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Bahnhof der Schmetterlinge: „Präzedenzfall für die Schweiz?“

Insekten, Reptilien und Pflanzen gegen Schiffe, Lastwagen und Güterzüge. Daniel Ballmer und Martin Schilt erzählen im Film «Bahnhof der Schmetterlinge» die Geschichte des stillgelegten Rangierbahnhofs in Basel und wie dieser in Zukunft kommerziell genutzt werden soll. Im Interview schildern sie uns die Konflikte, die damit einhergehen, und ordnen diese in einen nationalen Kontext ein.

Interview: Urs Heinz Aerni

Filmplakat von „Bahnhof der Schmetterlinge“

Urs Heinz Aerni: Ein offiziell geschützter Fleck Natur in Basel soll für eine Großprojekt mit dem Ziel die Güter vom Schiff auf die Schiene zu bringen geopfert werden. Sie widmen einen Film diesem Thema. Wie kam es dazu?

Daniel Ballmer: Wir arbeiten schon länger am Filmprojekt «Die Hüter des Mikrokosmos» über Insekten und das Insektensterben. Während der Recherchen zu diesem Film saßen wir mit mehreren großen Naturschutzorganisationen zusammen, und dort kam mehrmals dieser stillgelegte Bahnhof zur Sprache, der für so viele wärmeliebende Pflanzen und Insekten nicht nur ein wichtiger Lebensraum ist, sondern oft auch ihr Eingangstor in die Schweiz.

Aerni: Und verlockte Sie, diese Angelegenheit vor die Kamera zu nehmen?

Ballmer: Einerseits reizte uns die Dynamik der Geschichte, die Rückeroberung eines großen Industriegebiets, die Ausbreitung von Arten mit dem Klimawandel. Andererseits waren wir überrascht, dass selbst ein so großes und bedeutendes Naturschutzgebiet heute noch zur Debatte steht.

Aerni: Seit Jahren werden Fragen diskutiert zur Zukunft dieses stillgelegten Güterbanhhofs zwischen Basel und Weil am Rhein…

Martin Schilt: Richtig und überraschend war es auch, zu sehen, wie schlecht es an diesem Verkehrsknotenpunkt um die Verlagerung der Güter von der Schiene auf die Straße steht: Nur gerade 10 Prozent der Güter, die über den Rhein in Containern in die Schweiz kommen, werden auf der Schiene weitertransportiert. Das gilt auch für Fahrradrahmen und ökologisch und nachhaltig produzierte Mode.

Aerni: Diese Geschichte betrifft zwar Basel, aber stellt grundsätzliche Fragen an das ganze Land, was Lebensräume betrifft.

Ballmer: Das ist uns wichtig, denn das Seilziehen um das Gateway Basel Nord ist einerseits ein Präzedenzfall für den Schutz der Lebensräume von nationaler Bedeutung. Unter welchen Bedingungen ein so großer Lebensraum zerstört werden darf und welche Standards die Ersatzflächen erfüllen müssen, ist in der Rechtsprechung noch nicht klar definiert. Dieser Fall entscheidet maßgeblich darüber mit, ob die zweithöchste nationale Schutzstufe für Lebensräume wirklich griffig ist oder eher ein Papiertiger.

Aerni: Und andererseits?

Ballmer: Andererseits setzt der Fall Gateway Basel Nord auch Standards für die Energiewende.

Schilt: Ein Interessenskonflikt ist dramaturgisch natürlich immer spannend. Für den neuen Hafen in Basel haben sich ja auch linke und grüne Exponenten in der Politik eingesetzt oder die Alpenintivative. Und auf der Seite der Gegner des neuen Hafens waren auch Transportunternehmer und die bürgerliche Politik. Für uns war klar: der Film soll das Publikum in diese anspruchsvolle Entscheidungsfindung einbeziehen.

Aerni: Und gelungen?

Ballmer: Der Film wird diese wichtige Debatte über Basel hinaus in Gang setzen.

Schilt: Der Versuch, den Bewohnerinnen und Bewohner des Areals, also zum Beispiel dem Tagfalter Alexis-Bläuling oder der Spargelsandbiene, im Film eine Stimme zu geben, war zentral. Sie kamen in der Kontroverse bis jetzt noch nicht wirklich zu Wort.

 

Aerni: Und beeindruckend auch ins Bild. Nun, wie dürfen wir uns die Recherchearbeit rund um das Projekt Gateway Basel Nord vorstellen?

Ballmer: Sie war eine ziemliche Herausforderung, auch wenn alle Beteiligten sehr offen und zugänglich waren. Befürworterinnen und Gegner des Projekts arbeiten in vielen Punkten mit ihren eigenen Zahlen und widersprachen einander in sehr grundsätzlichen Punkten. Wir mussten uns erst einen Überblick verschaffen, sowohl über die Güterverkehrsströme als auch über das Netzwerk der natürlichen Lebensräume rund um Basel. Als Ökologe fiel mir die Lebensraum-Seite natürlich leichter. Zum Glück hatte ich unabhängige Verkehrsfachleute in meinem Umfeld, die mir zum anderen Teil der Recherche stets Fragen beantworten konnten.

Aerni: Mit welchen Hürden sahen Sie sich bei der Produktion des Filmes konfrontiert?

Ballmer: Wir sind im Nachhinein froh, dass wir ihn erst eine Saison später drehen konnten als ursprünglich vorgesehen. 2021 war ein schlechtes Insektenjahr. Den Alexis-Bläuling und die Gottesanbeterin konnten wir kein einziges Mal beobachten. 2022 waren dann beide Arten wieder lang aktiv und leicht zu finden….

Aerni: … ein warmer und trockener Sommer…

Balmer: Genau, aber eine andere Hoffnung hat sich aber nicht erfüllt: Wir hätten sehr gerne den Entscheid des Bundesamts für Verkehr und die Reaktionen darauf im Film gehabt. Dieser Entscheid lässt nach wie vor auf sich warten.

Aerni: Ihr Film kontrastiert bildstark die beiden Gegenwelten zwischen Insekten, Vögel und Pflanzen und einer logistischen Technik im Hafen, die schon mit schon fast poetischer Anmutung.

Ballmer: Das ist nur eine Art, den Film wahrzunehmen. Andere sehen in den Naturbildern ein karges, unordentliches Ödland und in den Containerbildern eine beruhigende Ordnung. Genau das hat uns an diesen Visualitäten interessiert: Je nach Natur- und Kulturverständnis haben diese Bilder eine sehr unterschiedliche Wirkung auf ihr Publikum.

Schilt: Dass sich hier zwei Wegkreuze in die Quere kommen, ein Gateway für die Güter der Menschen und ein Gateway für die Natur, schafft an diesem Ort einen Konflikt, den wir auf jeden Fall auch visuell in Szene setzen wollten.

Aerni: Der Klimaschutz gerät mit dem Artenschutz in Konflikt, das dokumentiert der Film im Beispiel mit diesem Projekt in Basel. Aber was macht Gateway Basel besonders?

Ballmer: Dass ein grosses Bauprojekt dem Naturschutz im Weg steht, ist eine altbekannte Geschichte. Neu ist, dass dieses Bauprojekt mit klimapolitischen Argumenten beworben wird, und dann auch noch mit guten. Das Gateway Basel Nord soll den Güterverkehr stärker auf die Schiene verlagern und damit CO2 einsparen. Ähnliche Argumente sehen wir derzeit für immer mehr Grossprojekte, insbesondere Solaranlagen und Staumauern.

Aerni: Wie konnte gerade dieses Projekt auf einem Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung möglich werden?

Ballmer: Das ist eine sehr gute Frage. Wäre da kein Lebensraum von nationaler Bedeutung, sondern eine Fabrik oder ein Wohnquartier, hätte sich die SBB Cargo wohl gesagt: «Das wird schon genutzt und bewohnt, da können wir nicht bauen.» Dass ein wertvoller Lebensraum auch eine Nutzung ist, dass er auch bewohnt ist, ist in unserem Bewusstsein noch überhaupt nicht angekommen. Erschwerend kommt dazu, dass der alte Badische Rangierbahnhof zwar vom Bund unter Schutz gestellt wurde, aber immer noch der SBB und der Deutschen Bahn gehört. Es ist natürlich schwer vermittelbar für eine Firma, dass man eine Landreserve hat, sie aber nicht mehr nutzen darf.

Aerni: Das Gateway Basel Nord ist eines von mehreren großen Infrastrukturprojekten, bei denen die Argumente für den Klimaschutz besonders betont werden. Was meinen Sie, geschicktes Marketing oder wirtschaftliche Interessen?

Ballmer: Das Projekt und seine Kommunikation seit den frühen Zehnerjahren waren Vorreiter der bürgerlichen Klimapolitik, die wir heute mit der Solar-Offensive sehen. Allein mit den klassischen Wachstums-Argumenten hätte das Containerterminal im linken Basel wenig Chancen gehabt, deshalb wurde viel stärker mit dem Klima und der Verkehrsverlagerung argumentiert.

Aerni: Verstehe ich richtig, die Argumente wurden im Laufe der Projektierung für den Klimaschutz angepasst?

Schilt: Die Planung des Gateways dauert ja schon Jahrzehnte. Bei solchen Prozessen ist es immer interessant, zu sehen, wie sich der Zeitgeist in die Debatte einschleicht. Vor der weltweiten Pandemie predigten die Logistiker die «Just-in-Time-Produktion» Jedes Materiallager war gebundenes Kapital und wurde aufgelöst. Jetzt hört man von den Supply-Chain-Experten plötzlich das Wort Resilienz. Alle Akteure versuchen, mit den besten Argumenten politische Mehrheiten zu finden.

Aerni: Die Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt stimmte relativ knapp für das Gateway Basel Nord.

Schilt: Ja und nun geht es hier jetzt nicht mehr um einen politischen, sondern um einen juristischen Prozess. Da geht es nicht um Stimmenfang. Das Verbandbeschwerderecht ist für die Umweltschutzverbände ein starkes Instrument.

Aerni: Nach dem politischen Prozess folgt als der rechtliche. Inwiefern handelt es sich bei dieser Auseinandersetzung in Basel um einen „Präzedenzfall für die ganze Schweiz“?

Ballmer: Niemand kann verhindern, dass eine Firma ein Großprojekt plant und darauf spekuliert, dass sie trotz allen Hindernissen damit durchkommt. Wenn Pro Natura und der WWF das neue Hafenbecken auf dem  juristischen Weg verhindern können, wird es für andere, ähnlich gelagerte Bauprojekte sicher schwierig werden. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn der Schutzstatus vor Gericht aufgeweicht wird, werden mit Sicherheit noch mehr Naturschutzgebiete überbaut. Denn rein technisch ist es am einfachsten, auf der grünen Wiese zu bauen.

Schilt: Was jetzt bereits abschreckend wirkt, ist die sehr lange Planungszeit. Sei es am Hafen in Basel oder auf der Grimsel. Bis jetzt gab es bis zu einer Baubewilligung keine Abkürzungen. Das möchte das Parlament jetzt im Rahmen der Energiewende ändern.

Aerni: Sie stellen mit diesem Film eine Grundsatzfrage: Wie wollen und sollen wir in Zukunft eine Infrastruktur planen, um solche Konflikte zu vermeiden.

Ballmer: Auf jeden Fall. Eine demokratische Mitsprache von Anfang an wäre wünschenswert. Heute werden Infrastrukturprojekte – mit Ausnahme von Strassen – meist von privaten Firmen geplant. Oder von Betrieben der öffentlichen Hand, die aber sogenannt «unpolitisch» geführt werden. Diese Projekte werden dort geplant, wo es für diese Firmen günstig ist. Und das ist nicht unbedingt dort, wo es für die Gesellschaft am günstigsten wäre. Obwohl die Schweizer Bevölkerung oft eine Mehrheit der Projektkosten trägt, dürfen wir über die Platzierung und Gestaltung solcher Projekte nicht mitbestimmen. Wir kriegen höchstens ganz am Ende der Planung ein Referendum vorgesetzt, mit der Auswahl «Entweder dieses Projekt hier oder die nächsten zehn Jahre lang gar nichts». Wenn wir eine Verkehrs- und Energieinfrastruktur wollen, die der Gesellschaft wirklich dient, müssen Bund und Kantone sie aktiver planen. Beim Strassenbau und den AKWs taten und tun sie das schon, warum nicht auch bei der Güterbahn und erneuerbaren Energien?

Aerni: Wie sehen Sie die Zukunft der Naturschutzgebiete in der Schweiz? Müssen sie noch mehr geschützt werden?

Ballmer: Bund und Kantone arbeiten an einem Projekt namens «ökologische Infrastruktur», mit dem sie ein Netzwerk von verschiedenen Lebensräumen aussuchen, schützen und vervollständigen möchten. Das wäre ein sehr guter Anfang…

Aerni: …aber?

Balmer: …das Projekt kommt bisher allerdings nur im Schneckentempo voran. Und obwohl die UNO kürzlich beschlossen hat, dass jeder Staat 30 Prozent seiner Landesfläche unter einen gewissen Schutz stellen soll, wird unser neues Raumplanungsgesetz kein solches Flächenziel enthalten. Unsere Gesetze reichen bei Weitem nicht aus, um das Sterben der Arten und Lebensräume aufzuhalten. Sie sind in etwa vergleichbar mit der Klimapolitik der
Neunzigerjahre.


Titelbild: Lucky Film GmbH, Zürich

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