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„Einer von den Gewöhnlichen!“

Hanspeter Müller-Drossaart gibt aus Auskunft zu seinem neuen biografisch-fiktiven Theaterabend über seinen Kutscher-Großvater Josef Gottlieb (1868 – 1923).

Interview: Urs Heinz Aerni

Urs Heinz Aerni: Mit großem Erfolg brachten Sie die Romane „Der Trafikant“ von Robert Seethaler und „Bajass“ von Flavio Steimann auf die Theaterbühne. Nun wagten Sie sich an einen Stoff, der mit Ihrer Herkunft zu tun hat. Ab wann wussten Sie, dass sie genug Material für eine literarische Umsetzung haben?

Hanspeter Müller-Drossaart: Eigentlich nie! Da man neben der faktischen Auflistung der Lebensdaten in den Kirchenbüchern und den stammbaumgemäßen Verästelungen seiner Vorahnen über sein Leben und Wirken sehr wenig weiß, musste und wollte ich mich auf ein Zeit-Tableau konzentrieren, um mit dazu erfundenen Figuren den vermutlich eher friedlichen Erfahrungs-Topos meines Großvaters durch das politische Drama des 1. Weltkrieges zu ergänzen.

Aerni: Auch hier verwandeln Sie sich in verschiedensten Figuren und Charakteren und lassen sie um die Hauptfigur kreisen, die Ihr Großvater hätte sein können. Wie dürfen wir uns die Gestaltung dieser Figuren vorstellen?

Müller-Drossaart: Plastisch und konfliktreich! Neben meiner meist in hochdeutsch erzählenden Enkel-Autorenstimme erfand ich den Kutscherkollegen Giorgio Beltrami, der seinem Pferd in farbigem Urner Dialekt rückblickend die Ereignisse berichtet, ein vitaler, gut geerdeter Mann aus dem Volk.

Aerni: Dazu kommt auch ein deutscher Geschäftsmann ins Spiel…

Müller-Drossaart: Richtig. Wichtig war es mir, mit der Figur des euphorischen deutschen Düngemittel-Importeurs Ludwig Krahn – welcher im Verlauf des Stückes im Krieg seinen Sohn an der Front verlieren wird –  der doch eher friedlichen Idylle der Innerschweiz eine konflikt-tragende Person gegenüberzustellen. Das Rollen-Ensemble wird zudem durch weitere kleinere Figuren-Skizzen wie den vatikanischen Monsignore Taglierini, den venezianischen Devotionalienhändler Massimo Speranzin oder Comtesse de Brouillard ergänzt.

Aerni: Gegen Schluss löst eine fachtechnische Analyse im Publikum Heiterkeit aus.

Müller-Drossaart: Vom Lokalhistoriker Leo Riebli wird die Erzählung schlussendlich kritisch beleuchtet und erweitert die Aufführung um eine ironische Dimension.

Aerni: Eine Welthaltigkeit bekommt das Stück nicht nur durch das Aufkommen des Tourismus und der Transportindustrie in der damaligen Zeit, sondern wie Sie die Menschen mit ihren Sehnsüchten, Plänen aber auch Humor auftreten lassen. Erklären Sie damit auch etwas Ihre Liebe an die Bergtäler?

Müller-Drossaart: Gewiss! Diese Liebe, die ich eher als unwählbare aber nicht minder Identitäts stiftende Geworfenheit bezeichnen würde. Sie begleitet mich seit meiner Kindheit. Ich stelle es mir gerne bildhaft vor: Geboren und auf allen Vieren auf dem steinigen Boden hebt man den Blick zum Licht und blickt ins Weite. Beides, die Erdverbundenheit und die Sehnsucht in die Fremde möchte ich nicht missen.

Aerni: Wurden Sie bei der Recherche auch von neuen Fakten überrascht?

Müller-Drossaart: Ja! in unzähligen Details! Die Familie Hess im Hotel Nünalphorn auf dem Flüeli war zum Beispiel wirklich berühmt für ihre großartige Salatsoße!

Aerni: Nun touren Sie mit „ggrell!“, einem Stück durch diverse Seelenleben durchs Land. Worauf sind Sie gespannt?

Müller-Drossaart: Ich bin neugierig, ob diese kleine persönliche „Innerschweizer Weltgeschichte“ auch für mein Stammpublikum in der übrigen deutschsprachigen Schweiz zum bewegenden und unterhaltsamen Theaterabend wird!

Aerni: Sie schreiben nah an den Sprachen der Menschen und umranken die Erzählung mit geschliffenem Bühnendeutsch. Wie würden Sie die Macht der Sprache und ihre Auswirkung auf uns beschreiben?

Müller-Drossaart: Voraussetzend, dass es meiner Ansicht nach nichts Missverständlicheres gibt als unsere verbale Kontakte, ist es doch gleichzeitig die Sprache, die in ihren differenzierten Ausprägungen, ihrem reichen Wortschatz uns die präziseste und verbindlichste Kommunikation ermöglicht. Wobei das Zögern, die Pausen, das Schweigen, das Nicht-gesagte nicht zu unterschätzen sind.


Hanspeter Müller-Drossaart wurde 1955 in Sarnen geboren, lernte Schauspiel und Theaterpädagogik an der Schauspielschule Zürich und trat danach in den Ensembles des Neumarkt Theaters, des Schauspielhaus Zürich und des Wiener Burgtheaters auf. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er durch seine vielen Film- und Fernsehrollen bekannt, beispielsweise in «Die Herbstzeitlosen» oder «Sternenberg». 2015 publizierte er seinen ersten Gedichtband «zittrigi fäkke» in Obwaldner Mundart. 2018 erschien mit «gredi üüfe» eine Lyriksammlung Urner Mundart und aktuell liegt sein Buch „Steile Flügel“ vor mit Gedichten im Dialekt und Deutsch. www.hanspeter-mueller-drossaart.com

Titelbild: hanspeter-mueller-drossaart.com

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