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Innsbrucker Hürdenlauf

Eine Vier-Prozent-Hürde soll die Zersplitterung des Gemeinderats in der Tiroler Landeshauptstadt verhindern, in Wahrheit kommt diese  allerdings von Streitigkeiten und Spaltungen in den Parteien

Ein Blick hinter die Kulissen von Josef Stingl

Bei der jüngsten Innsbrucker Gemeinderatssitzung wurde das Verlangen nach einer Vier-Prozent-Hürde bei den Gemeinderatswahlen beschlossen. Begründet wird dies als Mittel gegen die Zersplitterung des Gemeinderates. Das Land Tirol muss jetzt entscheiden, ob (abgesehen von Wien, wo der Gemeinderat aber gleichzeitig auch Landtag ist) Innsbruck österreichweit die erste Gemeinderatswahlordnung mit einer Prozenthürde bekommt. ÖVP-Landeshauptmann Toni Mattle und sein SPÖ-Vize Georg Dornauer haben allerdings schon Wohlwollen angekündigt.

Ist die Zersplitterung des Gemeinderates aber tatsächlich ein Problem? Unbestritten ist, dass es in Innsbruck relativ viele Wahlwerber:innen gibt – allerdings auch deshalb, weil alleine die ÖVP mit drei Listen (ÖVP, Für Innsbruck [FI] und Seniorenbund) im Gemeinderat vertreten ist. Seit der Spaltung (dazu aber später im Artikel) gibt es zwei grüne Listen, eine ebenfalls in zwei Lager gespaltene SPÖ-Liste, die FPÖ, die NEOS und die “Einmann-Listen” der Liste Fritz, des geRECHTEN Innsbruckers Gerald Depaoli und der Alternativen Liste Innsbruck (ALi).

Im Stadtsenat sind ebenfalls fünf Listen vertreten. Es war für den grünen Bürgermeister Georg Willi daher nicht einfach eine Koalitionsmehrheit zu schnüren. Mit der FPÖ wollte er nicht und für eine Zweier- oder Dreier-Koalition reichte es nicht. Daran hätte aber auch eine Vier-Prozent-Hürde bei der Wahl nichts verändert. Blieb nur eine Arbeitsgemeinschaft mit SPÖ, FI und der ÖVP (die wiederum mit dem Seniorenbund gekoppelt hat).

Spaltpilz Patscherkofel

Bereits ein Jahr später trudelte dieses Modell in die Krise. Die “Patscherkofelbahn-Bauabrechnung” bescherte der ehemaligen Bürgermeisterin und damals aktuellen Vize-Bürgermeisterin Christine Oppitz-Pörer (FI) die Abwahl. Denn die Grünen stimmten ebenfalls gegen die Frontfrau ihres Koalitionspartners. Ein Riss in der Koalition der nicht mehr zu Kitten war. Seither gab es keine Gemeinderatssitzung ohne Streit und Hader.

Da der Bürgermeister durch seine Direktwahl unantastbar war, schossen sich der geRECHTE, die Rechtsbürgerlichen und die Rechtspopulisten auf die grüne “Urgesteinin” und Verkehrsstadträtin Uschi Schwarzl ein. Insgesamt dreimal musste sie sich bereits einer Abwahl-Abstimmung stellen. Und jedesmal wurde sie trotz satter Koalitionsmehrheit nur knapp abgewendet.

Im Schatten dieser Schlammschlachten verbündete sich dann der bürgerliche Teil der „Willis-Vierer-Bande” mit der FPÖ. Und der grüne Bürgermeister bekam unter Mithilfe seiner rechtskonservativen “Koalitions-Freund:innen einen FPÖler als ersten Vize-Bürgermeister vor den Latz geknallt. Daraufhin beendete Georg Willi das Arbeitsübereinkommen und rief das “freie Spiel der Kräfte” aus.

Nur, statt Mehrheiten zu suchen, verlief er sich immer öfter in unverständliche Alleingänge. Das führte dazu, dass selbst drei seiner Mitkämpfer:innen das grüne Boot verließen und einen neuen Klub gründeten. Auch sie unterstützen jetzt meist die “neue rechtskonservativ-populistische Gemeinderatsmehrheit”. Zugunsten der Eigenprofilierung wird prinzipiell gegen Alles und Jedes von Grün gestimmt, nur in einem sind sich Grüne, SPÖ und der bürgerliche Block einig: Die eigenen Pfründe zu sichern und daher keine Neuwahlen anzustreben.

Nächster Akt dieses unrühmlichen Spiels

Bei der vorletzten Gemeinderatssitzung initiierten SPÖ-Klubchef Helmut Buchacher und seine Vize Irene Heisz einen Eklat gegen die stellvertretende Klubvorsitzende der Grünen Janine Bex. Sie wetterten gegen die Jungmutter, weil sie mit ihrem Kleinkind an der Sitzung teilnahm, es stillte und gleichzeitig ein alkoholfreies Bier konsumierte.

Der Lynchjustiz im Keinsten abgeneigt unterstützen der geRECHTE und die rechtskonservative Mehrheit das sexistische Gemetzel, das so schlimm war, dass es den zwei restlichen Sozialdemokrat:innen und den NEOS geschockt die Rede verschlug. Nur die Grünen und ALi kamen der weinenden Gemeinderatskollegin sofort unterstützend zu Hilfe. (Anmerkung am Rande: Einen Journalisten des Stadtblattes, der darüber kritisch berichtete, kostete dies den Arbeitsplatz. Fünf Gemeinderatslisten haben gegen ihn interveniert, und dem “Moser-Käsblattl” waren ein paar Inserate wichtiger als ihr Mitarbeiter.)

Auch für die SPÖ-Liste hatte die Buchacher-Heisz-Entgleisung schlimme Folgen. Ihr Doskozil liebender Klubobmann verunglimpfte via Facebook den neuen SPÖ-Chef aus Traiskirchen und gab dabei gleichzeitig seinen Parteiaustritt bekannt. Seine Vize und die beiden anderen Klubmitglieder konnten sich auf keinen Vorsitz einigen und der Klub wurde daher aufgelöst. Jetzt streiten sich Buchacher/Heisz und Mayr/Plach wem die finanziellen Mittel aus der Gemeinderatstätigkeit zustehen.

Was hat das alles mit einer Vier-Prozent-Hürde zu tun? Eigentlich gar nichts, denn es gibt keine Zersplitterung des Gemeinderats, sondern einen Zerstritt des Stadtsenates! Aber gerade bei Kommunalwahlen ist ein niederschwelliges Selbstvertretungsrecht der Bürger:innen sinnvoll und notwendig. Mit den Unterstützungsunterschriften und dem Verlangen nach mindestens fünf Kandidat:innen sind die Hürden in
Innsbruck ohnehin schon weit höher als im restlichen Bundesgebiet.

Mit der Vier-Prozent-Hürde wird das noch verschärft. “Es schafft nur ein demokratiepolitisches Defizit”, so ALi-Gemeinderat Mesut Onay richtigerweise bei der Gemeinderatssitzung.

Foto/Titelbild: Panorama Innsbruck vom Rathaus Turm (Bild in zwei Teile geteilt; Lizenz: CC BY-SA 3.0)

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