jahren.

„Es ist eine Farce, dass dieser Prozess überhaupt stattfindet“, sagt Nils Muižnieks, Regionaldirektor für Europa bei Amnesty International. „Sarah und Seán taten, was wir alle an ihrer Stelle tun müssten. Menschen zu helfen, die auf einem der tödlichsten Seewege Europas zu ertrinken drohen, und ihnen an der Küste beizustehen, ist kein Verbrechen. Dieser Prozess zeigt, dass die griechischen Behörden bis zum Äußersten gehen, um humanitäre Hilfe zu verhindern und Migrant*innen und Flüchtlinge davon abzuhalten, an der Küste des Landes Schutz zu suchen.“

Dies sei in vielen europäischen Ländern der Fall, so Muižnieks. Das bestätigten weitere NGOs, darunter Sea-Watch, SOS Humanity und die Ärzte ohne Grenzen, erst kürzlich gegenüber ORF.at. Die Kriminalisierung von humanitärer Arbeit an den Grenzen der Europäischen Union nehme immer weiter zu, so der Tenor.

Auch der Fall Italien zeigt das deutlich. Laut einem neuen Dekret der dortigen Regierung müssen Hilfsorganisationen nach der ersten Rettungsaktion während eines Einsatzes sofort den nächsten zugewiesenen Hafen ansteuern, ohne dabei weiteren Booten und Menschen helfen zu dürfen. Zusätzlich werden Geflüchtete von der italienischen Regierung dazu angehalten, noch an Bord des Schiffes bekanntzugeben, ob und wenn ja in welchem Land der Europäischen Union sie Asyl beantragen wollen. Sollten die zivilen Helfer*innen gegen diese Regelungen verstoßen drohen den Kapitän*innen Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro und die Beschlagnahmung ihrer Schiffe durch die Behörden.

Deshalb gehe es im Prozess, der eigentlich bereits im November 2021 stattfinden sollte und aufgrund von Verfahrensfehlern vertagt wurde, nicht nur um die Angeklagten selbst, sagt Seán Binder gegenüber Amnesty. „Vielmehr versuchen die griechischen Behörden mit diesem Prozess, Mitgefühl für andere zu unterbinden und Menschen daran zu hindern, Sicherheit zu suchen.“ 

Die Außengrenze der Europäischen Union gilt als tödlichste Grenze der Welt. Allein im Jahr 2022 kamen nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 2.000 Menschen im Mittelmeer ums Leben oder werden vermisst, die UNO-Flüchtlingshilfe spricht von 1.940 verstorbenen und vermissten Personen. Damit starb 2022 im Schnitt alle fünf Stunden ein Mensch im Mittelmeer.


Titelbild: Blake Cheek auf Unsplash (Symbolbild)

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