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Schafft die Sozialdemokratie mit Babler ein Comeback?

Völlig überraschend wurde Andi Babler am SPÖ-Bundesparteitag zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Während die Bürgerlichen seither hysterisch vor „Marxismus“ und „Kommunismus“ warnen, geht ein Ruck durch die Sozialdemokratie. 

Ein Gastbeitrag zu den Perspektiven der österreichischen Arbeiterbewegung von Gernot Trausmuth

Der Parteitag sollte endlich eine Weichenstellung für die schwer gebeutelte SPÖ bringen. Im Duell Doskozil gegen Babler schien der burgenländische Landeshauptmann eigentlich die besseren Karten zu haben. Nach der Mitgliederbefragung sprach sich eine Phalanx aus fast allen Landesparteichefs (NÖ, OÖ, Steiermark usw.) für ihn aus. Ein Großteil des Parteiapparats in den Ländern und Bezirken sah in Dosko den einzigen Garanten für künftige SPÖ-Wahlsiege.

Babler konnte sich zwar auf die SPÖ Wien und große Teile des Gewerkschaftsapparates stützen, weil die mit Dosko noch eine Rechnung offen hatten und sich wohl sicher waren, dass sie nach geschlagener Schlacht den Linksblinker aus Traiskirchen schon zurechtbiegen könnten. Dass am Ende des Tages Doskozil von der Vorsitzenden der Wahlkommission als Sieger im Rennen um den Parteivorsitz gekürt wurde, überraschte wohl niemand so wirklich. Viele dachten sich: „Ja, so tickt die Mehrheit der Parteibürokratie eben. Die wollen geordnete Verhältnisse und keine linken Abenteuer.“

Die SPÖ unter Babler

In Wirklichkeit hatte, auch wenn es zu dem Zeitpunkt noch niemand wusste, Babler mit seiner Brandrede, mit der er die SPÖ als Arbeiterpartei mit linkem Profil positionierte, die Stimmung gedreht und offensichtlich etliche unentschlossene Delegierte auf seine Seite gezogen. Babler hat mit seiner ganzen Bewegung eine latente Stimmung in den Reihen der Arbeiterbewegung und der zivilgesellschaftlichen Linken, die sich nach Veränderung sehnt, zum Ausdruck gebracht. Selbst im ausgewählten Kreis der Parteitagsdelegierten reflektierte sich letztlich diese Stimmung, die zur Triebkraft von Bablers Kampagne wurde und die die bisherigen Kräfteverhältnisse in der SPÖ völlig durcheinanderwirbelte. Dabei muss jedoch auch gesagt werden, dass das von Babler vorgebrachte Programm vornehmlich aus Maßnahmen besteht, die sich an den Staat richten (Abschaffung des Gender Pay Gap durch Verwaltungsstrafen etc.) oder über sozialpartnerschaftliche Verhandlungen umgesetzt werden soll (wie die 32-Stunden-Woche), wo Kampfmaßnahmen gemäß der bisherigen Logik des ÖGB nur Beiwerk sind, wenn am Verhandlungstisch nichts mehr geht. Es ist dies die Kompromisslinie, die den linken Reformismus von Babler mit der politischen DNA der Sozialdemokratie nach 1955 verbindet und nur so konnte er auch die Unterstützung dieser Teile des Parteiapparats und der Gewerkschaftsbürokratie bekommen und am Parteitag mehrheitsfähig werden.

Die chaotischen und zweifelhaften Umstände rund um die Wahl, unter denen Babler letztendlich dann doch an die Parteispitze kam, haben das Doskozil-Lager völlig demoralisiert und beschädigt. Doskozil hat seine Niederlage eingestanden und wird in der Bundespartei keine Rolle mehr spielen können. Seine rechte Hand Max Lercher, der Mann fürs Grobe, der sich schon als neuer Chef der Löwelstraße wähnte, ist seither auf Tauchstation und wird sich die Frage gefallen lassen müssen, wann er sein Versprechen einlöst und aus der Politik ausscheidet, wenn Doskozil doch nicht Parteivorsitzender wird.

Babler hat auch dieses Zeitfenster geschickt genützt und sich mit gekonnten Medienauftritten und durch ein taktisch kluges Vorgehen bei der Zusammenstellung seines Teams im Parlamentsklub und in der Bundesgeschäftsführung zum vorerst unumstrittenen Parteichef emporgeschwungen. Erste Versuche diverser Landesparteien, Bablers Positionen öffentlich zu kritisieren, konnten unter diesen Bedingungen keine Dynamik bekommen. Die Partei steht vorläufig hinter Babler – die einen mit voller Überzeugung und Begeisterung, die anderen, weil sie politisch ramponiert sind und Babler gewähren lassen müssen. Damit hat Babler sehr günstige Bedingungen, in den kommenden Monaten seinen Plan zur „Vereinigung“ der Partei hinter seiner Person durchzuziehen.

Mit seinen Auftritten bei den jüngsten Gewerkschaftskongressen (PRO-GE, ÖGB), beim Arbeitskampf der FreizeitpädagogInnen, bei der PRIDE hat er sich regelrecht zu einem neuen Superstar gemausert. Und das zeitigt konkrete Ergebnisse. Nachdem als Reaktion auf den vermeintlichen Sieg Doskozils spontan hunderte aus der Partei austreten wollten, verzeichnet die SPÖ unter Babler eine neue Eintrittswelle. Und Babler und sein Team setzen genau auf dieses Element. „Wir wollen die Partei mit neuen Mitgliedern fluten“, wie es ein enger Mitarbeiter aus dem Team Babler ausdrückte. Dazu kommen Tausende, die sich die SPÖ jetzt mit großer Sympathie anschauen und Babler unterstützen. Die neuen Mitglieder sind, auch wenn sie meist noch nicht in Parteistrukturen aktiv sind, ein linker Stachel. Und es ist angelegt, dass in den kommenden Monaten auch auf allen anderen Ebenen der Partei ein politischer Kampf geführt wird, um die Veränderung an der Parteispitze auch in den Sektionen, Bezirken und Ländern abzusichern. Die angekündigten Parteiaustritte des Innsbrucker Klubobmanns und Doskozil-Manns Buchacher oder von rechtsreformistischen Bürgermeistern aus NÖ sind Vorboten für diese Konflikte.

Doch die Parteirechte ist derzeit demoralisiert und weitgehend handlungsunfähig. Das Momentum hat jetzt die Linke, und den Linksruck in der SPÖ gilt es in den kommenden Monaten zu konsolidieren. Die Durchsetzung der Demokratisierung der SPÖ (Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz und vor allem die Frage der Urabstimmung über Koalitionsabkommen) werden dabei entscheidende Punkte sein, wobei vor allem Letzteres ein schwerer Schlag für die bisher dominanten Machtzentren in der SPÖ (rund um den Wiener Bürgermeister und die FSG-Spitze) sein würde, weil damit eine Koalition mit der ÖVP nicht gerade realistischer werden würde. Wir dürfen nicht vergessen, dass Babler diesen Kräften seinen Wahlsieg zu verdanken hat und er in diesen Fragen aber auch in inhaltlichen Punkten (Migration, EU, Arbeitszeitverkürzung…) unter Druck kommen wird. Gleichzeitig sind dies Kardinalsfragen für die Parteilinke, die jetzt massiv an Selbstbewusstsein gewonnen hat und auch an Schalthebeln der Partei sitzt. Nach einem ersten Honeymoon werden diese Widersprüche früher oder später mit Sicherheit aufbrechen – vor allem wenn die Bürgerlichen den Druck von außen erhöhen.

Hysterie im bürgerlichen Lager

Schon vor dem Parteitag haben wir eine massive Kampagne der bürgerlichen Medien gegen Babler gesehen. Und seit dem Parteitag vergeht kaum ein Tag, an dem ÖVP, FPÖ und NEOS nicht vor „Marxismus“ und „Kommunismus“ warnen. Das Niveau der Auseinandersetzung könnte dabei tiefer nicht sein, was viel über die intellektuelle Misere im bürgerlichen Lager aussagt. Kickl stellt Babler als gottlosen Kommunisten hin. Selbst die Forderung von „Tempo 100“ sei laut ÖVP plötzlich ein Ausfluss von Bablers Marxismus. Dass diese Warnungen vor der „roten Gefahr“ ins Leere gehen und Babler nur noch mehr Unterstützung bringen, zeugt von der veränderten gesellschaftlichen Stimmung. Der plumpe Antikommunismus der Bürgerlichen entfaltet längst nicht mehr die Wirkung wie einst. Die Industriellenvereinigung versucht es etwas geschickter und kritisiert Bablers Forderung nach einer 32-Stunden-Woche angesichts der Krise als wirtschaftlich „realitätsfremd“ und „Sozialromantik“. Die von Babler geforderten Vermögens- und Erbschaftssteuern seien „Schnüffelsteuern“ und „Neidsteuern“. Doch zu sehr korrespondieren die linken Ansagen Bablers mit der Realität breiter Bevölkerungsschichten, die geprägt ist von den Auswirkungen der kapitalistischen Krise auf unser Leben (Teuerung, Arbeitsdruck, Armut, Klimawandel…), während sich gleichzeitig die Kapitalisten schamlos bereichern (siehe KIKA/Leiner). So beklagen die bürgerlichen Kommentatoren fast täglich, dass sich der „öffentliche Diskurs durch Babler spürbar nach links verschoben hat“.

Babler und Julia Herr werden nicht müde zu betonen, dass ihr Programm ganz einfach die Interessen der Mehrheit auf den Punkt bringt, und wenn das als links gelte, dann seien sie eben auch links. Die Eckpunkte dieses Programms sind Maßnahmen gegen Kinderarmut, für Arbeitszeitverkürzung und das alles finanziert durch Vermögenssteuern. Es geht Babler, wie er sagt, um eine kleine Korrektur der sozialen Schieflage der letzten Jahrzehnte. Objektiv betrachtet, ist dieses Programm nicht ausreichend, um die sozialen Krisen unserer Zeit zu lösen, ganz zu schweigen von der historischen Mission des Kampfs gegen die Klimakatastrophe und dem Ziel einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Doch nach Jahrzehnten des sozialen Rückschritts und der wachsenden sozialen Ungleichheit, dem die Arbeiterbewegung nicht nur keinen Widerstand entgegengesetzt hat, sondern diese Prozesse mitbestimmt hat, steht jetzt endlich wieder jemand an der Spitze der SPÖ, der diese Zustände offen anprangert und Bereitschaft signalisiert, den Kampf um soziale Rechte wieder in Angriff nehmen zu wollen.

Klassenkampf und politische Polarisierung

Das reicht vorerst, um bei bestimmten Schichten Begeisterung zu wecken. Und es aktiviert eine beachtliche Zahl an Menschen, die wieder Sinn darin sehen, sich politisch zu engagieren. Es ist vor allem eine Schicht von älteren AktivistInnen. Nach Jahren der Demoralisierung und der Frustration keimt bei ihnen wieder die Hoffnung, zumindest kleine Verbesserungen durchsetzen zu können. Die Jugend und große Teile der unorganisierten Arbeiterschaft sind von dieser Stimmung aber bislang nur vereinzelt erfasst worden.

Die kommenden Monate werden aber geprägt sein von der Idee, die Sozialdemokratie zu einer Arbeiterpartei mit linkem Profil zu machen, die bei den kommenden Nationalratswahlen Nummer 1 werden kann. Daneben wird auch die KPÖ versuchen, sich in Stellung zu bringen. Doch ihre Chancen auf einen kometenhaften Aufstieg auf Bundesebene nach dem Vorbild Salzburg haben mit der Wahl Bablers zum Parteivorsitzenden einen Dämpfer erhalten. Dass sich unter den neuen Bedingungen eine Alternative links von der Babler-SPÖ etablieren kann, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt äußerst unrealistisch. Die Methoden der Kleinarbeit im Wesentlichen rein um das Thema Wohnen, mit denen die KPÖ dies versucht, werden nicht ausreichend sein.

Die Perspektiven werden bestimmt sein von der Vorbereitung auf die kommenden Nationalratswahlen. Die Frage der Zusammenstellung der Wahllisten der SPÖ und der Ausarbeitung des Wahlprogramms wird mittelfristig eine zentrale Auseinandersetzung in der Arbeiterbewegung sein. Babler meinte bei der FSG-Konferenz: „Wir brauchen mehr ArbeiterInnen im Parlament“, was die GewerkschafterInnen ermutigen wird. Die Parteilinke wird versuchen ihren gesteigerten Einfluss auch auf diesem Feld zu konsolidieren. MarxistInnen werden in diesen Debatten die Linke kritisch unterstützen und für ein sozialistisches Programm argumentieren.

Die soziale Krise rund um das Thema Teuerung wird spätestens im Herbst aber auch eine neue Welle von ökonomischen Klassenkämpfen bringen. Die Bürgerlichen haben nach der letztjährigen Lohnrunde bereits angekündigt, dass heuer „moderatere Abschlüsse“ angesagt sind. Gleichzeitig gewinnt die Arbeiterbewegung gerade neues Selbstvertrauen, was sich auch in der Herbstlohnrunde ausdrücken wird. Mit Babler hat die SPÖ erstmals wieder einen Parteivorsitzenden, der gewerkschaftliche Kämpfe aktiv unterstützen wird. Jeder Gewerkschaftskampf wird somit die Position der Linken in der SPÖ festigen und auch die Frage des Charakters der Gewerkschaftsbewegung neu stellen. Die Demokratisierung der Arbeiterbewegung wird in Form der Forderung nach Urabstimmungen auch dort einen stärkeren Widerhall finden.

Gleichzeitig ist in der Gewerkschaftsbewegung aber die Idee fest verankert, dass viele Probleme der Arbeiterschaft nur auf der politischen Ebene zu lösen sind. Die Gewerkschaftsbürokratie sucht den direkten Zugang zum Staatsapparat und hofft über diesen Weg, wieder mehr Einfluss zu bekommen. Aus der Sicht der Betriebsräte wird die Frage, wie man die SPÖ bei den nächsten Wahlen möglichst stärken kann, von zentraler Bedeutung sein.

Die drohende Gefahr eines FPÖ-Kanzlers Kickl wird aber auch neue Schichten der Jugend mobilisieren. Für viele, die bis jetzt die SPÖ als Teil des Problems gesehen haben, werden sich überlegen, sie zu unterstützen, um einen politischen Rechtsruck und eine „Orbanisierung“ zu verhindern. Das wird zusätzlicher Rückenwind für die Babler-SPÖ sein und den Linksruck der Sozialdemokratie festigen.

Die kommende Periode bis zur Nationalratswahl wird von einer starken politischen Polarisierung gekennzeichnet sein. Für die Bürgerlichen ist die Babler-SPÖ eine grauenvolle Vorstellung. Sie fürchten, ihr B-Team für künftige Regierungsbildungen zu verlieren. Babler ist natürlich nicht die Ausgeburt des „Kommunismus“, wie das Kickl und die ÖVP-Strategen jetzt darstellen wollen. Aber schon seine moderaten Sozialreformpläne, seine Vorschläge zur Demokratisierung der Sozialdemokratie, seine Ansagen, welche Koalitionsbedingungen er stellen wird, reichen aus, um die Bürgerlichen aufzuscheuchen. Die bürgerlichen Medien werden keine Chance auslassen, Babler zu attackieren. Jeder kleine Fehler wird ausgeschlachtet werden. Es ist die Aufgabe der gesamten Arbeiterbewegung, diese ideologische Schlacht mit voller Kraft gegen die Bürgerlichen zu führen.

Marxismus und SPÖ

Der moderne linke Reformismus, wie ihn Babler verkörpert, ist ideologisch wenig gefestigt, hat keine klare theoretische Grundlage. Die Jahrzehnte des Rückschritts in der Arbeiterbewegung haben natürlich auch bei der sozialdemokratischen Linken tiefe Spuren hinterlassen. Die Art und Weise, wie Babler sein Marxismus-Verständnis beschreibt („Sehbehelf“) spricht Bände, genauso die Art und Weise, wie er unter dem medialen Druck dann zurückgerudert ist. Wo dies in der konkreten Praxis sehr deutlich wird, ist seine Positionierung zur EU und zum Ukrainekrieg, wo er sich von vornherein dem Druck der Liberalen gebeugt und seine einstigen Positionen aufgegeben hat. Mangels einer gefestigten theoretischen Grundlage wird Babler nicht selten zu lavieren beginnen, wenn sowohl von den Bürgerlichen aber früher oder später auch parteiintern von Teilen des Apparats Gegenwind kommt. Je näher es zu den Wahlen gehen wird, je näher die SPÖ einer Regierungsbeteiligung kommt, desto gemäßigter und kompromissbereiter wird die neue SPÖ-Führung werden. Auch wenn derzeit durchaus auch Klassenwidersprüche zum Thema gemacht werden, die SPÖ stellt auch unter Babler das kapitalistische System nicht in Frage. Sollte sie an die Regierung kommen, wird sie daher gezwungen sein, auf der Grundlage der kapitalistischen Gesetze zu handeln, womit ihr Scheitern vorprogrammiert ist.

Der Ausgang der Klassenkämpfe, die in der kommenden Periode bevorstehen, wird nicht zuletzt dadurch entschieden, ob es gelingt, in der Arbeiterbewegung eine starke marxistische Strömung zu etablieren. Der Marxismus lieferte einst die Methoden, die die Sozialdemokratie befähigten, zur Massenbewegung aufzusteigen. In der jüngeren Vergangenheit schien in der SPÖ für den Marxismus kein Platz mehr zu sein. Die Partei war fest in der Hand des Parteiapparats, der nur ein Ziel hatte: parteiinterne Ruhe und Ordnung, um ungestört eine Politik der Klassenzusammenarbeit betreiben zu können.

Durch die Kampagne rund um Babler ist jetzt wieder viel in Bewegung geraten. Seit Wochen wird wieder in der Öffentlichkeit über die soziale Frage und sogar über Marxismus diskutiert. Die marxistische Strömung in der Arbeiterbewegung wird anhand der konkreten Fragen des österreichischen Klassenkampfs zeigen, wie die Ideen des Marxismus dazu beitragen können, die Arbeiterbewegung wieder zu stärken und wie wir im ökonomischen, politischen und ideologischen Klassenkampf wieder bestehen und siegen können. Von großer Bedeutung wird die Frage sein, mit welchen Methoden die SPÖ und die Gewerkschaften für soziale Reformen wie die 32-Stunden-Woche kämpfen werden. Eine solche Forderung auf dem Weg sozialpartnerschaftlicher Verhandlungen durchsetzen zu wollen, kann nur scheitern. Das mag in dem einen oder anderen Betrieb zum Ziel führen, aber eine generelle Durchsetzung einer radikalen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich wird mit Massenmobilisierungen erkämpft werden müssen.

Viele setzen alle Hoffnungen auf eine SPÖ-geführte Regierung unter einem Kanzler Babler. Babler trat anfangs mit der Idee einer rot-grün-pinken Koalition an. Wir können uns sicher sein, dass keine der im Nationalrat vertretenen bürgerlichen Parteien seinem Programm zustimmen wird. Das eine oder andere „Leuchtturmprojekt“ (zum Beispiel ein warmes Essen für jedes Kind) wäre natürlich umsetzbar, aber umgehend würde unter Beibehaltung der vorherrschenden Spardiktate woanders gekürzt werden. Es ist umso positiver, dass Babler mittlerweile auf zukünftige Koalitionsfragen einfach antwortet, es gehe darum, die SPÖ möglichst stark zu machen. Die SPÖ muss der Arbeiterklasse verpflichtet sein und sonst niemandem. Die MarxistInnen werden darauf pochen, dass jede Koalition mit einer bürgerlichen Partei eine Sackgasse bedeuten würde. Die Koalitionsfrage wird jedenfalls eine Gretchenfrage für die Bewegung rund um Babler werden.

Notwendigkeit eines sozialistischen Programms

Die Arbeiterbewegung steht aktuell vor gewaltigen Herausforderungen. Wir leben in einer Welt der „multiplen Krisen“, die letztlich allesamt auf die Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zurückzuführen sind. Was die Arbeiterbewegung heute braucht, ist eine klare Perspektive über den Charakter dieser Krise(n), die einher gehen mit einer Krise der bürgerlichen Demokratie und allerlei Instabilität. Uns muss bewusst sein, dass jederzeit eine Bankenkrise, eine Rezession oder eine tiefe politische Krise möglich ist. Der Ukrainekrieg in unserer unmittelbaren Nachbarschaft befeuert diese Instabilität ständig.

Das gemäßigte Programm von Andreas Babler mag zwar in Relation zu dem, was wir in der politischen Arena gewöhnt sind, als ein Schritt nach vorne erscheinen. Aber dieses Programm hat keine Antworten parat auf die Herausforderungen einer neuerlichen Zuspitzung der Krise und wie die künftigen Klassenkämpfe zu führen sind. In diesem komplexen Umfeld eines Krisenkapitalismus ist der linke Reformismus zwangsläufig ein instabiles Phänomen. Die internationalen Erfahrungen von Syriza, Corbyn, Podemos u.a. zeigen das mehr als deutlich.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns wichtige Fragen stellen und uns politisch vorbereiten: Wie soll sich die Arbeiterbewegung verhalten, wenn eine Großbank pleite geht? Was tun, wenn es in der Industrie zu massivem Stellenabbau und Standortschließungen wie einst bei der Semperit kommt? Was tun, wenn sich irgendwo in der EU die Griechenland-Krise, vielleicht sogar auf höherem Niveau, wiederholen sollte?

Der Kapitalismus geht mit solchen Krisen aber schwanger. Und die Arbeiterbewegung ist gut beraten, sich auf solche Szenarien vorzubereiten. Rettet man dann einmal mehr die Banken und Konzerne oder ist man dann bereit die Interessen der Bevölkerung über die Profitinteressen zu stellen?

Die MarxistInnen haben als strategisches Ziel die Ersetzung des bürgerlichen Staats durch einen Arbeiterstaat und die Enteignung der von der Bourgeoisie privat besessenen Produktionsmittel (materiell in Form von Fabriken, Büros, Maschinen, technischen Anlagen und immateriell in Form von Eigentum an Patenten auf Impfstoffe, KI-Algorithmen, Daten). Wir streben den Sozialismus an, doch das setzt voraus, dass die Illusionen in die Reformierbarkeit von Kapitalismus und Staatsapparat durch den Willen zur Machteroberung in der Mehrheit des politisch aktiven Teils der Arbeiterklasse ersetzt werden.

Eine kleine, wenn auch zunehmende Minderheit vor allem der Jugend teilt diese Ansichten. Doch die überwiegende Mehrheit der Arbeiterbewegung hofft noch auf eine Reformierbarkeit des Systems. Sie wird in der kommenden Periode durch die Schule des linken Reformismus gehen und lehrreiche Erfahrungen machen.

Die MarxistInnen werden in der kommenden Periode die Debatte über Perspektiven und die Notwendigkeit eines sozialistischen Programms, das die Enteignung der Kapitalisten und die Überführung der Produktionsmittel in öffentliches Eigentum sowie die Notwendigkeit einer demokratisch geplanten Wirtschaftsordnung in den Mittelpunkt stellt, vorantreiben.

Gleichzeitig werden die MarxistInnen den organisierten Kern einer revolutionären Arbeiterbewegung aufbauen, der imstande ist, dem Kapitalismus ein Ende zu setzen. Für Sozialismus zu unseren Lebzeiten!


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Titelbild: Ekrem Canli, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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