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Ich bekenne mich untüchtig für die Kriegstüchtigkeit

Deutschland, mir graut vor dir: Benjamin Lapp zeigt sich in seinem Kommentar besorgt über aktuellen Entwicklungen hin zur geforderten “Kriegstüchtigkeit”

“Es kommt darauf an, daß in einer Nation viel Geist und tüchtige Bildung im Kurs sei, wenn ein Talent sich schnell und freudig entwickeln soll.” – Johann Wolfgang von Goethe

Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“ – Boris Pistorius, deutscher Verteidigungsminister

Wenn ich mir die Mühe machen würde, jede unsägliche Äußerung der Regierung in Deutschland meiner vollen Aufmerksamkeit zu unterziehen, würden die Schmerzen im Kopf neue unerträgliche Höhen erklimmen. Doch die Aussage „Wir müssen kriegstüchtig werden“ hat sogar auf dieser Negativ-Skala traurige Aufmerksam erzeugt.

Dieser Satz ist ja eingebettet in einen schon vorbereiteten Resonanzraum, in welchen u.a. der Vorsatz, Russland ruinieren zu wollen, einen geistigen Rahmen abgesteckt hat. Ich möchte nochmals in Erinnerung rufen: Diese Aussage beinhaltet ja, dass rund 140 Millionen Russ:innen ruiniert werden sollen. Es schließt alle ein, also vom Kind bis ins hohe Alter. Welches Menschenbild hinter solchen und anderen Aussagen stehen mag und welche Erwartungen daran geknüpft waren und sind, mag jede:r Leser:in für sich selbst entscheiden. Aber die blecherne Marschmusik hin zu mehr Militärausgaben gibt eine Richtung vor, der gefolgt werden soll.

Doch zurück zur Kriegstüchtigkeit.

Wir alle kennen den Begriff der Tüchtigkeit und sie können selbst ausprobieren, in welchem Kontext sie ihn benutzen (eine tüchtige Person, tüchtig, etc…). Doch was ist kriegstüchtig? Diese Frage ist ja nicht unwichtig, wenn es uns doch alle scheinbar angeht, denn – Geschichte droht sich in einer Farce zu wiederholen – werden in diesem Zusammenhang ja offenkundig keine Klassen mehr gekannt! Angelehnt an einen Filmtitel über den Wiener Major Kottan aus den frühen 1980ern: „Dem Tüchtigen gehört die Welt“, stellte ich mir beim ersten Hören dieses Wortes die bange Frage: Soll bald dem Kriegstüchtigen die Welt gehören? Der angesprochene Film war eine fiktionale Krimiparodie, doch die Mächtigen meinen es offenkundig sehr ernst mit ihren Aussagen.

Ich formuliere es mal anders: Wir sollen uns ja auf diesen Weg begeben, also eine Ertüchtigung durchführen, hin zum Kriege. Mit Clausewitz formuliert, eine Ertüchtigung hin zu jenem Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen. In diesem Falle müsste dies einschließen, dass da wenigstens ein Gegner (bestimmt ein ganz böses Unrechtsregime!) schon bekannt sei. Diese Hinwendung zur Ertüchtigung, selbstverständlich unter der Knute von Befehl und Gehorsam, kann sich ja nicht mit Missklängen von schnöden Diskussionen, um zum Beispiel  soziale Themen oder gar des immer größer werdenden Spalt zwischen wenigen Reichen und sehr vielen Armen ablenken lassen. Solche Fantastereien wären ja auch irgendwie eine Zersetzung des anvisierten Zieles.

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Nicht vergessen: Wir müssen kriegstüchtig werden!

Stellen sie sich mal dieses Szenario vor: Sozialer Unmut, nur weil manche Superreiche immer reicher werden – auch durch Krieg – und im Gegenzug kollabiert das soziale System. So etwas wäre doch mit der Zielsetzung der Kriegstüchtigkeit absolut unvereinbar, also auch jegliche Form von aufkommendem Protest gegen diese soziale Ungerechtigkeit.

Auch Streiks würden dann wirklich die große amorphe Wir-Gemeinschaft stören, aufgrund des Unwillens, das große Ganze zu betrachten. Mensch muss die Letzte Generation und die Aktionen nicht mögen, und der Schreiber dieser Zeilen ist kein Fan, aber sind Wir uns alle ganz sicher, das diese doch recht überzogene Kriminalisierung-Maschinerie, mit ein paar Anpassungen, nicht auch zukünftig gegen sozialen Protest in seiner Vielgestaltigkeit angewendet werden könnte?

Ich weiß ja nicht wie Sie es für sich sehen, liebe Leser:innen, aber ohne innerem Bedauern, halte ich mich nicht für tüchtig genug, diese Ziele des Herrn Pistorius und anderen  zum Erfolg zu geleiten.


Titelbild: Egor Myznik auf Unsplash

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Ein Gedanke zu „Ich bekenne mich untüchtig für die Kriegstüchtigkeit

  • Wichtige Gedanken zu einem widersprüchlichen Strauß unterschiedlicher Gedankenblüten zusammengebunden, nicht immer stringent aber dennoch
    danke für den bewegten Beitrag

    Franjo Schwarzmüller

    Arbeit an der ökologisch sozialen Balance
    3040 Matzelsdorf, Paradiesstraße 6

    Antwort

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