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Bildung: Das Beste aus beiden Welten ist nicht gut genug! 

Heute findet ein österreichweiter Bildungsaktionstag statt. Wir wollen damit ein Zeichen setzen und auf die vielen Herausforderungen im Bildungsbereich – von der Elementarbildung, über schulische und außerschulische Bildung, der Lehre bis hin zu den Universitäten und der Erwachsenenbildung – aufmerksam machen. Über 50 Organisationen haben sich diesem Aktionstag angeschlossen.

Ein Gastbeitrag von Bernhard Lahner (Sonderpädagoge & Bildungsaktivist) und Eva Neureiter (Volksschulpädagogin & Personalvertreterin)

Zentral sind die Forderungen nach einer gemeinsamen, inklusiven Bildung, die niemanden zurücklässt und bessere Lern-und Arbeitsbedingungen im Bildungsbereich. Der Weg dorthin ist leider noch immer weit, wenn wir uns den Alltag ansehen.

Der Status quo

Chancen- und Bildungsgerechtigkeit ist für unsere österreichischen Bildungspolitiker:innen offenbar immer noch ein Fremdwort. Es ist die Erzählung der Ära Kreisky, dass die Bildungschancen für alle in Österreich lebenden Menschen verbessert wurden. Die Schulbuchaktion wurde eingeführt, die Studiengebühren fielen. Die Generation der Boomer profitierte davon.

Von diesem Versuch, bessere Chancen für alle einzuführen, profitierten unsere Eltern. Was nicht überwunden werden konnte ist, dass in Österreich Bildung nach wie vor “vererbt” wird. Das Gegenteil ist der Fall: Zum bestehenden elitären System (Trennung der Kinder mit 10 Jahren) wurden weitere Hürden und Selektionen eingeführt:

* die Deutschförderklassen der türkis-blauen Ibiza-Regierung halten sich weiterhin, obwohl alle wissenschaftlichen Erkenntnisse dagegen sprechen. Selektion ist hier erwünscht und das Auseinanderdividieren der Schüler:innen politisches Kalkül.

* Sonderschulen werden neu gebaut, die Segregation gefördert. Österreich hinkt der UN-Behindertenrechtskonventionen nach Jahrzehnten immer noch hinterher. Der Grund dafür ist einfach: Sparen und Separieren.

Es gibt bundesweit hunderte gut funktionierende Integrationsklassen, die jedes Jahr aufs Neue von Einsparungen betroffen sind. Hinzu kommt der 2,7% Deckel an Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Dieser aus dem Finanzausgleich resultierende Wert ist natürlich nicht an die realen Bedingungen geknüpft, sondern eine buchhalterische “Größe”. Die Konsequenz daraus ist, dass Schüler:innen mit psychischen, körperlichen oder sozial-emotionalen Belastungen ohne SPF meist in Integrationsklassen in Mittelschulen “geparkt” werden. Die AHS-Unterstufe ist davon nicht bis wenig betroffen. Auch dieser Umstand, nämlich die Trennung der Schüler:innen ab 10, und das jahrzehntelange Blockieren der ÖVP zur gemeinsamen Schule der 6- bis 14-Jährigen, ist haarsträubend. Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen wird viel zu früh abverlangt, wegweisende Bildungsentscheidungen zu treffen.

Der Lehrer:innenmangel macht uns im Schulalltag immer mehr zu schaffen. An einer unserer Schulen (VS) konnten heuer “nur” 3 Lehrer:innen nicht besetzt werden, an benachbarten Schulstandorten waren es wesentlich mehr. Was heißt das konkret? Manches kann einfach nicht mehr unterrichtet werden (z.B.: Förderstunden), Teamstunden fallen weg, Kolleg:innen müssen mehr Stunden arbeiten als geplant oder können zu bis zu fünf Mehrdienstleistungen pro Woche eingeteilt werden. 

Das bedeutet eine wöchentliche Arbeitsbelastung von über 50 Stunden, falls nicht noch etwas dazwischen kommt. Kompensierung durch Überstunden ist mit der Arbeit mit Kindern der “best case”, in der Realität folgen daraus aber auch außernatürliche Krankenstände, Pflegefreistellungen, verpflichtende Seminare oder auch in diesem Schuljahr Coronaerkrankungen, für die zusätzlich Überstunden geleistet werden müssen, damit kein Kind zurückbleibt. 

Nicht nur aufgrund des Lehrer:innenmangels, sondern wegen des neuen Berechnungssystems in Österreich (eine VS-Klasse braucht 25 Kinder, damit alle Lehrer:innenstunden einer Klasse errechnet werden), sitzen in unseren 1. Klassen teilweise bis zu 27 Kinder. Wie eine Lehrerin 27 kleinen 6-Jährigen zuhören und individuell auf sie eingehen soll, muss uns ein:e Bildungspolitiker:in oder der oberste Pflichtschullehrergewerkschafter bitte vorzeigen.

Wir fordern deshalb nicht unbegründet kleinere Klassen für unsere Schulen!

Die kommenden Pensionierungen sind seit Jahrzehnten bekannt. Dass dieser Umstand für den Bildungsminister der Republik überraschend war, zeigt die vorausschauende und zukunftsorientierte Planung in der Bildungspolitik. 

Wer ist hier bitte systemrelevant?

Durch das Brennglas, das uns die Pandemie mitgebracht hat, durften wir alle erkennen, welche Bereiche unserer Gesellschaft systemrelevant sind. Der Gesundheitsbereich, die Blaulichtorganisationen, der Lebensmittelhandel, die Müllabfuhr, etc. und die Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen.

Es sind nicht die Immobilienspekulanten oder Großkapitalisten, die uns erklären wollen, wie unsere Gesellschaft zu funktionieren hat. Es sind wir, die heute auf die Straßen gehen und die für ein solidarisches Miteinander in all den genannten Bereichen täglich kämpfen.

Unser Fokus liegt auf der Schule, aber es muss der gemeinsame Arbeitskampf für bessere Arbeitsbedingungen, entsprechender Wertschätzung (Stichwort: Klatschen) und ein Ende der ausbeuterischen Kompensationsarbeiten aufgrund des politischen Systemsversagens erwähnt werden.

Eine Attraktivierung des Lehrberufs und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen können nicht ausbleiben, wenn wir wollen, dass das jetzige System nicht an die Wand fährt.

Zur Attraktivierung des Berufs gehört auch, wie mit Lehrenden umgegangen wird. Manche Vorgesetzte dürften noch immer nicht verstanden haben, dass ihre Lehrer:innen “Mangelware” sind und daher dementsprechend behandelt werden müssen. Berichte über unnötige bürokratische Schikanen oder Ausbeutungen im Hinblick auf weitere Anstellung werden mehr. Vor allem junge Kolleg:innen brennen aus, sie warten teilweise Jahre auf ihre richtigen Verträge. Die Ungewissheit ist groß. Hier wird auch der Mangel an Verwaltungspersonal sichtbar, wenn Verträge erst Monate später den Dienstnehmern ausgehändigt werden.

Es braucht notwendige Sofortmaßnahmen

Das gesamte Bildungssystem braucht Milliarden an Soforthilfen  – “Koste es, was es wolle!” für

  • multiprofessionelle Teams,
  • bauliche Adaptierungen,
  • Attraktivierung des Jobs (keine 600.000 Euro Werbekampagne),
  • ein Bildungsrecht für Menschen mit Behinderungen bis 18 Jahre,
  • Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
  • Entbürokratisierung
  • eine Gemeinsame Schule mit außerschulischer Vernetzung
  • eine Gewerkschaft, in unserem Fall die Pflichtschullehrer:innengewerkschaft innerhalb der GÖD, die ihre Aufgabe erfüllt und gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen unternimmt damit die Kolleg:innenschaft nicht ausbrennt – “Wir sind streikbereit!” wird immer öfter in der Kolleg:innenschaft skandiert

Heute wollen wir mit direkt Betroffenen, der Zivilgesellschaft, Gewerkschaftsvertreter:innen, Behindertenorganisationen, Schüler:innen, Universitätspersonal, Studierenden und vielen mehr in ganz Österreich ein Zeichen setzen. Alle Informationen zu den Aktionen finden Sie unter aktion.bildung.at.

Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft raubt.


Dieser Beitrag wurde als Gastartikel eingereicht. Auch Dir brennt etwas unter den Nägeln und Du willst, dass es die Öffentlichkeit erfährt?  Dann reiche jetzt deinen Gastartikel ein!

Titelbild: note thanun auf Unsplash

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