AktuellKultur

„Verabredung mit dem Mond“

Anja Müller legt mit ihrem Autorinnennamen Anja Luna ein neues Buch vor, in dem sie nicht nur viel über sich selber preis gibt, sondern zeigt, wie Lebensbrüche durch Reflektion und Poesie angegangen werden können. – Sonntag ist Büchertag

Urs Heinz Aerni stellte ihr dazu Fragen. 

Buchcover
Anja Luna – Interim (Verrai Verlag)

Urs Heinz Aerni: Tief prägende Erlebnisse in der Zeit als 12-jähriges Mädchen lösten bei Ihnen eine Art neue Reise zur eigenen Persönlichkeit, die Sie mit diesem Buch dokumentieren. Verstehe ich das so richtig?

Anja Müller: Nein, es begann eher direkt nach meiner Geburt. Mit 12 Jahren, der beginnenden Pubertät waren mehr Ressourcen vorhanden, so dass da vielleicht der erste Riss in der „Unsichtbarkeit“ zu verzeichnen ist. Davor gab es mich als ich so gut wie nicht. Ich war mehr eine Rollenerfüllungsmaschine, hatte keine eigenen Gefühle und die einzige Verbindung, die es gab, waren Natur, Schwimmen, Bewegung, Jesus und Geschichten.

Aerni: Es ist ja nicht das erste Buch von Ihnen, das nun hier vorliegt…

Müller: Richtig, meine Reise dokumentiere ich in „Tabula rasa“. Das zweite Buch ist mehr ein Destillat, resultierend aus dem Gedanken, dass wir als Menschen die DNA teilen und die geschilderten Bausteine auch eine Art DNA sind, die in jedem Menschen vorkommen, in seiner ganz eigenen Art, wie auch jeder Fingerabdruck unterschiedlich ist.

Aerni: Die Lektüre vermittelt nicht nur anregende Perspektiven zur Lebensgestaltung, sondern gibt auch viel Einblick in Ihr persönliches Leben. Aber Sie schrieben keine Autobiografie im klassischen Sinne, sondern balancieren in Richtung Ratgeber. Wie sind Sie an das Schreiben herangegangen?

Müller: Es fordert vom Leser wohl Eigenverantwortung und die Fähigkeit, sich zu reflektieren. Ich bin früher viel gereist und natürlich ist es wichtig, einen Reiseführer zu haben, um eine Grundstruktur und Basis für ein Land zu entwickeln. Die eigentliche Reise ist meist anders, wenn man sich vom Leben führen lässt und nicht einfach einen Plan abarbeitet. Wie John Lennon sagte: „Life is, what is happening, while you are busy making other plans“. Aber es beginnt mit der Grundstruktur. So war dieses Buch auch eine Reise, bei der ich mich führen ließ. Der Gedanke, Intimität zu schenken, die dem Leser hilft, seiner eigenen Intimität näher zu kommen.

Aerni: Das Buch ist von Ihnen auch bebildert, oft auf sinnliche Art, und bestückt mit Gedichten. Ein Wechselspiel zwischen Prosa, Lyrik und Bild. Eine Art Dreiklang. Gingen Sie bewusst an dieses Konzept an?

Müller: Nein. Das waren schon immer meine drei Ausdrucksformen. Ich bin ein haptischer Mensch, ich muss Dinge anfassen und es ist viel befriedigender für mich, zu be“greifen“, als zu verstehen. Ihre Frage lässt mich schmunzeln…

 Aerni: Warum?

Aerni: Weil ich dabei an meine „heilige Dreieinigkeit“ denken muss, die gar nicht christlich orientiert ist und mich mein ganzes Leben begleitet hat, sondern lediglich Körper, Herz und Geist meint. Die Bilder würde ich dem Körper zuordnen, die Lyrik dem Herzen und die Prosa dem Geist. Mir hilft es, auf diese Weise in Themen tiefer einzudringen, sie zu erfassen.

Aerni: Sie schreiben zwar, dass wir unsere Reise alleine antreten müssen, da sich auch jede anders sei. Welche Wirkung erhoffen Sie mit diesem Buch zu erreichen?

Müller:  Jeder hat seine eigene Intimität, das bedeutet aber nicht, dass wir auf dieser Reise keine Begleitung haben. Es ist mehr eine Co-Kreation, wie sie sich auch in dem Buch ergeben hat. Ohne Steffi Schaper hätte ich nicht über Schmerz, Schutz und Scham geschrieben und sie ist durch das Buch an eine frühe Missbrauchsgeschichte gekommen, die tief in ihr begraben war. In dem Buch sind immer wieder Texte von ihr eingefügt. Man kann sich mit Intimität gegenseitig befruchten, so dass das Ganze mehr als die Summe seiner Einzelteile ist. Es wäre schön, wenn sich diese Co-Kreation ausweiten würde und vielleicht eine Neuauflage mit weiteren Stimmen entsteht.

Aerni: Die Figur „Mondmädchen“ ist ein roter Faden, deshalb auch das Pseudonym als Autorin „Anja Luna“, nehme ich an. Wie kamen Sie zum Motiv des Mondes?

Müller: Ich hatte ja eine schwierige Kindheit und habe als Kind oft auf dem Dach unseres Hauses gesessen und die Sterne und den Mond angeschaut. Er war mir immer Trost und Zeuge und hat mir die Vision der Veränderung und der Weite gegeben. Ich saß damals auf dem Dach, ich war 9 Jahre alt und dachte, ich werde das überleben, ich werde reisen, es wird nicht immer so bleiben. Der Mond zeigt uns den Spiegel der Veränderung. Gleichzeitig ist er weit weg, so wie in mir damals viele Teile weit weg waren, weil ich sonst nicht überlebt hätte. Ein Teil von mir wusste das damals schon intuitiv. Ich hatte eine Verabredung mit dem Mond. Zuerst bin ich im außen gereist und dann immer tiefer in mir, um auch das Mondmädchen in mir zu beheimaten, das so weit weggegangen war. So ist das Buch letztlich auch zu einer eigenen Reise geworden, bei der ich mir auch nochmal näher gekommen bin, wie ich in dem Kapitel über „das Mondmädchen landet“ schildere. Auf Reisen, ob innen oder außen, geschehen oft magische Dinge.

Aerni: Ihre Kapitel sind konkreten Themen gewidmet wie Angst, Trauer, Geschwister, Sexualität, Intimität, Natur oder Zugehörigkeiten um nur ein paar zu nennen. Waren diese Themenbereiche von Anfang an klar, um diese zu behandeln?

Müller: Nein. Es war klar, dass ich über die Grundgefühle schreiben wollte. Daraus ist dann auf eine organische Weise das andere gewachsen.

Aerni: Kommen wir zum Schluss nochmals zum Malen. Wenn ich ein Gemälde malen würde mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch in den Händen, wie müsste es aussehen?

Müller:  Interessante Frage. Ich weiß nie, was meine Bilder werden, wenn ich anfange, da ist nur ein Ruf in mir, dem ich folge. Da Sie das Bild malen würden, wäre es ja ein Spiegel Ihrer Innenwelt und insofern spannend für mich. Das bringt mich wieder auf den Gedanken einer Neuauflage mit zusätzlichen Inspirationen der Intimität von anderen Menschen, die eben auch aus Bildern bestehen. Es kann alle drei Ebenen beinhalten, aber eben auch nur eine.


 Anja Müller alias Anja Luna wurde 1970 in Süddeutschland geboren und begann schon in der Grundschule damit, kleine Geschichten zu schreiben. In der Oberstufe hatte sie den Plan Reisejournalistin zu werden und begann ein Studium in Bamberg im Magisterstudiengang mit den Fächern Germanistik, Politologie und Psychologie. Da sie die Lautverschiebung im Mittelalter nicht so spannend fand und das Sezieren von Texten ihr die Liebe zur Sprache nahm, wechselte sie zum Diplomstudiengang Psychologie und absolvierte nach Abschluss eine Psychotherapieausbildung. In diesem Rahmen arbeitete sie psychotherapeutisch für Kliniken, Berufsgenossenschaften, Bundeswehr, Gemeindeunfallversicherungen, das Weiße Kreuz und Krankenversicherungen in einem breiten, sehr unterschiedlichen Spektrum. Das Schreiben von Gedichten und kleinen Geschichten sowie das Reisen begleiteten sie durch ihr Leben. Mit 50 Jahren macht sie einen radikalen cut und gibt ihr gesamtes bisheriges Leben auf. Den Beruf, das Umfeld, den Wohnort.

Anja Luna – Interim
Verrai Verlag, 2023 – 238 Seiten
ISBN: 978-3-948342-95-1

Titelbild: pd

DANKE, DASS DU DIESEN BEITRAG BIS ZUM ENDE GELESEN HAST!

Unsere Zeitung ist ein demokratisches Projekt, unabhängig von Parteien, Konzernen oder Milliardären. Bisher machen wir unsere Arbeit zum größten Teil ehrenamtlich. Wir würden gerne allen unseren Redakteur*innen ein Honorar zahlen, sind dazu aber leider finanziell noch nicht in der Lage. Wenn du möchtest, dass sich das ändert und dir auch sonst gefällt, was wir machen, kannst du uns auf der Plattform Steady mit 3, 6 oder 9 Euro im Monat unterstützen. Jeder kleine Betrag kann Großes bewirken! Alle Infos dazu findest du, wenn du unten auf den Button klickst.

Unterstützen!

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.