Das ganz und gar merkwürdige Leben der Liri Belishova
Sie war die mächtigste Frau in Enver Hoxhas Albanien, verdiente Partisanin, die im aktiven Kampf ein Auge verlor, führende Repräsentantin der kommunistischen Frauenorganisation und einzige Frau im Politbüro der Partei der Arbeit Albaniens. Und sie büßte ihre 15 Jahre an der Staatsspitze mit 30 Jahren in verschiedenen Gefängnissen.
Von Andreas Pittler
I.
Liri Belishova wurde am 14. Oktober 1926 in Mallakaster, einer Kleinstadt im tiefen Süden Albaniens geboren. Ihr Vater, Kamber Belishova, war ein bedeutender Aktivist der progressiven albanischen Nationalbewegung gewesen, deren erklärtes Ziel es war, Albanien aus den Klauen der italienischen Imperialisten zu lösen und zur demokratischen Republik zu formen. Er hatte am Kongress von Durres teilgenommen und sich am sogenannten „Krieg um Vlora“ beteiligt, bei dem die Albaner versucht hatten, ihr Land mit der Waffe in der Hand zu befreien. Die Bewegung war schon allein ob der ungleichen Kräfteverhältnisse zum Scheitern verurteilt und endete in einer Operettenmonarchie unter einem albanischen General, der am Gängelband der Italiener hing und schließlich von Rom ins Exil gejagt wurde, als der italienische Faschismus Albanien auch offiziell zur Kolonie machte.
Liri besuchte das „Institut für die Ausbildung weiblicher Lehrkräfte“, das 1933 gegründet worden war, um dem eklatanten Mangel an Lehrpersonal im Lande zu begegnen. Dort freundete sie sich rasch mit einigen Mitschülerinnen an, so namentlich mit Nexhmije Xhuglini und Fiqrete Sanxhaktari, den späteren Ehefrauen von Enver Hoxha und Mehmet Shehu, den beiden dominanten Figuren des albanischen Sozialismus. Gemeinsam traten sie der Antiimperialistischen Front bei, die in der Illegalität gegen die italienische Besatzung kämpfte, und gründeten deren Frauenorganisation, die rasch regen Zuspruch fand.
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion durch Nazideutschland kamen die führenden Kader der AIF zu dem Schluss, dass eine neue Form der Auseinandersetzung unumgänglich war. Exakt zum 24. Jahrestag der Oktoberrevolution wurde die Kommunistische Partei Albaniens aus der Taufe gehoben, zu deren Generalsekretär die Delegierten Enver Hoxha, einen ehemaligen Lehrer und späteren Trafikanten aus Gjirokaster, wählten. Die frisch gebackene Führung um Enver Hoxha, Haxhi Lleshi, Hysni Kapo und Mehmet Shehu ging umgehend daran, nach dem jugoslawischen Vorbild eine Nationale Befreiungsbewegung zu bilden, die ab Sommer 1942 mit einer eigenen Partisanenarmee aktiv gegen die italienischen Faschisten vorging. Nach dem Zusammenbruch des Mussolini-Regimes im Juli 1943 wurde Albanien von Nazi-Deutschland okkupiert, und die albanischen Partisanen sahen sich einem wesentlich härteren und grausameren Gegner gegenüber. Dementsprechend verlustreich verliefen die folgenden Kämpfe.
Liri Belishova hatte sich, gerade 16jährig, freiwillig zu den Partisanen gemeldet und stand im aktiven Kampf gegen die Faschisten. In einer der folgenden Schlachten wurde sie 1943 schwer verwundet und verlor ein Auge. Sie ist nicht länger fronttauglich und wirft sich mit umso größerem Eifer in die Propagandaschlacht. Sie reist landauf, landab und bildet Frauenkomitees, was in der mittelalterlich-patriarchalen Struktur der albanischen Gesellschaft an sich schon eine Revolution darstellt. Vor allem setzen Belishova und ihre Mitarbeiterinnen auf eine breite Bildungsoffensive, denn auch die allermeisten Männer in Albanien sind zu diesem Zeitpunkt noch Analphabeten. Die KPA kümmert sich zudem um eine medizinische Versorgung der Bevölkerung und agiert mit Wanderbühnen und spontanen kulturellen Veranstaltungen auch auf dem Gebiet der Kunst bahnbrechend. Wenig verwunderlich also, dass das Momentum mehr und mehr auf die Seite der Partisanen übergeht. Spätestens im Herbst 1944 ist der Sieg der Volksbefreiungsarmee nicht mehr aufzuhalten. Der geordnete Rückzug der Wehrmacht wird im Winter 1944/45 zur panischen Flucht, und im November 1944 kann die KPA in Tirana die Macht übernehmen.
II.

Liri Belishova hat zwischenzeitlich den acht Jahre älteren Athanas „Nako“ Spiru kennengelernt, einem Abkömmling der griechischen Minderheit in Südalbanien, der im ersten Kabinett Hoxhas als Minister für Wirtschaft und Industrie wirkt und in der Partei einer der Stellvertreter Hoxhas ist. Liri Belishova wird zur Vorsitzenden der sozialistischen Jugendorganisation gewählt, und gemeinsam stellen die beiden eine Art kommunistisches Traumpaar dar.
Doch recht bald verdüstern erste Schatten Leben und Wirken von Belishova und Spiru. In der Partei ringen zwei Fraktionen um die Dominanz. Die einen, gruppiert um Shehu und Spiru, die ob ihres Hintergrunds die „Intellektuellen“ genannt werden, treten für einen selbstbewussten eigenen Weg Albaniens innerhalb der kommunistischen Weltbewegung ein, die anderen, die sich selbst die „Arbeiter“ nennen, da ihre Führung sich ausschließlich aus ehemaligen Industrie- und Hafenarbeitern zusammensetzt, halten Albanien allein für nicht lebensfähig und vertreten die Idee einer kommunistischen Balkanföderation, die aus Jugoslawien, Bulgarien, Albanien und – so der dortige Bürgerkrieg zugunsten der Kommunisten unter General Markos Vafiadis ausginge – Griechenland bestehen soll. Spiru fürchtet, dass Albanien in einer solchen Konstellation keine eigene Vorwärtsentwicklung hin zu einem Industriestaat zugestanden werden würde und argumentiert dementsprechend forsch gegen die „Arbeiter“, deren Anführer der mächtige Koci Xoxe ist, Chef des Geheimdienstes Sigurimi und Innenminister in der Volksregierung Enver Hoxhas, der, Ironie der Geschichte, der einzige Hochschulabsolvent im inneren Zirkel der Parteiführung ist.
Xoxe fühlt sich, nicht zuletzt auch wegen der markanten Unterstützung durch Tito-Jugoslawien, ermuntert, nach der ganzen Macht in Albanien zu greifen und wirft seinen Gegnern vor, sie seien nicht vom Geist des proletarischen Internationalismus durchdrungen, sondern vielmehr kleinbürgerliche Nationalisten. Durch diese Kampagne sieht sich nun auch Enver Hoxha in seiner Stellung bedroht, und gemeinsam mit seinem Stellvertreter Nako Spiru reist Hoxha nach Moskau, wo er sich Stalins Segen und einen bilateralen Handelsvertrag, von dem ausschließlich Albanien profitiert, holt.
Stalin, der unmittelbar nach Kriegsende Tito noch geraten hatte, Albanien zu schlucken und als siebente Teilrepublik in die Sozialistische Volksrepublik Jugoslawien zu inkorporieren, wird nämlich allmählich misstrauisch. Titos weltweite Popularität lässt den finsteren Georgier fürchten, am Balkan könne ein zweites kommunistisches Zentrum entstehen, dass den Allmachtsanspruch Moskaus gefährden könnte. Für Stalin sind daher Hoxha und die Seinen ein Garant, Titos Pläne der sozialistischen Balkanföderation zu torpedieren. Es beginnt ein Prozess der gegenseitigen Entfremdung, der 1948 in dem Bruch zwischen Tito und Stalin gipfeln wird.
Spiru steht dabei eindeutig auf Stalins Seite und wirft den Jugoslawen vor, Trotzkisten zu sein. Auf einer tumultösen Sitzung des Politbüros der KPA am 20. November 1947 begegnet Xoxe diesen Anschuldigungen damit, Spiru einen nationalistischen Infiltrator zu nennen, der sich parteifeindlicher Aktivitäten schuldig gemacht und die Prinzipien des Marxismus-Leninismus verraten habe. Als Chef der Geheimpolizei kann Xoxe buchstäblich jeden, auch Hoxha selbst, verhaften lassen. Es riecht nach Putsch in Tirana.
Am nächsten Morgen, dem 21. November 1947, wird Nako Spiru tot in seinem Büro im Wirtschaftsministerium gefunden. Er war nur 29 Jahre alt geworden. Während Hoxha versucht, Spirus Tod als Unfall beim Reinigen seiner Dienstwaffe, darzustellen, verbreitet Xoxe das Gerücht, Spiru habe sich selbst getötet, weil er nicht mehr damit leben konnte, ein Spion und Verräter zu sein. Für die albanische Bevölkerung sind beide Erklärungen Mumpitz. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich unumwunden, Xoxe sei in Spirus Büro gestürmt und habe den Rivalen eigenhändig erschossen.
Hoxha würde seinen Stellvertreter gerne rächen, doch vorerst ist Xoxe der Überlegene. Hoxha muss sich fügen und, den ungeschriebenen Gesetzen des Stalinismus folgend, auch Liri Belishova sanktionieren. Sie wird ihres Postens als Präsidentin der sozialistischen Jugendliga enthoben und aus dem Zentralkomitee der Partei ausgeschlossen. Immerhin bleibt ihr das Gefängnis erspart. Sie wird aufs Land zwangsversetzt, wo man ihr eine Stelle als Volksschullehrerin zuweist.
III.
Nur ein halbes Jahr später eskaliert der Streit zwischen Tito und Stalin und führt zum sogenannten Kominform-Konflikt. Stalin ist nun erst recht auf die Albaner angewiesen, die er als Stachel im Fleisch der Jugoslawen benötigt. Er setzt dabei auf Hoxha und hilft ihm, Xoxe zu stürzen, der als einer der ersten in den sogenannten Titoistenprozessen, mit denen im realen Sozialismus allerorten missliebige Parteikader liquidiert werden (so Trajco Kostow in Bulgarien, Laszlo Rajk in Ungarn, Rudolf Slansky in der Tschechoslowakei und Lucretiu Patrascanu in Rumänien), zum Tode verurteilt und hingerichtet wird.
Dadurch ist nun im Gegenzug Liri Belishova (und posthum ihr Mann) wieder vollends rehabilitiert. Belishova wird nach Tirana zurückgeholt und im Alter von 22 Jahren nicht nur jüngstes, sondern auch erstes weibliches Mitglied des Politbüros der Partei. Sie übernimmt führende Positionen im albanischen Parlament sowie in den Organen der Planung und Leitung der sozialistischen Wirtschaft und wird gemeinsam mit dem späteren Staats- und Parteichef Ramiz Alia nach Moskau delegiert, um dort auf weitere höhere Weihen vorbereitet zu werden.
In den 50er Jahren ist Belishova ein Machtfaktor, an dem man in Albanien nicht vorbeikommt. Sie hat alles, was man braucht, um in einer stalinistisch geprägten Struktur zu reüssieren: Veteranin des Volksbefreiungskrieges, Witwe eines Volkshelden, Multifunktionär, bestens vernetzt in der Parteielite und unglaublich jung. Politische Beobachter sehen in ihr schon die zukünftige Staatspräsidentin des Landes und halten es für möglich, dass sie einst auch Enver Hoxha als Parteichef beerben könnte. Dies auch deshalb, weil sie spätestens seit ihrem Moskau-Aufenthalt 1952 als „Mann“ des Kreml gilt, weit mehr als Hoxha, Shehu und Kapo, mit denen man seitens der KPdSU wenig anzufangen weiß. Hoxha gilt dem neuen starken Mann in der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, als exzentrischer Paranoiker, Kapo als eitler Parvenü und Shehu als unberechenbarer und aufbrausender Liebhaber hochprozentiger Getränke, der Chruschtschow spätestens seit einer Privatunterredung ein Dorn im Auge ist, bei der Shehu gemeint hatte, Stalins einziger Fehler sei es gewesen, nicht auch Chruschtschow zu liquidieren. Belishova hingegen erscheint den Sowjets als ein Musterbeispiel für eine Moskau-treue Führungsfigur, die wie Ulbricht in der DDR oder Todor Schiwkow in Bulgarien strikt an der Seite der Sowjetunion deren Politik im eigenen Land umsetzen würde. Nicht wenige Historiker vertreten bis heute die Ansicht, wäre Belishova keine Frau gewesen, sie hätte Hoxha spätestens 1960 als Staats- und Parteichefin ersetzt. Doch bei allem gesellschaftlichen Fortschritt, den Albanien nach 1945 durchgemacht hatte, eine Frau, zumal eine von 33 Jahren, an der Spitze des Staates war selbst für hartgesottenste Kommunisten wohl unvorstellbar.
IV.
1956 hatte Chruschtschow am XX. Parteitag der KPdSU für eine veritable Sensation gesorgt. In einer Geheimrede prangert er die zahlreichen Verbrechen Stalins an und verstößt den Georgier aus dem kommunistischen Olymp. In der Folge werden nicht nur in der UdSSR, sondern auch in den realsozialistischen Satelliten zahlreiche Altstalinisten aus der Führungsebene ausgestoßen, was bei Enver Hoxha die Alarmglocken läuten lässt. Denn in Albanien, so viel steht fest, ist er der Altstalinist.
Tatsächlich bildet sich im ZK der albanischen Partei eine Fraktion, die Chruschtschows Weg als den zukunftweisenden ansieht. Dieser hatte sich 1955 öffentlichkeitswirksam mit Tito versöhnt, und sein Kurs erscheint der neuen Fraktion als eine brillante Möglichkeit, aus der ruralen Isolation herauszufinden, in der Albanien seit 1948 feststeckt. Neben Belishova gehören vor allem die jungen Technokraten um Adil Carcani und Ramiz Alia zu dieser Gruppe, die darauf hofft, mit einem moderateren Kurs das ökonomische Niveau des Landes spürbar anzuheben und Albanien damit aus seiner prekären Subsistenzwirtschaft herauslösen zu können. Doch die Vorschläge der Gruppe für ein neues System der ökonomischen Planung und Leitung sind, wenn auch unausgesprochen, eine überdeutliche Kritik an der bisherigen Politik von Hoxha, Shehu und Kapo. Das Triumvirat ist daher beinahe panisch auf der Suche nach einer Möglichkeit, der eigenen Absetzung zu entgehen.
Und genau an dieser Stelle kommt ihnen die Weltgeschichte zu Hilfe. Die chinesischen Kommunisten um Mao Tse Tung und Zhou En Lai halten nämlich nichts von Chruschtschows Ideen der Koexistenz und des politischen Tauwetters. Für sie ist der Kapitalismus nach wie vor der Todfeind, der um jeden Preis vernichtet werden muss. In der Volksrepublik China gibt man die Parole aus, besser in einem dritten, mit Atomwaffen geführten, Weltkrieg unterzugehen als dem Kapitalismus irgendwelche Zugeständnisse, und sei es auch nur der eines temporären Waffenstillstands, zu machen. Und für Chinas Kommunisten ist just Stalin jene Persönlichkeit, die, so ihr Narrativ, als einziger dem Imperialismus die Stirn geboten habe. Stalin also vom kommunistischen Thron zu stoßen, sei Verrat an der Arbeiterklasse und am Sozialismus.
Zwar versucht Chruschtschow verzweifelt, den Bruch mit Peking zu verhindern, aber die Chinesen sind zu keinerlei Kompromissen bereit. Für die KPCh wird die KPdSU von einem Tag auf den anderen zum Hauptfeind, zum Verräter schlechthin, der das Proletariat seinen imperialistischen Henkern ausliefere und gerade darum noch heftiger bekämpft werden müsse als der Kapitalismus selbst.
Mao hatte nämlich aus der besonderen Situation Chinas seine ganz eigenen Lehren gezogen, die er nun als allgemeingültig für das ganze Erdenrund ausgab. Und Enver Hoxha las Maos Schriften mit zunehmender Begeisterung. Da wie dort, so erkannte Hoxha, spiele das Proletariat eigentlich eine untergeordnete Rolle, da die Gesellschaften Chinas und Albaniens ländlich geprägt waren. Damit kam, so Mao, der Bauernschaft die führende Rolle im nationalen Befreiungskampf zu, und Hoxha dachte sich, Bauern habe er auch in Albanien zur Genüge. Und so stellte sich die albanische Partei als einzige weltweit an die Seite der Chinesen und kündigte Anfang September 1960 den Sowjets die Freundschaft.
V.
Dies kam in Albanien selbst überraschend, denn im Politbüro hatte Hoxha zuvor über diesen Plan kein einziges Wort verlauten lassen. Nun aber, da sich Hoxha der Unterstützung Chinas sicher sein konnte, fühlte er sich ganz in seinem Element. Eilig publizierte er Schriften, in denen er Chruschtschow und der KPdSU Verrat am Marxismus-Leninismus vorwarf und Stalin zum alleinigen Wegweiser stilisierte, dem es unbeirrbar zu folgen gelte. In der Eile, die Hoxha geboten schien, war er in seinem Wording nicht sonderlich wählerisch. Die „Chruschtschow-Clique“, so sein Befund, sei nichts als eine „Bande titoistisch-trotzkistischer Faschisten“, gekaufte Schurken, die im Sold des Finanzkapitals stünden und deren Ziel es sei, die Arbeiterklasse zu zerschmettern. Hoxha konnte nun auch endlich wieder gegen die Jugoslawen vom Leder ziehen, denn die Wiederannäherung an Tito war Hoxha schon seit 1955 ein Dorn im Auge gewesen.
Als nun Hysni Kapo, der die Delegation zum Welttreffen der kommunistischen Parteien in Bukarest geleitet hatte, am 9. September 1960 im Politbüro den Bruch mit der Sowjetunion verkündete, traf dies Belishova und ihre Gruppe völlig unvorbereitet. Noch mehr freilich mochte sie es überraschen, dass ihre Mitstreiter Carcani und Alia stumm blieben und den Bruch in der Abstimmung sogar guthießen. An Belishovas Seite stand letztlich nur Landwirtschaftsminister, Altkommunist und langjährige albanische Botschafter in Moskau Koco Tashko, der aber ob seines Alters bereits jeden Einflusses entkleidet war. Und so stimmte im Politbüro allein Belishova gegen den Bruch mit der Sowjetunion und gegen die neue Verbindung mit China, was für sie ungeahnte Konsequenzen hatte.
Denn Hoxha zauderte dieses Mal keine Sekunde. Noch in der selben Sitzung wurde Belishova aus dem Politbüro ausgeschlossen, zur Parteifeindin erklärt und in der Folge aller weiteren Funktionen enthoben. Immerhin war sie nicht nur Mitglied des allmächtigen Politbüros gewesen, sondern auch Sekretärin des Parlamentspräsidiums und Sekretärin des Zentralkomitees der Partei.
Für eine kleine Weile noch schien ihr weiteres Schicksal in Schwebe. Wie schon 1947 wurde sie aufs Land verschickt, diesmal in Hoxhas eigene Heimat Gjirokaster, wo man sie als Dorfschullehrerin einsetzte. Doch bereits im November 1960 war diese Zwischenzeit vorbei. Belishova wurde formell aus der Partei ausgeschlossen und unmittelbar danach verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt war sie eben erst 34 Jahre alt geworden.
Was folgte, war ein Irrweg durch Albaniens Gefängnisse und Lager. Immer wieder wurde Belishova verlegt, war eine ganze Weile zur völligen Tatenlosigkeit verurteilt, ehe man ihr wieder gestattete, unter Aufsicht als Grundschullehrerin tätig zu sein. Erst nach dem Bruch Hoxhas mit China besserte sich ihre Lage ein wenig, da man sie – freilich immer noch in den verlassensten Dörfern – in eine Art Hausarrest entließ, der gleichwohl dennoch mehr Haft als Freiheit bedeutete.
Als Hoxha 1985 starb, folgte ihm just ihr ehemaliger Kumpan Ramiz Alia nach, der jedoch keinerlei Initiative entwickelte, das Los der seinerzeitigen Freundin zu erleichtern. Und so brauchte es den Zerfall des realen Sozialismus, um Liri Belishova 1991 endlich die volle Freiheit wiederzugeben. Sie durfte, mittlerweile 65 Jahre alt, nach Tirana zurückkehren und wurde nur wenig später auch offiziell rehabilitiert, was aber nur von kurzer Dauer war, da 1992 die Reaktion in Albanien an die Macht kam, für die Belishova ebenso Feindbild war wie Hoxha selbst. Versuche, sie für „Verbrechen in der Zeit der Hoxha-Diktatur“ ein weiteres Mal vor Gericht zu stellen, blieben freilich im Planungsstadium, da jemand, der unter Hoxha 30 Jahre lang isoliert und repressiert worden war, kaum ein gutes Beispiel für kommunistische Diktatur abgab.
Und so verbrachte Belishova ihren Lebensabend unauffällig in Albaniens Hauptstadt. Sie engagierte sich im Veteranenverband der albanischen Partisanen, pflegte Freundschaften mit früheren Kampfgefährten und die Gräber dahingegangener Genossen. Im April 2018 starb sie im 92. Lebensjahr in Tirana, was zumindest den albanischen Medien Gelegenheit bot, ein letztes Mal an jene Kommunistin zu erinnern, die sieben Jahrzehnte zuvor zu den mächtigsten Politikern des Landes gezählt hatte.
Titelbild: shqiptarja.com

