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Grüne Revolution oder fossiles Märchen? Ein kritischer Blick auf den globalen Wasserstoffboom

Der Hype um Wasserstoff hat die Welt fest im Griff. Industrie, Politik und Medien sprechen von Wasserstoff als dem Schlüssel zur grünen Zukunft. Doch hinter den Kulissen des weltweiten Wasserstoffbooms verbirgt sich eine Reihe explosiver Fragen und ungelöster Probleme. Wie der folgende Artikel zeigt, ist der entstehende globale Markt vom Lobbyismus der fossilen Industrie, fragwürdigen Verwendungsideen, globalen Machtasymmetrien und lokalen Widerständen gekennzeichnet. Um einen gerechten Umbau voranzutreiben, müssen wir den Finger in die Wunden legen und positive Alternativen skizzieren.

Von Jakob Rammer, Universität Wien (A&W-Blog)

Der Wasserstoffhype

Dem Wasserstoff gehört die Zukunft. Als heiliger Gral der Dekarbonisierung ist er fundamental für die grüne Revolution – so lautet der O-Ton in den aktuellen Debatten rund um Wasserstoff. Viele Unternehmen wollen fossile Brennstoffe einfach durch dieses Gas ersetzen: Autohersteller wie Porsche entwickeln E-Fuels aus Wasserstoff, der Motorradhersteller Kawasaki verbaut Wasserstoffmotoren und Firmen wie Bosch preisen Wasserstoffboiler zur Gebäudeheizung an. Aufgrund seiner Flexibilität kann Wasserstoff in all diesen Bereichen verwendet werden, technisch ist das alles bereits möglich. Möglich bedeutet aber nicht unbedingt sinnvoll: Wegen hoher Kosten und geringer Effizienz sind viele Einsatzgebiete höchst umstritten. Demnach variieren auch die Szenarien über das Ausmaß einer zukünftigen globalen Wasserstoffwirtschaft enorm, wie sich an den verschiedenen Bedarfsschätzungen bis 2050 (siehe Grafik) zeigt. Mit hohen Schätzungen von 600 Megatonnen fallen Szenarien privatwirtschaftlicher Akteure, wie des Lobbyverbands „Hydrogen Council“, auf, während nüchterne Betrachtungen nur ein Drittel davon prognostizieren. Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise hat die Welt aber weder Zeit noch Geld für Investitionen in falsche Hypes, weshalb eine kritische Auseinandersetzung dringend notwendig ist.

Grafik: Wasserstoffbedarf 2050 © A&W Blog
Grafik: A&W-Blog

Welcher Wasserstoff?

Auf der Angebotsseite muss unterschieden werden, welche Herstellungsart sinnvoll ist. Je nach Produktionsprozess und dabei entstehenden Emissionen wird Wasserstoff mit verschiedenen Farben bezeichnet. Nur grüner Wasserstoff, hergestellt aus erneuerbarem Strom, ist zu 100 Prozent emissionsfrei und daher die einzige Wasserstoff-Variante für eine klimagerechte Zukunft. Doch in öffentlichen Debatten und offiziellen Dokumenten taucht immer häufiger die Bezeichnung „clean“ statt „green“ Hydrogen auf. Das umfasst auch blauen Wasserstoff, welcher mit fossiler Energie und der Abscheidung der dabei entstehenden CO2-Emissionen durch sogenannte Carbon-Capture-Technologien hergestellt werden soll. Wie in der Ausgabe „Trugbild Technik“ des Magazins „Wirtschaft & Umwelt“ der Arbeiterkammer ausführlich dargestellt, sind diese Technologien überaus fragwürdig. Sie sind teuer, energieintensiv, vom Scheitern gezeichnet und auch in Bestform nicht komplett emissionsfrei.

Wie bereits von Clara Anzengruber am A&W Blog skizziert, sind globale Lobbyverbände wie das Hydrogen Council die Treiber dieser gefährlichen Diskursverschiebung von grünem hin zu angeblich sauberem Wasserstoff. Hinter diesen Verbänden steckt eine globale Allianz großer fossiler Konzerne und Gasnetzbetreiber, von BP über Aramco und Sinopec bis Equinor. Diese fossile Lobby hat einen guten Draht nach Brüssel und konnte so Forderungen wie die Aufnahme von blauem Wasserstoff in die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen umsetzen. Damit ergibt sich die Gefahr, dass ohnehin knappes Geld für Investitionen in blauen statt grünen Wasserstoff fließt. Die US-Wissenschafter Howarth and Jacobson stellen aber klar: Blauer Wasserstoff ist keinesfalls sauber und die Debatte dazu ein Ablenkungsmanöver der fossilen Lobby mit dem Ziel, ihr klimaschädliches Geschäftsmodell weiterzuführen. Damit sollte klar sein, dass blauer Wasserstoff in einer grünen Zukunft keine Rolle spielen kann.

Die Physik setzt Grenzen

Auf der Bedarfsseite begrenzen die Ineffizienz beim Transport und bei gewissen Verwendungszwecken die realistische Nachfrage. Dies liegt an den physikalischen Eigenschaften von Wasserstoff: Das Gas ist voluminöser und viel explosiver als Erdgas, was den Transport und damit auch den Import aus anderen Weltregionen schwierig macht. So fing 2022 das erste Transportschiff mit flüssigem Wasserstoff direkt beim Beladen Feuer. Auch würde ein solches Schiff bei gleicher Beladungsmenge nur 22 Prozent der Energie eines LNG-(flüssiges Erdgas)-Schiffes transportieren können. Die Transportkosten pro transportierter Energieeinheit wären bis zu viermal so hoch. Dazu kämen noch enorme Kosten für die Umrüstung der notwendigen Infrastruktur, etwa für Verflüssigung und die spätere erneute Gasifizierung. Effizient ist also nur der Wasserstofftransport per Pipeline, was wiederum geografische Einschränkungen mit sich bringt. Auch dafür muss die Infrastruktur erst gebaut oder existierende Gaspipelines umgerüstet werden, was weitere Kosten und technische Herausforderungen bedeutet. Bisher fehlt auch eine solide wissenschaftliche Grundlage zu Aufwand und Kosten einer solchen Umrüstung, da die meisten Studien dazu von der fossilen bzw. Wasserstofflobby finanziert wurden.

Generell macht der weite Transport den Import von grünem Wasserstoff sehr teuer, weshalb ein sparsamer und gezielter Einsatz umso wichtiger ist. Daher haben eindeutig ineffiziente Verwendungszwecke wie für E-Fuels im Individualverkehr oder in der Gebäudeheizung nichts in der öffentlichen Debatte verloren. Aber auch andere Einsatzgebiete wie im Schwertransport oder in der Industrie sind durchaus umstritten. Die direkte Elektrifizierung von elf Industriesektoren (verantwortlich für 92 Prozent der CO2-Emissionen der europäischen Industrie) durch existierende Technologien könnte z. B. bis zu 78 Prozent der dort entstehenden CO2-Emissionen ersetzen. Auch wenn diese Schätzungen in der Praxis erst bestätigt werden müssen, ist klar, dass die direkte Verwendung von grünem Strom dem Wasserstoff aus Effizienzgründen immer vorzuziehen ist. Denn grüner Wasserstoff kann zwar im Gegensatz zu Strom gespeichert werden, allerdings geht bei dessen Herstellung Energie verloren. Am sinnvollsten wäre daher, grünen Wasserstoff erst nach einer vollständigen Dekarbonisierung des europäischen Stromnetzes oder bei Stromüberschüssen zu produzieren. So könnte zum Beispiel eine Solarüberproduktion an sehr sonnigen Tagen verwertet werden, indem Wasserstoff direkt in sinnvollen Bereichen wie bei gewissen chemischen Prozessen eingesetzt wird. Auch kann grüner Wasserstoff als Energiespeicher gelagert werden, um bei Bedarf Strom zur Stabilisierung des Energienetzes zu produzieren. Beschränkt man sich auf diese effiziente Gestaltung, reduziert sich auch der Bedarf an neuer Infrastruktur und Importen. Bei Investitionen in Handel und Infrastruktur sollte die Politik also einen kühlen Kopf bewahren, um einen fossilen Lock-in und stranded assets zu vermeiden.

Gerechte Energiewende nur für Europa?

Zusätzlich zu den physikalischen Grenzen bei Verwendung und Transport zeigt die internationale Wasserstoffpolitik der EU bisher große Lücken hinsichtlich globaler Gerechtigkeit. Ähnlich wie in der Rohstoffpolitik drehen sich die Bemühungen der EU rein um den Zugriff auf Ressourcen aus dem globalen Süden, während deren Auswirkungen vor Ort keine Rolle spielen. Dies zeigt sich besonders gut an Beispielen wie Chile, Namibia oder Marokko. Mit allen drei Ländern schloss die EU bereits Abkommen für die Entwicklung einer grünen Wasserstoffproduktion zum zukünftigen Export. Bestimmungen zu den sozial-ökologischen Auswirkungen kommen darin – wenn überhaupt – nur als leeren Worthülsen vor. Angesichts der sich bereits abzeichnenden Probleme ist das jedoch mit einer gerechten Energiewende keinesfalls vereinbar. In Marokko gibt es bereits Landkonflikte um erneuerbare Energieprojekte, die zukünftig auch in der besetzten Westsahara umgesetzt werden sollen. In Chile warnt indessen eine zivilgesellschaftliche Allianz vor den Folgen des massiven Infrastrukturausbaus für die Wasserstoffproduktion im Süden des Landes, in dessen Umsetzung EU-Unternehmen federführend sind.

Auch ist die Stromversorgung in Chile, Namibia und Marokko stark von fossilen Energien abhängig, in Namibia hat überhaupt nur knapp über die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu Strom. Gerade in den für die Wasserstoffproduktion attraktiven Gegenden wie in der Atacama-Wüste im Norden Chiles gibt es außerdem jetzt schon Trinkwasserknappheit. Es ist höchst fragwürdig, dass gerade in Ländern mit derartigen Problemen bei der Energie- und Wasserversorgung Unmengen an erneuerbarem Strom und sauberem Wasser in den Export von grünem Wasserstoff fließen sollen. Das wäre beispielsweise beim geplanten Megaprojekt von Hyphen Energy in Namibia der Fall. Das Unternehmen mit deutscher Beteiligung will mehrere Solar- und Windparks mit einer Kapazität von sieben Gigawatt bauen. Zum Vergleich: Namibias Stromproduktion umfasst derzeit lediglich 0,4 GW. Von den zwei Tonnen grünem Ammoniak, die produziert werden sollen, bleibt laut Plan nichts im Land. Zwar verspricht das Unternehmen, namibische Arbeitskräfte anzuheuern, bei lediglich 3.000 Arbeitsplätzen bleibt der lokale Nutzen davon aber begrenzt. Da der Wasserstoff als Energieinput für hochkomplexe Chemie- und Industrieprozesse nach Europa fließen soll, sind die Upgrading-Möglichkeiten gering. Aufgrund der dezidierten Exportorientierung wird wohl eine Enklavenwirtschaft entstehen, von der vor allem das europäische Unternehmen und zu geringerem Teil die Regierung in Windhuk profitiert. Zusätzlich gibt es Vorwürfe von Intransparenz und fehlender Einbindung lokaler Akteur:innen. Angesichts der massiven Probleme warnen Kritiker:innen vor grünem Kolonialismus.

Was sind die Alternativen?

Projekte wie jenes in Namibia haben keinen Platz als Teil einer sozial gerechten Energiewende. Investitionen in den Ausbau grüner Energieproduktion im globalen Süden sind zwar notwendig, aber dieser muss gemeinsam mit den Menschen vor Ort entwickelt werden und zuerst ihnen zugutekommen. Wegen der massiven Effizienzverluste wird aus entfernten Regionen importierter grüner Wasserstoff ohnehin kaum wettbewerbsfähig sein. Es ist zwar klar, dass grüner Wasserstoff im Rahmen eines sozial-ökologischen Umbaus der Wirtschaft eine Rolle spielen wird. Sie ist jedoch viel kleiner und spezifischer, als fossile Lobbys und Medien uns glauben machen wollen. Je eher wir anerkennen, zu welchen spezifischen Zwecken und in welchen engen Grenzen der Einsatz von grünem Wasserstoff sinnvoll ist, desto schneller können wir realistische und sozial gerechte Umbaupläne erstellen. Deren Entwicklung sollten aber nicht fossile Lobbys, sondern Arbeiter:innen und die Zivilgesellschaft anführen. Um Importe zu vermeiden, muss der Wasserstoffbedarf gesenkt werden. Das ist nur möglich, wenn der Energieverbrauch insgesamt gesenkt und von falschen Träumen wie Wasserstoffautos Abschied genommen wird. In einzelnen sinnvollen Bereichen kann dann grüner Wasserstoff dezentral und damit direkt am Verwendungsort gewonnen werden. Stromüberschüsse bei guten Wetterbedingungen können etwa durch Speicherung in Form von Wasserstoff nutzbar gemacht werden. Die Stromproduktion in Europa muss ausgebaut werden, dabei sollten Gemeinden und Betriebe demokratisch mitbestimmen und auch direkt durch reduzierte Stromkosten profitieren. In der Entwicklung eines solchen innovativen Wasserstoffnetzwerks müssen Gewerkschaften angesichts ihrer Erfahrung in demokratischen Prozessen eine zentrale Rolle einnehmen. Dies kann wiederum Demokratie und Position von Arbeitnehmer:innen stärken und grüne Jobs in strukturschwachen Regionen schaffen, wie Beispiele von Energiegemeinschaften und Umschulungsinitiativen in Kolumbien zeigen.


Dieser Beitrag wurde am 26.01.2024 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: Richard Horvath auf Unsplash

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