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Die ganze Stadt schwimmt

Kopenhagen wird im Sommer zum Badeparadies. Das war nicht immer so. Die Hafenstadt hatte mit Überschwemmungen zu kämpfen. Dann kam Planer Jan Rasmussen.

Von Bernd Hauser (fluter.)

Im Sommer sitzen überall entlang der Kanäle des Kopenhagener Stadtteils Christianshavn Menschen, lassen sich die Sonne auf die Haut brennen, springen in das saubere Wasser: Man sieht bis zum Grund. „Copencabana“, nennen sie eines der Hafenbäder im Stadtteil Vesterbro, in Anlehnung an den Strand von Rio de Janeiro.

Im Sommer wird ganz Kopenhagen zur Beachparty.

Das war nicht immer so. Einmal, am 2. Juli 2011, verdunkelte sich das Idyll. Damals fiel innerhalb von knapp zwei Stunden auf jeden Quadratmeter so viel Regen, dass man damit eine Badewanne füllen könnte, 150 Liter. Die Kopenhagener beobachteten an den Fenstern ihrer Wohnungen, wie die Brühe aus den Deckeln der Abwasserkanäle in die Höhe quoll, in die Keller rann und sie bis unter die Decke füllte. Danach füllten die Kopenhagener ganze Bauschuttcontainer mit Büchern, Videokassetten, Kleidung, Kinderrädern und Lampen. Überall in der Stadt sah man aufgeweichten Schrott. Der Schaden des Wolkenbruchs belief sich laut Schätzungen auf bis zu 1,2 Milliarden Euro.

Was damals passierte, ist kein dänischer Einzelfall. Wissenschaftliche Prognosen zeigen, dass Starkregen mit der voranschreitenden Erderhitzung häufiger werden. Viele Länder entwickeln Pläne, um die Folgen von Extremwetter abzumildern. Kopenhagen setzt auf einen besonderen: Schwammstädte.

Jan Rasmussen, Anfang 60, kommt in einem modischen kurzen Mantel über den Tåsinge-Platz geschlendert, in der Linken eine abgewetzte Aktentasche, ein unauffälliger Mann. Dabei hat er Kopenhagen verändert wie kaum ein anderer.

„Topstadt zum Schwimmen“ statt Stadt der Überschwemmungen

Anfang der Neunziger trat Rasmussen in die Dienste der Stadt. Als junger Umweltingenieur leitete er die Planung neuer Kavernen, unterirdischer Überlaufbauwerke. Mit dem alten System waren die Kläranlagen überfordert: Die Niederschläge flossen zusammen mit den Abwässern der Stadt direkt in den Hafen. Durch den Bau neuer Reservoirs unter Kopenhagen wurde diese Umweltverschmutzung ab der Jahrtausendwende weitgehend verhindert. 2002 konnte sogar das erste Hafenschwimmbad eröffnet werden, vor drei Jahren rief CNN Kopenhagen noch vor Zürich zur weltweiten „Top-Stadt zum Schwimmen“ aus.

Aber all die unterirdischen Reservoirs reichen nicht, um die Stadt vor extremen Hochwassern zu bewahren. Das hat die Überschwemmung 2011 gezeigt. Deshalb treibt die Abteilung für Klimaanpassung mit 55 Angestellten die Sicherheit und die Lebensqualität in der Stadt weiter voran: 300 Projekte, davon sehr viele an der Oberfläche, sollen Kopenhagen künftig schützen. „Skybrudsplan“ nennen sie das Programm, das Jan Rasmussen gleich nach den Überschwemmungen 2011 als Verantwortlicher startete, zu Deutsch: „Wolkenbruchplan“.

Kopenhagen verfolgt damit ein Konzept, das im Englischen einen poetischeren Namen erhielt: „Sponge City“: Die „Schwammstadt“ ist die Idee, dass Metropolen das Wasser bei viel Regen nicht mehr in die Kanalisation und dann ungenutzt und verschmutzt in Flüsse, Seen oder das Meer ableiten. Sondern das Wasser unterirdisch in Becken und oberirdisch in grünen Oasen zurückhalten. Grünflächen werden so umgestaltet, dass sie große Niederschlagsmengen aufnehmen können. Versiegelungen werden aufgebrochen, damit Wasser versickern kann. Bei Neubauten wird darauf geachtet, Dächer zu begrünen, um auch dort Niederschläge zu speichern. Die Stadt soll saugfähig sein wie ein Schwamm.

Das Zwei-Millionen-Euro-Pilotprojekt von Mai bis Dezember 2014 war der Tåsinge Plads. Der Startschuss des Wolkenbruch-Plans. „Hier war früher alles versiegelt“, sagt Jan Rasmussen. „Nur Parkplätze. Kein Grün, nicht ein einziger Baum.“ Jetzt ist der Platz eine grüne Insel mit einer Senke in der Mitte. Darin stehen Vogelbeerbäume und Felsenbirnensträucher, Schwarzerlen und Silberweiden zwischen hohem Gras. Das neu angelegte Biotop soll wie eine Art Duschwanne funktionieren: Bei einem Wolkenbruch läuft sämtliches Regenwasser aus den umgebenden Straßen auf den Platz zu. Teils wird das Regenwasser in einem unterirdischen Bassin unter dem Platz aufgefangen, teils in der oberirdischen Senke zwischen Gräsern und Bäumen, wo es langsam versickern kann. Das Wasser im unterirdischen Bassin nutzen die städtischen Arbeiter an heißen Tagen, um die Grünanlagen rund um den Platz zu gießen.

Die Duschwanne besitzt auch einen Abfluss: Neu angelegte Rinnen führen zu einem Tunnel, der das Regenwasser Richtung Hafen führt. Diese Kombination führt dazu, dass die Häuser vor Überschwemmungen sicher sind.

Der Tåsinge Plads ist ein Teil in einem großen Puzzle. Die Planer aus Rasmussens Team teilten Kopenhagen in 60 Gebiete auf. Für jedes untersuchten sie, wo das Regenwasser natürlicherweise hinläuft, was herkömmliche Kanäle und oberirdische Rückhaltelösungen kosten und wie man beides optimal kombinieren kann. „Wir dürfen nur das realisieren, was am günstigsten ist“, sagt Rasmussen.

Er bringt ein Beispiel aus dem Viertel Vesterbro. „Wir hatten dort eine Alternative zu gigantisch teuren Rohrleitungen: der Enghavepark.“ Als tiefstes Gebiet im Viertel gestalteten sie den Park zu einem natürlichen Rückhaltebecken um. Der tiefer gelegte Hockeyplatz dient als Bassin und der Park wurde mit einer hüfthohen Mauer umzogen, gebaut aus einem hellen, feinen Beton. Die Besucher nehmen sie als Stilelement wahr. Heute kann der Park bei Wolkenbrüchen fast 23 Millionen Liter Wasser zurückhalten. Damit könnte man neun olympische Schwimmbecken füllen.

Allein 2022 kamen 30 Delegationen, vor allem aus anderen skandinavischen Städten, um von Kopenhagen zu lernen. Bei den südlichen Nachbarn scheint das Interesse weniger groß. Lediglich eine deutsche Besuchergruppe interessierte sich für die Lösungen, eine Abordnung aus Krefeld.

Hierzulande würden „blau-grüne Infrastrukturen bisher viel zu wenig, zu unstrategisch beziehungsweise unsystematisch genutzt“, sagt Stefan Geyler von der Professur für Wassermanagement und Klimaanpassung an der Universität Leipzig. „Blau“ meint Teiche und andere Wasserspeichermöglichkeiten, „grün“ sind die bepflanzten Rückhaltemöglichkeiten für Regenwasser.

Jetzt soll die Erfahrung fließen – und zwar in weitere Projekte

Immerhin, Pilotprojekte gibt es: In Hannover wird gerade an quartierbezogenen Schwammstadt-Ansätzen geforscht, in Leipzig wird das Quartier um den ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhof neu entwickelt. Dabei wird auch ein umfassendes Regenwasserbewirtschaftungskonzept umgesetzt. Die Erfahrungen sollen in andere Projekte einfließen.

„Am meisten überrascht die Besucher, dass sich unser Plan tatsächlich realisieren lässt“, sagt Rasmussen in Kopenhagen. In Dänemark gebe es eine lange Tradition, ganzheitlich zu denken, über Behörden und Organisationen hinweg partnerschaftlich zu arbeiten. Die Kommune treibt den Wolkenbruchplan voran, aber ohne das enge Zusammenspiel mit dem Versorgungsunternehmen für Trink- und Abwasser wäre das Programm nicht zu realisieren. Das Unternehmen und damit die Bürger bezahlen den Großteil der Projekte. Die erwarteten Kosten von rund 1,3 Milliarden Euro bis 2035 werden über die Wassergebühren eingezogen. Die Stadt wendet für die Gestaltung und Begrünung der oberflächlichen Schwammstadt-Elemente aus Steuermitteln lediglich 150 Millionen Euro auf. Jan Rasmussen glaubt, es gebe keinen Grund, das Rad immer wieder neu zu erfinden: Der eigentliche Schlüssel sei der Wille zur Kooperation.


Dieser Text wurde am 17.02.2023 auf fluter.de unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine nicht-kommerzielle Weiterverwendung unter Namensnennung des*der Urheber*in sowie ohne Bearbeitung. 

Titelbild: Rolands Varsbergs auf Unsplash

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