Hochrüstung und Kriegsvorbereitung
Am 9. April 2025 wurde der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD zur Bildung einer neuen Bundesregierung in Deutschland vorgestellt, am 6. Mai Friedrich Merz (CDU) erst im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt. Entscheidende Weichenstellungen hatten die Koalitionsparteien mit Unterstützung der Grünen aber schon vorher durchgesetzt.
Von Ralf Krämer, Berlin (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft III/2025)
Am 18. März beschloss der Deutsche Bundestag mit der nötigen Zweidrittelmehrheit Änderungen des Grundgesetzes, der deutschen Verfassung. Demokratiepolitisch problematisch, denn der Beschluss wurde bewusst vor der Konstituierung des bereits gewählten neuen Bundestages durchgezogen, weil es danach diese Zweidrittelmehrheit nicht mehr gegeben hätte. Es wurde neu geregelt, dass Ausgaben für Militär und Militärhilfe, Zivilschutz und Nachrichtendienste, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen, nicht mehr von der „Schuldenbremse“ betroffen sind. Diese begrenzt Kreditaufnahmen des Bundes auf durchschnittlich maximal 0,35 Prozent des BIP. Militärausgaben können damit künftig in der Höhe und zeitlich unbegrenzt aus Schuldenaufnahmen finanziert werden – eine Ermächtigung für unbegrenzte „Kriegskredite“.
Gleichzeitig wurde auch den Bundesländern ein kleiner Verschuldungsspielraum von zusammen 0,35 Prozent des BIP eingeräumt und ein neues „Sondervermögen“ außerhalb der Schuldenbremse in Höhe von 500 Mrd. Euro eingerichtet. Daraus sollen in den nächsten zwölf Jahren zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität finanziert werden. Dabei wird ein großer Teil dieser Investitionen auch in militärische Ertüchtigung der Infrastrukturen fließen, etwa in panzertaugliche Straßen, Brücken nach Osten sowie Krankenhäuser für die Versorgung von Kriegsverletzten.
Schulden ermöglichen Kriegspolitik
Mit dieser Operation hat die neue Koalition die finanzpolitischen Bedingungen dafür geschaffen, ihre politischen Pläne in den kommenden Jahren umsetzen zu können. Vorher war die „Ampelkoalition“ aus SPD, Grünen und FDP daran gescheitert, weil die FDP aus ideologischen Gründen erhöhten Kreditaufnahmen nicht zustimmen wollte, während SPD und Grüne die ansonsten unmittelbar notwendigen, massiven Ausgabenkürzungen insbesondere im Sozialbereich und die dann absehbaren Proteste und massiven Verluste an Wählerunterstützung vermeiden wollten. Einig waren und sind sich diese Parteien allerdings allesamt darin, dass sie die Militärausgaben stark erhöhen und Deutschland „kriegstüchtig“, wie es Verteidigungsminister Pistorius bezeichnete, machen wollen.
Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände stimmten den Grundgesetzänderungen zu, vor allem mit Blick auf das „Sondervermögen“ und die damit verbundenen zivilen Investitionen. Faktisch haben sie damit aber ebenso die höhere Verschuldung für Militärausgaben unterstützt, wenn auch nicht mit öffentlichen Erklärungen. Die Führungen dieser Organisationen folgen weitgehend der allgemeinen Kriegs- und Aufrüstungspropaganda, obwohl zumindest die Gewerkschaften anders gerichtete Kongressbeschlüsse haben, die sich gegen Hochrüstung und für diplomatische Lösungen aussprechen.
Dabei ist klar, dass diese Schulden zugunsten Militärausgaben sozial wie ökologisch schädlich sind. Je mehr Geld für Militär und Kriegskredite ausgegeben wird, desto weniger bleibt für den Sozialstaat übrig, für die Daseinsvorsorge, für die zivile Infrastruktur, für Renten und für die Löhne der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, im Bildungswesen und den sozialen Bereichen. Kriege, Rüstung und Militäraktivitäten sind zudem für einen hohen und immer größeren Anteil an Klimawandel und Naturzerstörung verantwortlich.
Im Bundestag haben AfD, FDP, Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Grundgesetzänderungen abgelehnt. AfD und FDP allerdings nicht, weil sie gegen die Hochrüstung wären, sondern nur wegen der Aufweichung der Schuldenbremse und des fragwürdigen Verfahrens. Im Bundesrat haben dann auch Länder zugestimmt, in denen die FDP und Die Linke an der Landesregierung beteiligt sind, während die beiden Bundesländer mit Regierungsbeteiligung des BSW nicht zugestimmt haben. Das BSW hat den Einzug in den neuen Bundestag knapp verpasst und verlangt eine Neuauszählung, weil es systematische Fehler zu Lasten des BSW gab, die in der Summe hinreichend groß sein könnten, um die Fünf-Prozent-Hürde doch noch zu überspringen.
Priorität Hochrüstung
In seiner Regierungserklärung stellte Bundeskanzler Merz klar, was die politische Priorität der neuen Regierung ist, nämlich massive Aufrüstung der Bundeswehr und der EU-Staaten, Unterstützung der Ukraine und Kampf gegen Russland: „Die Bundesregierung wird zukünftig alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die die Bundeswehr braucht, um konventionell zur stärksten Armee Europas zu werden. Das ist dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Land Europas angemessen.“ Im TV sagte Merz, es „muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes“.
Die Konkretisierung überlässt der Koalitionsvertrag der NATO. Diese hat Anfang Juni das größte Aufrüstungsprogramm seit dem Kalten Krieg beschlossen. Sie will, dass die Staaten 3,5 Prozent ihres BIP für Militär im engeren Sinne aufwenden und weitere 1,5 Prozent für andere militärrelevante Ausgaben, etwa Infrastruktur und Militärhilfe. Außenminister Johann Wadephul (CDU) dazu: „Deutschland unterstützt die USA in ihrem Vorhaben, die Verteidigungsausgaben der NATO-Partner auf fünf Prozent zu erhöhen.“ Das wären in diesem Jahr für Deutschland etwa 220 Mrd. Euro, fast die Hälfte (45 Prozent) des Bundeshaushalts. 2024 hatte Deutschland zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder Militärausgaben von über zwei Prozent des BIP, etwas über 90 Mrd. Euro.
Laut Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) braucht die Bundeswehr 60.000 zusätzliche Soldaten. Dazu soll für alle Jugendlichen eine Wehrerfassung und ein – zunächst freiwilliger – allgemeiner Wehrdienst eingeführt werden. Wenn das nicht reicht, wird er voraussichtlich verpflichtend gemacht. Die zivil-militärische Zusammenarbeit soll gestärkt und das Gesundheitswesen auf den Kriegsfall vorbereitet werden. Alles begründet mit Propagandaerzählungen über angebliche russische Angriffspläne gegen die NATO und schon laufenden verdeckten Angriffen Russlands auf Infrastrukturen und im Cyberraum. Von Verhandlungen über gegenseitigen Verzicht auf solche Aktivitäten ist keine Rede – logisch, da ja entsprechende Aggressionen und ständig ausgeweitete Sanktionen gegen Russland und militärische Unterstützung der Ukraine im Stellvertreterkrieg zentrales Element der eigenen Politik sind.
Statt Krieg zu verhindern, geht es vor allem darum, ihn vorzubereiten und gewinnen zu können.
Das alles ist verbunden mit Bekenntnissen zur transatlantischen Partnerschaft und zur gemeinsamen Hochrüstung in der EU, die sich immer mehr zu einer vom Krieg gegen Russland besessenen Militärunion entwickelt. Auch an der geplanten Stationierung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland ab 2026 wird festgehalten. Diese stellen als Erstschlagswaffen eine unmittelbare Bedrohung für Kommandozentralen und andere strategische Ziele in Russland dar, erhöhen damit die Kriegsgefahr und machen Deutschland zur Zielscheibe. Rüstungskontrolle oder gar Entspannung und „gemeinsame Sicherheit“, wie sie die OSZE anstrebt, spielen keine Rolle. Statt Krieg zu verhindern, geht es vor allem darum, ihn vorzubereiten und gewinnen zu können.
Gegenüber Israel wird trotz der immer extremeren Kriegführung gegen die Palästinenser und in benachbarten Staaten weiterhin „unverbrüchliche“ Unterstützung als „Staatsraison“ bekundet. Gelegentliche kritische Bemerkungen sollen nur darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland weiterhin Waffen liefert und sich innerhalb der EU und internationaler Institutionen gegen jede noch so milde Maßnahme wendet, die Druck gegen die völkerrechtswidrige Politik Israels ausüben könnte. Die Doppelstandards schreien zum Himmel. „Deutschlands Sicherheit, Deutschlands Gestaltungskraft in der Welt – das steht und fällt mit unserer wirtschaftlichen Stärke“, betonte Merz in seiner Regierungserklärung.
Schwerpunkt: Förderung der deutschen Wirtschaft
Auch der zweite Schwerpunkt der Regierung, die Förderung der deutschen Wirtschaft, genauer der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, ist eng mit Geopolitik verbunden. Es gibt Steuergeschenke an Unternehmen von knapp 50 Mrd. Euro bis 2029, Steuerentlastungen für kleinere und mittlere Einkommen sind dagegen zurückgestellt und unter Finanzierungsvorbehalt. Die Finanzprobleme der Kommunen und der Sozialversicherungen werden hingenommen und durch die Steuerbefreiungen noch verschärft. Es ist völlig klar, dass diese Politik in den kommenden Jahren nur mit massiven Kürzungen bei sozialstaatlichen Ausgaben und beim zivilen Personal finanzierbar sein wird.
Die Wirtschaft wird schrittweise in Richtung Kriegstüchtigkeit umgebaut, Kriegswirtschaft vorbereitet. „In der Stahl- und Automobilindustrie stehen wir vor enormen strukturellen Herausforderungen. Gleichzeitig muss die Verteidigungsindustrie sehr zügig und im großen Maßstab skalierbar wachsen. Wir prüfen daher, wie die Umrüstung und Ertüchtigung vorhandener Werke für die Bedarfe der Verteidigungsindustrie unterstützt werden können“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag. „Zukunftstechnologien“ für das Militär sollen gefördert und eingeführt werden, zivil-militärische Forschungskooperation von „Hemmnissen“ befreit. Rüstungsexporte sollen weiter gesteigert werden, Restriktionen werden abgebaut. „Wir richten unsere Rüstungsexporte stärker an unseren Interessen in der Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik aus“, ist im Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode zu lesen.
Dass die wirtschaftliche Krise zu einem großen Teil an der verfehlten Politik von Konfrontation, Sanktionen und Kriegsbeteiligung und dadurch erhöhten Energiepreisen und beschädigten internationalen Wirtschaftsbeziehungen liegt, wird ausgeblendet. Ebenso, dass Aufrüstung auch zur Ankurbelung der Wirtschaft eine der am wenigsten geeigneten Maßnahmen ist. Mit gleich hohen Ausgaben für sinnvolle zivile Investitionen und für mehr Personal in Bildung, Gesundheitswesen und sozialen Diensten könnten erheblich mehr Arbeitsplätze, Einkommen und gesellschaftlicher Wohlstand geschaffen werden. Sie würden durch ihre höheren und nachhaltigeren Wachstumswirkungen auch den Schuldenstand schneller wieder sinken lassen, und sie könnten zugleich die Gesellschaft sozialer, friedlicher, umwelt- und klimaverträglicher machen.
Davon will diese Regierungskoalition aber nichts wissen, sie verfolgt andere Ziele. Doch ihren Amtseid, sie wolle ihre „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“, missachtet diese Regierung von Beginn an und mit Ansage.
Ralf Krämer arbeitet als Gewerkschaftssekretär im Bereich Wirtschaftspolitik und ist aktiv in den Initiativen „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!“ und „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg“.
Der Beitrag erschien zuerst in INTERNATIONAL – Die Zeitschrift für internationale Politik (Heft III/2025)
Titelbild: joergkessler1967/pixabay


Guter Artikel! Grüße auch von Wolfgang Abel!