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Was wichtiger ist als eine dritte Toilette

Żaklin Nastić zeigt in ihrem Buch auf, was die Linke braucht, um wieder eine ernstzunehmende politische Kraft zu werden

“Sonntag ist Büchertag” – von A.P. Pittler

Żaklin Nastić: „Aus die Maus. Der Blick von unten auf die da oben“ (Das Neue Berlin)

Żaklin Nastić, die seit sechs Jahren für die Linke im deutschen Bundestag sitzt, kann auf eine bewegte Lebensgeschichte zurückblicken. Als Kind polnischer Einwanderer – die nicht aus politischen, sondern aus ökonomischen Motiven dem realen Sozialismus den Rücken kehrten – wuchs sie am Rande der westdeutschen Gesellschaft auf und entwickelte so früh ein untrügliches Gespür für die Ungerechtigkeiten der „freiheitlichen Grundordnung“ des Westens. Ihre persönlichen Erfahrungen gingen einher mit einem verstärkten Interesse für aktives Engagement – wobei ihre Ehe mit einem Serben oder die schwere Behinderung eines ihrer Kinder eine zusätzliche Motivation dargestellt haben dürften, gegen die herrschenden Verhältnisse anzugehen.

Nach ersten Aktivitäten in der Hamburger Lokalpolitik wurde Nastić ab 2017 das Gesicht der Linken in Fragen der Außen-, der Entwicklungs- und der Menschenrechtspolitik. Und sie erlebte den erst schleichenden und dann immer dramatischeren Niedergang einer Partei, die einst die Hoffnungen der Unterdrückten, Ausgebeuteten und Entrechteten erweckt hatte. Ihr Buch nun ist ein überaus kluger, empathischer und engagierter Blick auf die gegenwärtige Lage unseres Planeten und zudem ein Fingerzeig, was innerhalb der Linken anders werden muss, um politisch wieder wahrgenommen werden zu können.

1999 und die Folgen

Im ersten Teil ihres Buches setzt sich Nastić mit dem Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik auseinander. Bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts herrschte in der damaligen BRD weitgehend Konsens darüber, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe. Willy Brandts Entspannungspolitik setzte sogar neue Wegmarken auf diesem Feld und etablierte die BRD als ein Land, das ernsthaft um die Wahrung des Friedens bemüht war. Umso tragischer, dass ausgerechnet eine SPD-geführte Regierung 1999 diesen Konsens aufkündigte und sich an der völkerrechtswidrigen Bombardierung Jugoslawiens beteiligte. Und es ist überaus wichtig, dass Nastić diesen – ersten – Sündenfall Deutschlands in Erinnerung ruft, denn damit zeigt sie auf, dass die aktuelle Kriegstreiberei der deutschen Regierung nicht aus dem Nichts kommt. Damals wie heute war es übrigens ein Mitglied der Grünen als Außenminister(in), das die Kriegshysterie mit plumpester Propaganda anheizte. Schwadroniert eine Baerbock heute davon, dass die Ukraine Europa davor bewahrt, dass „der Russe“ erst am Atlantik Halt macht, so verstieg sich ihr Parteifreund Joschka Fischer 1999 dazu, Serbien ein neues Auschwitz anzudichten. In beiden Fällen gelang es der US-dominierten Kriegsindustrie, ausgerechnet die als „Friedenspartei“ apostrophierten Grünen für ihre Ziele zu instrumentalisieren.

Nastić erinnert aber auch an das Budapester Memorandum von 1994, in dem die NATO einmal mehr vorgab, keine strategischen Interessen gegen Russland zu haben. Selbst der „Liebling des Westens“ Boris Jelzin hatte damals nämlich erkannt, dass der Westen, des Kalten Krieges verlustig gegangen, eben diesen offensiv wieder herbeisehnte, um sich endgültig zum alleinigen Beherrscher des Planeten aufschwingen zu können.

Man kommt nicht umhin, sich bei der Vorgeschichte des aktuellen Ukraine-Konflikts an den Wilden Westen erinnert zu fühlen. Ein ums andere Mal schloss der Westen wie einst die Blauröcke mit den Indianern Verträge und ein ums andere Mal brach er sie, wobei er damals wie heute wohl nie vorhatte, diese überhaupt jemals einzuhalten. War Gorbatschow noch 1990 versprochen worden, die NATO nicht über das Gebiet der damals noch existierenden DDR auszudehnen, so blieben nach einer allfälligen Inkorporation der Ukraine in die NATO nur noch Belarus und Moldawien außerhalb des US-amerikanischen Militärbündnisses. Dabei hält Nastić unmissverständlich fest, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine völkerrechtswidrig war, doch versteht man die Dinge besser, wenn man auch ihre Vorgeschichte kennt und in Betracht zieht. Der Westen, der sich gern als „Hüter demokratischer Werte“ sieht, er hat nicht weniger oft das Völkerrecht missachtet und gebrochen als es Russland tat.

Als Abgeordnete hat Nastić natürlich einen besonderen Einblick in die Vorgänge, und sie legt ihre Erkenntnisse in ihrem Buch fundiert und quellenbasiert offen. So weist sie etwa auf die enormen Kursgewinne hin, die deutsche Zulieferer für die Kriegsindustrie seit Frühjahr 2022 einfuhren, sie zeigt aber auch auf, dass die ukrainische Seite ebenso Kriegsverbrechen begeht wie die russische, sodass der Westen eindeutig mit zweierlei Maß mißt, wenn er einerseits die Vergehen der Russen unermüdlich anprangert, jene der Ukraine aber permanent geflissentlich übersieht. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei ein ukrainisches „Widerstandszentrum“ – penibel von Nastić durch die Offenlegung der ukrainischen Primärquellen dokumentiert -, das dazu auffordert, „Kollaborateure und Handlanger der russischen Besatzer“ gezielt zu töten. Dieser Kampagne fielen – stolz von den Ukrainern verkündet – u.a. Ärzte, die Russen behandelten, Lehrer, die die russische Sprache unterrichteten, und Journalisten, die sich nicht an die Kiewer Vorgaben hielten, zum Opfer. Dieses jeglichem Kriegsrecht widersprechendes Vorgehen wird umso widerlicher, wenn man, wie wir bei Nastić erfahren, weiß, dass besagtes Widerstandszentrum von Institutionen betrieben wird, die von der deutschen Bundesregierung Subventionen bekommen. Darüber hinaus wirft Nastić die Frage auf, ob die Bundesregierung wirklich weiß, welche Ukrainer sie an den deutschen Waffen ausbilden – und hegt dabei die Befürchtung, dass es Baerbock, Habeck & Co. rechtschaffen gleichgültig ist, wenn es sich bei diesen Trainees um Antisemiten und Neonazis handelt, solange sie nur das Geschäft Washingtons betreiben.

Quo Vadis, Linke

Der vielleicht spannendste Abschnitt ihres Buches behandelt den Zustand der Linken und ihre Perspektiven. Sie erinnert an die euphorischen Anfänge nach der Vereinigung von PDS und WASG, an die erfolgreichen Wahlkämpfe zu Zeiten von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, und sie beklagt zu Recht den Niedergang der Partei in den letzten Jahren. Unter Berufung auf ehemalige Linkspolitiker wie Hans Modrow oder Michael Brie unterstreicht sie die Tatsache, dass die Linke verlernt hat, für das Proletariat zu brennen und zu rennen. Dabei, so ruft Nastić uns ins Gedächtnis, sind immer noch 80 Prozent der Bevölkerung lohnabhängig, egal, welches Mascherl dieses Gehalt konkret hat. Und es sind exakt diese 80 Prozent, gegen die sich seit Jahr und Tag die neoliberale Politik von Schwarz, Gelb, Grün und Blaßrot richtet. Genau hier läge die zentrale Aufgabe der Linken. „Doch statt sich mit vereinten Kräften gegen die asoziale Politik der Regierungsparteien zu stellen und um andere Mehrheiten in der Gesellschaft zu kämpfen, statt unser Profil als Antikriegs- und Menschenrechtspartei zu schärfen, ziehen es einige vor, sich dem politischen Mainstream anzupassen.“

Die aktuelle Politik der Linken weise tragische Züge auf, hält Nastić fest: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist für die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter wichtiger und grundsätzlicher als die Einrichtung von (mindestens) drei verschiedenen Toiletten. Soziale Sicherheit für alle trägt mehr zur Stiftung von Identität und Teilhabe als ein breiterer Fahrradweg oder Parkplätze für Frauen. Nichts gegen Parkplätze für Frauen, breite Radwege und Work-Life-Balance. Das sind aber nicht die Probleme der auf dem Lande oder an den Rändern der Großstädte lebenden Menschen, der Migranten und der älteren Generationen. Und wenn sich die Linke nicht um die Lösung dieser Probleme kümmert, dann tun dies eben andere.“ Tatsächlich hat die Linke ihren Status als Vertreterin ostdeutscher Interessen verloren. In Thüringen, wo sie mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt, hält sie bei 20 Prozent, im Rest der ehemaligen DDR bei durchschnittlich 10 Prozent, während die AfD in ganz Ostdeutschland auf Zustimmungswerte um die 30 Prozent kommt.

Was Wunder, wenn die Spitze der Linkspartei bei einem Latte Macchiato über das Gendern philosophiert oder blauäugig etwas von „Bekämpfung der Fluchtursachen“ schwadroniert, während man gleichzeitig ängstlich darum bemüht ist, nicht mit der Friedensbewegung in Verbindung gebracht zu werden, weil man nicht als „Putin-Versteher“ abgestempelt werden will. So ist das Ende der Partei quasi vorgezeichnet.

Nastić rät ihrer Partei, mit dem Katzbuckeln vor dem Kapital und seinen Sykophanten aufzuhören. Was die Linke brauche, sei mehr Souveränität und weniger Servilität. Souveränität gründe sich auf Selbstsicherheit. Und diese gelte es wieder zu erlangen. Sonst werde man unweigerlich auf dem Misthaufen der Geschichte landen – wie so viele andere Bewegungen zuvor, die es nicht verstanden, Politik mit den Massen für die Massen zu machen.

Żaklin Nastić: Aus die Maus.
Der Blick von unten auf die da oben.
Verlag Das neue Berlin,
Berlin 2023,
191 Seiten, 16 Euro


Titelbild: Żaklin Nastić (fb)/Verlag Das neue Berlin

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