„Die internationale Gemeinschaft muss Indien an den Verhandlungstisch bringen“
Anfang Mai eskalierte der Konflikt zwischen Pakistan und Indien erneut: Indien griff sein nördliches Nachbarland mehrere Tage lang an, nachdem Pakistan dafür verantwortlich gemacht worden war, Terrorismus in der umstrittenen Region Jammu und Kaschmir zu dulden. Die USA verhandelten einen Waffenstillstand aus, doch dieser ist fragil. Beide Länder sind Atommächte, ein Krieg könnte ganz Asien destabilisieren.
Pakistans Botschafter Mohammad Kamran Akhtar im Gespräch mit Dieter Reinisch (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft III/2025)
INTERNATIONAL: Ihr Land Pakistan hat im Krieg zwischen Israel und dem Iran eine laute Stimme eingenommen. Um welche Position handelt es sich?
Mohammad Kamran Akhtar: Die pakistanische Position orientierte sich entlang des internationalen Rechts und im konkreten Fall der Angriffe auf iranische Atomanlagen am Statut der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO). Wir haben stets betont, dass sich alle Parteien an das Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA, Wiener Abkommen über das iranische Atomprogramm) halten müssen. Das JCPOA war ein sehr gutes Beispiel für ein international ausverhandeltes Abkommen. Hätten alle Länder es ausreichend implementiert und in gutem Glauben gehandelt, hätte es die Frage der nuklearen Einrichtungen gelöst und es wäre nicht zur aktuellen Krise gekommen.
Wir betonen, dass der multilaterale Dialog der einzige Ausweg ist. Dialog ist immer besser als Krieg und am Ende eines jeden Krieges muss es Raum für Diplomatie geben. Durch Diplomatie muss man bereits zuvor verhindern, dass es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt. Das Problem hat seinen Ursprung darin, dass die USA einseitig aus dem JCPOA ausgestiegen sind.
Wie kann man zurück zum Verhandlungstisch finden? Vor allem in Hinblick auf die E3 – Frankreich, Deutschland, Großbritannien – mit denen es im Juni zwar während des Kriegs Gespräche in Genf gegeben hat, die aber schlussendlich im November die anti-iranische Resolution zum Board of Governors der IAEO eingebracht haben.
Ich würde die Resolution nicht als anti-iranisch bezeichnen, denn sie ruft den Iran lediglich dazu auf, mit der IAEO zu kooperieren. Wir sind zu dem Verständnis gekommen, dass der Iran zwar mit der IAEO kooperieren möchte, aber gewisse Garantien benötigt. Das JCPOA hatte etwa die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran inkludiert. Wir sind davon überzeugt, dass der Iran zurück an den Verhandlungstisch kehren wird, wenn es dieses Mal ähnliche Garantien gibt.
Bei der ersten Sondersitzung des Board of Governors der IAEA am 16. Juni, die aufgrund der ersten israelischen Angriffe auf iranische Nuklearanlagen einberufen wurde, verlas die Botschafterin von Venezuela, Claudia Salerno Caldera, eine Stellungnahme von elf Ländern in Unterstützung des Iran. Pakistan war eines dieser Länder und die Regierung hat mehrere klare Erklärungen zur Unterstützung des Iran veröffentlicht.
Wir wollen als ein Land wahrgenommen werden, das auf der Seite der Prinzipien steht, und nicht als ein Land, dass auf der Seite eines anderen steht. Jenes Land, das internationales Recht bricht, verurteilen wir, und jenes Land, dass auf der richtigen Seite des internationalen Rechts steht, unterstützen wir.
In diesem konkreten Fall wurden iranische Nukleareinrichtungen angegriffen. Dabei handelte es sich um Einrichtungen für den zivilen Nutzen der Atomenergie unter Aufsicht von IAEO-Inspektoren. Das Völkerrecht, die Statuten der Vereinten Nationen, die Genfer Konvention und auch die Statuten der IAEO sagen deutlich, dass derartige Angriffe verboten sind.
Sprechen wir über die Situation zwischen Indien und Pakistan sowie die Frage von Jammu und Kaschmir.
Wir würden alle Fragen gerne durch Verhandlungen mit Indien beilegen. Der Waffenstillstand muss in einen anhaltenden Frieden übergehen. Dafür müssen sich beide Länder jedoch zusammensetzen und über ihre Ansichten reden. Der fundamentale Grund für die aktuelle Krise ist, dass Indien nach dem Vorfall von Pahalgam am 22. April 2025 Pakistan eine Beteiligung daran vorgeworfen hat.
Nun behaupten die indischen Behörden sogar das Gegenteil ihrer eigenen Regierung. Der indische Geheimdienst hat die vier Individuen, die Indien benutzt hat, um Pakistan Mittäterschaft vorzuwerfen, entlastet. Der eigene Geheimdienst sagt nun, im Gegensatz zur indischen Regierung, dass diese vier Personen nicht am Vorfall von Pahalgam beteiligt waren. Damit fällt das gesamte indische Argument zusammen, denn auf welcher Basis können sie weiterhin behaupten, dass Pakistan etwas damit zu tun hatte?
Indien hat diese Aggression ohne stichhaltige Beweise begonnen. Das ist ein sehr gefährlicher Vorrang kriegerischer Auseinandersetzungen gegenüber Gesprächen. Diplomatie muss immer die oberste Priorität haben.
Derzeit hält der Waffenstillstand, aber die Situation ist äußerst prekär. Es gibt aber viele Faktoren, die zur Instabilität beitragen, allen voran die Frage um Jammu und Kaschmir. Pakistan hat diese Situation nicht hervorgerufen. Sie reicht bis zur Staatsgründung Pakistans und zur Unabhängigkeit Indiens zurück. Die Situation wurde durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrats anerkannt. Da es ein international anerkannter Konflikt ist, kann auch keine Partei versuchen, ihn unilateral zu lösen, etwa durch Änderungen ihrer Verfassung.
Ein weiterer Faktor ist der Indus-Wasservertrag (Indus Waters Treaty). Pakistan ist vom Wasser des Indus abhängig, da 70 Prozent der Wirtschaft des Landes auf Landwirtschaft basieren. Indien droht, den Wasserfluss abzuzweigen, was eine existenzielle Gefahr für Pakistan darstellen würde. Solange diese beiden Punkte nicht gelöst sind, wird es immer destabilisierende Faktoren in der Region geben.
Pakistan möchte eine Lösung und gute, nachbarschaftliche Beziehungen, damit sich beide Länder auf die sozio-ökonomische Entwicklung fokussieren können. Wir hoffen, dass Indien dies ebenfalls möchte. Die internationale Gemeinschaft muss eine wichtige Rolle dabei spielen, Indien zu überzeugen, an den Verhandlungstisch zu kommen und einen Dialog zu führen.
Gibt es derzeit, in der einen oder anderen Form, direkte oder indirekte Gespräche mit Indien?
Es gibt derzeit keine Verhandlungen mit Indien. Im Indus-Wasservertrag sind sehr ausgefeilte Konfliktlösungsmechanismen enthalten, die wir gerne aktivieren möchten, um die Probleme zu lösen. Indien ist aber nicht willens, mit Pakistan auf der Basis dieser Mechanismen zu sprechen, obwohl das Land dazu rechtlich verpflichtet ist.
Im Laufe des Frühjahrs hat Indien angedroht, den Wasserzufluss nach Pakistan zu blockieren. Wie sieht die derzeitige Situation bezüglich des Indus-Wasservertrags aus?
Indien hat bereits bestimmte Aktionen gesetzt, um den Wasserfluss zu beeinträchtigen. Dies ist Teil eines langfristigen Plans, die Wasserversorgung des Indus nach Pakistan abzuschneiden. Es handelte sich zwar nur um kleinere Maßnahmen, aber sie haben bereits das Potenzial, Pakistan zu schaden. Sie brauchen den Wasserzufluss nur punktuell blockieren, etwa während der Aussaat, um Pakistan großen Schaden zuzufügen. Zwei Wochen ohne Wasser während der Aussaat würden der pakistanischen Wirtschaft einen harten Schlag versetzen.
Warum ist dieser Indus-Wasservertrag für Pakistan so bedeutend?
Im internationalen Recht gibt es klare Vorgaben, wie Wasserressourcen zwischen Nachbarstaaten geregelt werden. Im Zusammenhang mit Pakistan und Indien gab es in den 1950er Jahren zusätzlich besondere Regelungen. Im Zuge dessen hat Pakistan das Recht auf drei östliche Flüsse abgetreten, die nach Pakistan fließen, während Indien das Recht auf drei westliche Flüsse abgetreten hat, die nach Pakistan fließen. Das bedeutet, dass Indien kein Recht hat, den Verlauf des Wasserflusses dieser drei westlichen Flüsse in irgendeiner Form zu beeinträchtigen.
Für die drei östlichen Flüsse hat Indien Maßnahmen ergriffen, um das Wasser abzuleiten oder zu stauen, damit es für die eigenen Bedürfnisse verwendet werden kann, sodass Pakistan keinen Zugriff mehr darauf hat. Nun möchte Indien aber auch auf das Wasser der drei westlichen Flüsse zugreifen und somit den Zufluss nach Pakistan beeinflussen. Dies wäre ein Verstoß des Indus-Wasservertrags. Pakistan betrachtet die von Indien durchgeführten Baumaßnahmen daher als Bruch des internationalen Rechts.
Der Indus-Wasservertrag ist kein bilaterales Abkommen zwischen den beiden Ländern, sondern internationales Recht unter dem Schutz der Weltbank. Wir fordern daher auch, dass die Weltbank eine Rolle dabei spielt, die Anerkennung des Vertrags zu sichern.
Wie sollte eine Lösung der Frage um Jammu und Kaschmir aussehen?
Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats fordern eine Lösung des Konflikts, doch dafür muss Indien gewillt sein, mit Pakistan zu verhandeln. Pakistan hat immer betont, dass eine Lösung nur im Interesse der dort lebenden Bevölkerung erfolgen kann. Diese muss einbezogen werden. Das ist unsere allerhöchste Priorität. Daher insistieren wir auch nicht, dass Kaschmir Teil von Pakistan werden soll. Wie die UN beschlossen hat: Die Bevölkerung von Kaschmir soll über ihr Schicksal selbst entscheiden.
Wenn es keine direkten Kanäle zwischen Pakistan und Indien gibt, wie kam es dann zum Waffenstillstand im Mai?
Aufgrund der vielen Mediationsbemühungen der internationalen Gemeinschaft, allen voran der US-Regierung. Nun muss die internationale Gemeinschaft, wie ich bereits erwähnt habe, Druck auf Indien ausüben, damit es im Rahmen des internationalen Rechts in einen Dialog mit Pakistan tritt. Das wäre nicht nur für den regionalen Frieden und die Stabilität, sondern auch für den internationalen Frieden und die Stabilität wichtig.
Pakistan hat vor zwei Jahren einen Antrag zur Aufnahme in die BRICS-Staaten gestellt. Manche vermuten nun, dass die Eskalation durch Indien ein Versuch war, die Aufnahme Pakistans in die BRICS-Staaten langfristig zu verhindern.
Es gab mehrere Motive für das Verhalten des indischen Regierungschefs Modi: BRICS war vermutlich eines davon. Gleichzeitig fußt seine gesamte politische Karriere auf seiner ultranationalistischen, rechten Wählerschaft, die er vor jeder Wahl zufriedenstellen möchte. Und in einer großen Region Indiens, Bihar, stehen bald wieder Wahlen an. Ein dritter Faktor ist das wirtschaftliche und militärische Wachstum Indiens. Dadurch sehen sie nun die Zeit reif, die Fragen mit Pakistan auf militärischem Weg zu lösen. Sie glauben, dass Pakistan wirtschaftlich schwach sei und sie das Land nun zu großen Zugeständnissen drängen können.
Auch in anderen Teilen Pakistans ist die Sicherheitslage angespannt, vor allem in der Provinz Belutschistan. Wie ist die Lage?
Die Sicherheitslage ist viel besser als sie es noch vor zwei Monaten war. Wir sind davon überzeugt, dass einige der Gruppen, die in Pakistan Terroranschläge verübt haben, Unterstützung aus Indien und anderen Nachbarländern genossen haben. Nach den indischen Angriffen wurden die Terroranschläge merklich weniger. Das hatte auch mit der verstärkten Präsenz der pakistanischen Sicherheitsbehörden in diesen Regionen zu tun, aber es gibt mit Sicherheit auch fremde Einflussnahme.
Genau aus diesem Grund wären wir sehr besorgt, wenn es im Iran zu Instabilität käme. Denn einige der Separatistengruppen im Iran operieren nämlich auch in Pakistan. Die Stabilität des Iran ist Grundbedingung für die Stabilität Pakistans und der gesamten Region.
Mohammad Kamran Akhtar ist Botschafter Pakistans in Österreich und der Slowakei und Permanenter Repräsentant Pakistans bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisation in Wien.
Titelbild: KI-generiert mit genspark.ai (Symbolbild für Diplomatische Verhandlungen zwischen Pakistan und Indien)

